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Russlands Militärmanöver Sapad
"Nicht transparent und auch nicht ehrlich"

Wenn beim russisch-weißrussischen Militärmanöver wahrscheinlich knapp 100.000 Soldaten eingesetzt werden, in der offiziellen Darstellung man aber nur von 13.000 spreche, dann stimme da was nicht, sagte der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter im Dlf. Russland gehe es vor allem darum, NATO-Staaten dauerhaft zu verunsichern.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 14.09.2017
    Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter
    Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter vor einem LKW in Tarnfarben (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    Ann-Kathrin Büüsker: Im Juni, da übte die NATO im Baltikum Krieg. 150 Kilometer von der russischen Grenze entfernt waren knapp 10.000 Soldaten aus 13 Ländern im Einsatz, um den Verteidigungsfall zu proben, um Abläufe zwischen den unterschiedlichen Verbänden einzuüben. Man kennt sich ja nun nicht aus dem alltäglichen Einsatz.
    Nun wird auf der anderen Seite geprobt. Ab heute üben Russland und Weißrussland den Ernstfall, offiziell mit knapp unter 13.000 Soldaten. Die NATO geht aber von deutlich mehr aus und Balten und Polen machen sich große Sorgen.
    Die NATO ist über das alles alles andere als glücklich, fordert seit Wochen, dass Beobachter zugelassen werden. Die Polen und die Balten sind in großer Sorge. Wie gerechtfertigt sind diese Sorgen? Darüber möchte ich mit Roderich Kiesewetter sprechen, Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss und ehemaliger Generalstabsoffizier der Bundeswehr. Guten Morgen, Herr Kiesewetter.
    Roderich Kiesewetter: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr Kiesewetter, Litauens Außenminister hat im Vorfeld der Übung gesagt, wir müssen wachsam und vorbereitet sein. Vorbereitet auf was?
    Kiesewetter: Na ja. Als die letzte große Übung Sapad war, im Jahr 2013, war das ein halbes Jahr vor der Besetzung der Krim. Da kann ich schon verstehen, dass die baltischen Staaten in Sorge sind. Deswegen kommt es darauf an, dass Russland transparenter wird und zu seine Übungen auch einlädt. Ich kann da schon die Bedenken des Baltikums verstehen.
    Büüsker: Aber Russland betont ja, es geht um Defensive und es besteht für niemanden Gefahr. Das heißt, Sie glauben Russland nicht?
    Kiesewetter: Ich rate schon zu Gelassenheit. Aber wir müssen die Sicherheitsbedenken des Baltikums ganz klar mit einkalkulieren. Deshalb hat ja die NATO im vergangenen Jahr auch eine Übung dort geleistet. Aber im Gegensatz zur jetzigen russischen Übung hat die NATO sie über ein Jahr vorher angemeldet, war vollkommen transparent, hat auch russische Beobachter eingeladen. Russland bleibt erstaunlicherweise, obwohl sie wahrscheinlich knapp 100.000 Soldaten einsetzen, in der offiziellen Darstellung unter der Anmeldegrenze von 13.000. Sie geben 12.700 an. Hier müssen wir schon Russland deutlich darauf hinweisen, dass sie neben der Besetzung der Krim und dem Nichteinhalten der Minsker Beschlüsse jetzt auch eine Übung machen, die die Nachbarschaft Russlands weiter verunsichert, und das sollten wir einfach thematisieren.
    Büüsker: Die NATO, die hat ja auch im Juni ein Manöver in den baltischen Staaten durchgeführt. Da waren rund 10.000 Soldaten im Einsatz. Waren da russische Beobachter eingeladen? Das war immerhin 150 Kilometer von der russischen Grenze entfernt.
