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Russland und die Finanzkrise

Vor dem vergangenen Wochenende war die Börse in Moskau im freien Fall. Deshalb wurde der Handel bis heute ausgesetzt. Doch ob die Börse in Moskau tatsächlich heute wieder öffnet, ist ungewiss. Die Ausfuhrerlöse sind in den letzten Tagen wegen des sinkenden Ölpreises drastisch zurück gegangen. Der Aktienmarkt ist seit Mai über 70 Prozent eingebrochen. Da viele Russen gar keine Aktien besitzen, trifft diese Entwicklung nicht die breite Bevölkerung, tatsächlich mussten bisher nur die Oligarchen große Gewinneinbußen hinnehmen. Robert Baag berichtet.

    Die Auskunft der Wirtschaftsmoderatorin im russischen Fernsehen schon am frühen Morgen fällt knapp aus, so wie schon manche Tage zuvor:

    "Die Moskauer Aktien- und Devisenbörsen handeln heute nicht, bis eine entsprechende Anweisung erfolgt. Die Aktienindices an den Börsen des alten Europa verlieren im Augenblick zwischen dreieinhalb und sechs Prozent."

    Auffällig bemühen sich die elektronischen Medien Russlands die Finanz- und mittlerweile auch in Teilen die Wirtschaftskrise Russlands der Bevölkerung nur in geradezu homöopathischen Dosen zu vermitteln. Und auch Staatspräsident Dmitri Medwedew wirbt um Vertrauen. Ja, außerhalb Russlands herrsche eine Krise:

    "Die Produktionskapazitäten werden zurückgefahren, Arbeiter werden entlassen. Dies erzeugt einen weiteren Rückgang der Nachfrage. Investitionsprogramme werden gestoppt. Ich sage offen: Russland ist in diesen schwierigen Kreislauf noch nicht hineingezogen und hat Möglichkeiten, dies zu vermeiden. Russland ist verpflichtet, dies zu vermeiden."

    Stark klingende Worte des Staatsoberhaupts. Gerade einmal ein paar Tage ist das her. Doch längst sind Krisenanzeichen auch im russischen Alltag festzustellen. So berichten Zeitungen über erste leere Regale in Supermärkten, weil vereinzelt Großhändler nicht mehr wie sonst ihre Ware per Kredit zwischenfinanzieren können.

    Geld ist knapp geworden - auch in Russland. Über 200 Milliarden Dollar will die russische Regierung aus ihren Gold- und Devisenreserven in die Wirtschaft pumpen, darin enthalten seien rund 86 Milliarden Dollar nur für den klammen Banken-Sektor. Gerüchte von bevorstehenden Massen-Entlassungen machen die Runde.

    Der fallende Kurs des Euro im Verhältnis zum Rubel und der neuerdings wieder teurere US-Dollar scheint niemanden sonderlich umzutreiben, geht man von dieser Zufalls-Umfrage aus:

    "Dollars werde ich jetzt nicht kaufen", sagt etwa der Angestellte Genrich Petrovitsch. "Ich glaube an unsere Währung. Gut, wahrscheinlich haben wir eine Krise. Davor kann man nicht weglaufen. So etwas gab es, gibt es und wird es geben. Man muss eben richtig darauf reagieren. Panik? - Nein, habe ich nicht!"

    "Wird schon irgendwie weiter gehen", meint auch Svetlana, ebenfalls Angestellte. "Wer Geld übrig hat, sollte investieren, vielleicht in eine Wohnung. Heute geht die Währung nach oben, morgen stürzt sie vielleicht wieder ab."

    "Dollar und Euro werden schon wieder ihren Platz finden", ist sich Vjatscheslav sicher, der sich zum Mittelstand zählt. "Meine Euros und Dollars werde ich nicht tauschen, denn dabei würde ich verlieren. Auf der Hut sollte man schon sein. Immer nur Angst zu haben lohnt sich dagegen nicht. Man kann sowieso nichts machen, höchstens versuchen, seine Finanzen vernünftig zu verteilen. Irgendwann balanciert sich das auf einer Ebene wieder aus."

    Da wäre dann aber noch der stetig fallende Ölpreis. Der Staatshaushalt geht von einem Preis von siebzig Dollar für den "Barrel", für ein sogenanntes "Fass", aus. Betrug dieser Preis noch im Sommer, vor dem Georgien-Krieg, rund 140 Dollar, so wird die russische Sorte "Ural" aktuell für weniger als die Hälfte, für nur noch rund 60 Dollar verkauft.

    Diese Negativ-Tendenz trifft plötzlich eine Schicht ins Mark, die bisher geradezu Sinnbild gewesen ist für Russlands Wirtschaftsordnung der nach-sowjetischen Ära: Angeschlagen sind jetzt die Oligarchen. Das Vermögen der 25 reichsten Russen habe während der vergangenen Wochen um etwa 230 Milliarden US-Dollar abgenommen, nachdem die Aktienkurse um über 70 Prozent eingebrochen seien, will die Nachrichtenagentur Bloomberg herausgefunden haben.

    Und so könnte der große Gewinner am Ende der Krise der russische Staat sein, die Kreml-Mannschaft, die den Oligarchen mit Staatsgeldern womöglich große Wirtschaftsbereiche abkauft und diese damit - um einen anderen Begriff zu gebrauchen - "re-nationalisiert". Auch wenn Ministerpräsident Wladimir Putin erst gestern vor den russischen Fernsehkameras versichert hat:

    "Unter den Bedingungen der Finanzkrise, an der jetzt die Welt zu leiden hat, ist die Versuchung natürlich groß, einfache Lösungen zu wählen. Zum Beispiel: Die nationalen Volkswirtschaften abzuschotten, aggressiven Protektionismus zu betreiben, den freien Kapitalfluss einzuschränken. Aber unsere Strategie heißt auf gar keinen Fall: "Isolationismus". Die Perspektive muss lauten: Die Kräfte bündeln, um die Krise zu überwinden und den Fortschritt zu sichern!"