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Russlands starker Mann

Wladimir Putin hat sich hochgearbeitet - aus einer bescheidenen Hinterhofkindheit in Leningrad zum starken Mann an der Spitze Russlands. In fünf Tagen will er erneut Präsident werden - heute Abend zeigt die ARD Hubert Seipels einfühlsames und teilweise überraschendes Porträt "Ich, Putin".

Von Silke Lahmann-Lammert | 27.02.2012
    Anmerkung der Redaktion: Im November 2023 wurde bekannt, dass der freie Autor Hubert Seipel in den vergangenen Jahren Geld vom russischen Unternehmer Alexey Mordashov erhalten haben soll. In diesem Zusammenhang steht die journalistische Unabhhängigkeit des Autors infrage.
    Wenn ihm Journalistenfragen nicht passen, kann Wladimir Putin sehr unangenehm werden:

    "Sie wollen in Tschetschenien den Terrorismus ausrotten. Rotten Sie damit auch die Zivilbevölkerung aus? Wollen Sie ein radikaler Islamist werden und sich beschneiden lassen? Ich lade sie nach Moskau ein. Wir sind multikulturell und haben gute Spezialisten. Ich werde jemanden anweisen, Sie so zu beschneiden, dass nichts mehr nachwächst."

    Hubert Seipel lernt Putin von einer anderen Seite kennen:

    "Das ist ein eher kleinerer Mann, höflich, freundlich, zugewandt in einem Ausmaße, wie man es kaum glaubt. Aber das ist natürlich auch Technik."

    Der ehemalige KGB-Offizier Putin hat nicht nur gelernt hat, andere einzuschüchtern. Er weiß auch, wie man Nähe herstellt:

    "Es gibt natürlich immer das Problem einer Nähe und einer Distanz bei solchen Geschichten. Ich muss akzeptieren, dass mir jemand sympathisch sein kann. Nur wenn ich das akzeptiere, kann ich es auch kontrollieren."

    Seipel lässt sich auf das Spiel ein. Und versucht gleichzeitig, die Widersprüche in der Person Putin auszuloten:

    "Wie ist er, was gibt er vor, wie handelt er tatsächlich? Und kaum ein deutscher Politiker würde sich so einlassen, wie Wladimir Putin es in dieser Situation gemacht hat. Hat sicherlich was damit zu tun, dass die Demonstrationen da sind, und dass er möglicherweise auch ein anderes Bild von sich produzieren will."

    Vor der Kamera präsentiert sich der Präsidentschaftskandidat als begnadeter Rhetoriker. Selbst die Anti-Putin-Demonstrationen weiß er als sein Verdienst darzustellen:

    "Natürlich üben unsere politischen Gegner viel Kritik wegen der Pressefreiheit und so weiter. Aber sie können es ja tun! Sie haben die Möglichkeit, das alles öffentlich und sehr aktiv vorzutragen. Zu demonstrieren. Die Medien funktionieren ganz normal und werden Gott sei Dank nicht behindert."

    Seipel kommentiert Putins Aussagen mit Bildern der russischen Medienrealität: Aufnahmen vom Parteitag, auf dem der Premier sich zum Präsidentschaftskandidaten küren lässt. Eine von vorn bis hinten durchchoreografierte Veranstaltung für die Kameras des einzig zugelassenen Senders:

    "Natürlich ist es so, dass das russische Staatsfernsehen sein wichtigstes Instrument ist. Es ist landesweit, es ist in jedem Winkel zu empfangen. Und deswegen sieht man auch keine anderen Kandidaten live im russischen Fernsehen."

    Der deutsche Dokumentarfilmer führt drei lange Interviews mit Putin, er spricht mit Freunden und politischen Weggefährten wie Sergej Iwanow und Alexej Kudrin und analysiert in Rückblenden, wer dem früheren KGBler die Steigbügel zur Macht hielt.

    Putin: "Wir hatten in der Kommunalwohnung ein Zimmer von 24 bis 25 Quadratmeter. In dem ich mit meinen Eltern wohnte."

    Berechnung oder nicht: Der Film zeigt auch einen Wladimir Putin, der erstaunlich offen über seine Hinterhofkindheit in Leningrad spricht. Über die fehlende Emotionalität in der Familie, die Unfähigkeit, miteinander zu reden. Dass er mit dem Judo anfing, weil die Anderen ihm über den Kopf wuchsen:

    "Und da brauchte ich Instrumente, um meine Stellung im Rudel aufrecht zu erhalten."

    Beim Judo, beim Schwimmen und beim Eishockeytraining lässt er sich filmen. Ein 59-Jähriger, der alles tut, um jung und fit zu bleiben.

    Seipel: "Im Englischen gibt es das schöne Wort: I'm in the prime of my decline. Also sozusagen am Höhepunkt des körperlichen Niedergangs zu sein. Und das ist etwas, was er schwer aushalten kann."

    Hubert Seipel hat sich nicht instrumentalisieren lassen. Sein Putinporträt liefert das spannende Psychogramm eines Mannes, der es von ganz unten an die Spitze des Staates geschafft hat. Ein Politiker, der mit ungeheurer Energie am Erhalt seiner eigenen Macht arbeitet - und jede Kritik zutiefst persönlich nimmt.

    Link zur ARD Mediathek:
    Die Story im Ersten: "Ich, Putin"