    "Sicherheitsinteressen des Baltikums wahrnehmen"
    Kiesewetter: Meines Wissens waren sie nicht eingeladen, weil wir auch unter der Anmeldegrenze blieben. Aber die Übung war sehr transparent und es waren dort nicht nur Soldaten einer Nation, wie das jetzt in Russland der Fall ist, sondern es waren insgesamt 24 NATO-Staaten. Außerdem war eine sehr große Öffentlichkeitsarbeit der NATO damit verbunden. Hier ist schon deutlich Transparenz. Und die NATO möchte ja auch nicht durch ihre Übungen übermäßig auftreten. Das heißt, die NATO blieb mit deutlich kleineren Zahlen bei diesen Übungen.
    Entscheidend aus meiner Sicht ist, dass wir die Sicherheitsinteressen des Baltikums wahrnehmen, denn da geht es auch um die Enge zwischen Kaliningrad, den baltischen Staaten und Polen, dieses Gap, ähnlich wie früher das Fulda-Gap, und hier gibt es Sicherheitsbedenken. Deshalb sollten wir darauf drängen, dass Russland deutlich transparenter seine Übungen durchführt.
    Büüsker: Transparenz ist ein gutes Stichwort. Ich würde gerne noch mal zurück zu den Beobachtern. Wenn im Juni keine Russen dabei waren, als die NATO im Baltikum geübt hat, dann finde ich es jetzt ein bisschen schwierig zu argumentieren, Russland, ihr müsst uns jetzt irgendwie zugucken lassen. Das widerspricht sich doch ein bisschen.
    Kiesewetter: Der Punkt ist, dass Russland eine ganz breit angelegte Übung macht, nur 12.700 anmeldet, aber insgesamt zwischen 80 und 90.000 Soldaten involviert. Da stimmt etwas nicht.
    Zweitens ist sehr auffällig, dass Weißrussland die NATO eingeladen hat zur Beobachtung. Im Frühjahr wurde dann zurückgerufen. Weißrussland hat nämlich überhaupt kein Interesse daran, an einem neuen Konflikt mit Russland oder der Ukraine, und ist in großer Sorge, dass sie von Putin in Geiselhaft genommen werden. Das heißt, ich finde es sehr spannend, die Signale aus Weißrussland wahrzunehmen, wie Weißrussland mit dieser Übung umgeht. Weißrussland sucht den Kontakt zum Westen und hier sehen wir auch, dass die große Einbeziehung Russlands, dass Russland hier auf Weißrussland so intensiv eingeht, dass das im eigenen Lager für Unstimmigkeiten sorgt.
    Ich sehe es im Großen und Ganzen als einen Hinweis darauf, dass Putin seine Widerwahl vorbereitet und in seinem Land das Zeichen gibt, dass Russland dank seines Engagements militärisch einsatzfähig ist. Das müssen wir allerdings auch verstehen.
    Büüsker: Jetzt haben Sie gerade gesagt, dass Sie damit rechnen, dass bis zu 90.000 russische Soldaten an dieser Übung teilnehmen könnten. Wie kommen Sie auf diese Zahl?
    Kiesewetter: Zum einen werden mehrere Flotten einbezogen im Eismeer auf der Halbinsel Kola. Dann in der Ostsee. Ferner zieht sich der Militärbezirk bis zur Krim. Es gibt auch Übungsanzeichen im Schwarzen Meer. Und es sind im gesamten westlichen Militärbezirk, der vom Schwarzen Meer bis zum Baltikum geht, eine ganze Reihe von Übungen angesetzt. Das heißt, wir haben das, was wir im Westen früher "Gefecht der verbundenen Waffen" nannten, auf ganz breiter Ebene. Ich denke, dass hier diese Übung, die jetzt hier mit 12.700 angemeldet ist, nur ein Baustein von ganz vielen anderen Übungen ist, die Russland in diesem Zeitraum durchführt, und das ist im Gegensatz zur NATO nicht transparent, ist auch nicht ehrlich. Es zeigt aber, dass Russland wirklich versucht, mit seiner Art von Übung ein Signal nach innen zu geben, in die eigene Gesellschaft, dass Russland widerstandsfähig ist und natürlich auch in gewisser Weise militaristisch, um in der eigenen Bevölkerung mehr Rückhalt für Putin zu gewinnen. Wir sollten nicht nur die mögliche Bedrohung des Baltikums sehen, sondern auch die Wirkung dieser Übung auf die russische Gesellschaft, quasi dass Russland auf Augenhöhe mit NATO-Staaten wahrgenommen werden will.
