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Russland zögert gegenüber der NATO

Bundeskanzlerin Merkel und der russische Präsident Medwedew sind zu Gast bei einem Dreiergipfel auf Einladung des französischen Präsidenten Sarkozy. Auch die Idee der NATO-Mitgliedsstaaten, Russland in diese mehr einzubinden, ist dort Thema. Aber auch der russische Präsident hat so seine Vorstellungen.

Von Robert Baag/DLR-Studio Moskau |
    Wohl der Zufall hatte es gefügt, dass just eine Woche vor dem heute angesetzten Dreier-Gipfel von Deauville Bundespräsident Christan Wulff schon einmal eine Art Leitmotiv formuliert hat, das für die heutigen Gespräche aus deutscher Sicht wohl weiter gültig sein dürfte. Während seines jüngsten Staatsbesuchs vor wenigen Tagen zeigte sich Wulff im Kreml zu Moskau vor seinem Gastgeber Dmitrij Medvedev überzeugt:

    "Am Ende überwiegt zwischen Russland und der NATO, zwischen Russland und Europa, ganz gewiss das Gemeinsame und nicht das Trennende, sodass sehr emotional diskutierte Fragen etwa bei der Sicherheitsarchitektur wie ein Raketen-Abwehrschirm auch aus meiner Sicht lösbar erscheinen, wenn man die Interessen des jeweils anderen wirklich ernst- und annimmt und nicht geringschätzt. Denn hier gibt's natürlich spezifische russische Positionen, die wir auch zu wägen haben im Rahmen einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur. Aber ich finde beide Länder als außerordentlich stabilisierend für die Sicherheitslage - nicht nur in Europa."

    Noch aber überwiegt Skepsis bei der russischen Delegation mit Medvedev an der Spitze, denn vor allem die neue NATO-Strategie wird wohl neben internationalen Finanz- und Wirtschaftsfragen das Haupt-Thema beim heutigen französisch-deutsch-russischen Treffen sein, dem ersten übrigens nach fünf Jahren Pause. Ein deutlicher Hinweis ist das anhaltende Zögern Medvedevs, die Einladung zum NATO-Gipfel demnächst in Lissabon anzunehmen - und Dmitrij Rogozin, Russlands ständiger Vertreter bei der NATO, macht klar, warum:

    "Wir haben den Entwurf von A bis Z durchgelesen - aber die strategische Konzeption dieses NATO-Projekts wird doch geheim gehalten! Wir kennen sie nicht. Für uns ist das Ganze vergleichbar mit einem dunklen Zimmer, in dem sich eine schwarze Katze befindet - doch vielleicht ist es ja auch nur eine graue Maus. Das ist schon paradox. Man lädt uns nach Lissabon ein, aber es ist unklar, wozu!"

    "Wir werden darüber reden, wie es möglich ist, Russland und die NATO besser miteinander kooperieren zu lassen, denn die Zeit des Kalten Krieges ist ein für alle Mal vorbei ..."

    ... versicherte jetzt zwar mit Blick auf Deauville auch noch einmal die Bundeskanzlerin in einer Video-Botschaft. Und Ex-Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, CDU-Parteifreund der Kanzlerin, sprach sich in einem Zeitungsinterview an diesem Wochenende sogar dezidiert für eine künftige Mitgliedschaft Russlands in der NATO aus. Man stehe schließlich vor gemeinsamen Bedrohungen und Herausforderungen - doch die aktuelle Reaktion Moskaus bleibt zurückhaltend. Der Moskauer Politologe und Militärexperte Aleksandr Sharavin etwa gibt zu bedenken:

    "Prinzipiell wäre eine Integration Russlands in die NATO schon möglich - aber nicht mit dem Kopf durch die Wand! Denn die öffentliche Meinung bei uns verhält sich zu dieser Frage nicht mit dem nötigen Verständnis. Schritt für Schritt, sollte man dies vielleicht versuchen. Und anfangen sollte man dort, wo eine gemeinsame Zusammenarbeit vielleicht am ehesten naheliegt. Ich zum Beispiel unterstütze sehr die Idee, einen gemeinsamen Raketen-Abwehr-Schutzschild in Europa aufzubauen!"

    Rogozin dagegen spricht offen von einer Art Raketen-Hysterie, die den Westen, vor allem aber die NATO, vordergründig umtreibe. Hinter dem Plan einer gemeinsamen Raketen-Abwehr gegen aus seiner Sicht vermeintlich bedrohliche Länder wie Iran oder Nordkorea wittert Rogozin etwas ganz anderes:

    "Warum wird das so dämonisiert? Steckt hinter der Ideologie einer gemeinsamen Raketen-Abwehr nicht die Absicht, einfach die Infrastruktur für ein Raketen-Frühwarnsystem näher an die russischen Grenzen heranrücken zu lassen?"

    Und dann wünscht Rogozin mit Blick auf den heutigen Dreiergipfel in Deauville beim Tagesordnungspunkt "Russland und die künftigen Beziehungen zur NATO" offen ironisch:

    "Ich hoffe, Frau Merkel und Präsident Sarkozy verfügen über die Gabe der Überzeugungskraft. - Und ich möchte genauso gerne hoffen, dass die vorhin erwähnte 'schwarze Katze im schwarzen Zimmer' in Wirklichkeit wenigstens nicht orangefarben ist ..."

    Ein unverhüllter Seitenhieb des russischen NATO-Botschafters auf die "orangefarbene Revolution" in der Ukraine vor sechs Jahren: Sie war für Moskau ganz offenkundig ein tief sitzender, bis heute nachhallender Schock, als sich damals direkt an den Westgrenzen Russlands demokratische Kräfte in Kiew und anderen ukrainischen Städten gegen das alte vom Kreml unterstützte Herrschaftssystem durchsetzen konnten - wenn auch bekanntlich nicht für lange Zeit. Die Drahtzieher aber seien im Westen zu suchen gewesen, in den USA, in Europa und nicht zuletzt in der NATO - dies ist zumindest die Sicht eines großen Teils der tonangebenden politischen Klasse in Moskau - bis heute.