    Russland verunsichert permanent
    Büüsker: Das also das Zeichen nach innen. Was ist denn dann das Signal nach außen?
    Kiesewetter: Dass Russland erstens nicht transparent sein will. Zweitens, dass Russland angewiesen ist auf Partner wie Weißrussland. Und drittens, dass Russland permanent ein Zeichen der Unsicherheit nach außen sendet, also der mangelnden Berechenbarkeit, um damit die NATO-Staaten dauerhaft zu verunsichern und – und das ist für mich in der Phase der Bundestagswahl sehr wichtig – einen Keil zu treiben zwischen den baltischen Staaten und ihrer Bedrohungswahrnehmung und beispielsweise der bundesdeutschen Gesellschaft, die gar nicht mehr weiß, was es heißt, von einem militärisch hochgerüsteten Staat bedroht zu werden. Diese Spaltung des Zusammenhalts des Westens, Baltikum auf der einen Seite, Polen auch verunsichert, und wir in unserer friedensorientierten Gesellschaft möglicherweise, die gar nicht mehr ahnen können, was es heißt, wenn russische Streitkräfte b innen eines Tages das gesamte Baltikum abschneiden könnten. Diese Unberechenbarkeit und diese permanente Verunsicherung, das ist das, was Russland als Erfolgsfaktor nutzen will.
    "Ich rate zu einer gewissen strategischen Gelassenheit"
    Büüsker: Herr Kiesewetter, unter den Voraussetzungen ist Russland dann unser Freund, oder doch eher unser, na ja, Feind?
    Kiesewetter: Nein. Es ist auf jeden Fall ein strategischer Wettbewerber und auch ein strategischer Gegner. Wir sehen das an der Art und Weise, wie der Minsk-Prozess schleppend umgesetzt wird. Deswegen sind alle Signale Russlands jetzt im Weltsicherheitsrat, in der Ukraine doch noch für Blauhelme zu sorgen, sehr sorgfältig zu prüfen. Wir sollten politische und vor allen Dingen diplomatische Lösungen anstreben und die russische Übung in den Gesamtzusammenhang stellen. Ich sehe Entspannungssignale hinsichtlich der russischen Vorschläge in der UNO, was die Ukraine angeht. Wir sollten Russland an seinem Verhalten messen und diese Übung einordnen. Ich rate hier aber auch zu einer gewissen strategischen Gelassenheit. Wir müssen Transparenz fordern und Russland sollte sich an die internationalen Bestimmungen halten.
    Büüsker: Halten Sie es grundsätzlich für möglich, dass sich so etwas wie die Annexion der Krim wiederholen kann?
    Kiesewetter: Wir müssen wachsam sein. Ich selbst halte es für unwahrscheinlich. Aber allein dass dieses Gefühl der Unsicherheit von Russland weiter genährt wird und nicht durch Transparenz entkräftet wird – Putin könnte ja, die "Frankfurter Allgemeine" hat das gestern ja sehr deutlich gesagt, zu einem großen Halt aufrufen und eine strategische Abrüstungsinitiative beginnen. Davon hört man gar nichts. Die NATO übt ja mit Bruchteilen von den Militärmengen, mit denen Russland sich einsetzt, und hier sollten wir schon, die Verteidigungsministerin hat es ja auch gesagt, sehr klar herausstellen, dass hier eine fünfmal so große Übung stattfindet, wie sie die NATO bisher durchgeführt hat. Das verunsichert und deshalb sollten wir wachsam sein und auf allen Tasten der Klaviatur spielen und Russland an der Umsetzung von Minsk messen, und dann lässt sich die Übung vielleicht leichter einordnen.
    Büüsker: … sagt Roderich Kiesewetter, Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen im Deutschlandfunk, Herr Kiesewetter.
    Kiesewetter: Vielen Dank! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.