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Rutschgefährdete Hänge an Straßen

Geologie. - Straßenbeläge sind nicht das einzige, was durch Wind und Wetter gefährdet ist. Am Fuß von steilen Hängen wird oft nach Starkregen die gesamte Straße zerstört. Mainzer Geologen überwachen daher an der Mosel, in Hessen und in Niedersachsen Steilhänge, um erkennen zu können, wann sie ins Rutschen geraten.

Von Volker Mrasek | 23.01.2011
    Die Bundesstraße 53 an der Mosel. Beharrlich folgt sie dem Verlauf des Flusses, der sich in wilden Schleifen durch sein Tal windet, eingerahmt von den Höhenzügen der Eifel im Norden und des Hunsrück im Süden. Nur die Leitplanke trennt die vielbefahrene Straße vom Fluss. Die Mosel führt Hochwasser in diesen Tagen. Und schwappt stärker als sonst ans Ufer. Kurz hinter dem Ortsausgang des Moselortes Traben-Trarbach hat Edmund Krauter seinen Geländewagen am Straßenrand geparkt. Gleich neben einem Verkehrsschild. Es warnt Autofahrer:

    "Ja. Vorsicht, Steinschlaggefahr!"

    Der Geologe hat diesen Punkt an der B 53 gezielt angesteuert. Die Weinberge sind hier unterbrochen. Aus der Mosel-Flanke ragt ein mächtiger Gesteinsklotz heraus, gut 150 Meter hoch, halb nackter Fels, halb mit Pflanzen bewachsen. An seinem Fuß, unten an der Straße, meterhohe Fangzäune.

    "Ein Felshang, ein extrem steiler Felshang. Besteht überwiegend aus Schiefer. Stark geklüftet. Und das ist also auch die Ursache für den Steinschlag."

    Edmund Krauter ist emeritierter Professor für Ingenieur-Geologie an der Universität Mainz. Und: Gründer der FSR, der Forschungsstelle Rutschungen, deren Vorsitzender er noch heute ist. Die Überwachung des steilen Felshanges an der Bundesstraße 53 ist eines von mehreren Langzeit-Projekten der FSR.

    "Vor einigen Jahren kamen dann schon Felsmassen runter. Und man hat daraufhin die Straße gesperrt und Sicherungsmaßnahmen durchgeführt. Sicherungsmaßnahmen bestehen hier einmal aus dem Fangzaun. Und dann aus Messgeräten, die im Fels eingebracht sind."

    Die geotechnischen Instrumente, das sind zum einen Extensometer. In diesem Fall gut 100 Meter lange Stränge von Glasfaserkabeln, die punktuell auf dem Felsen fixiert sind. Sie registrieren, ob und wie stark sich die Gesteinsoberfläche bewegt. Die anderen Geräte, sogenannte Fissurometer, stecken in Gesteinsklüften und überwachen, ob die Spalten sich weiten.

    "Wir hören gerade das Geräusch des Telefon-Modems, das die Verbindung herstellt von unserem PC, der sich direkt in unserer Anlage vor Or an der Mosel einwählt."

    Rund 100 Kilometer Luftlinie entfernt, in der Forschungsstelle Rutschungen in Mainz. Hier laufen die Messergebnisse vom Risikofelsen im Moseltal ein. Manuel Lauterbach wendet sich einem der Computerbildschirme zu. Er ist Geschäftsführer der FSR und ebenfalls Geologe.

    "Zum Beispiel auch sofort ablesbar, dass sich jetzt hier in einer Stunde der Hang um fünf Millimeter bewegt."

    Hänge, die abrutschen; Straßenböschungen, die wegbrechen; Fahrbahnen, die unterspült werden – es wird befürchtet, dass solche Ereignisse zunehmen, wenn Starkniederschläge in Zukunft noch intensiver ausfallen. Die Klimaerwärmung - könnte sie Verwitterung und Erosion beschleunigen? Lauterbach:

    "Auf jeden Fall müssen wir schon sagen, dass, wenn gewisse Witterungsverhältnisse bestehen, ein erhöhtes Gefährdungspotential gegeben ist. Nach sommerlichen Starkregen-Ereignissen besteht da schon ein höheres Risiko. Oder zu Zeiten der Schneeschmelze. Aber man kann das nie vorhersagen. Also, ein Hang kann sich auch urplötzlich in Bewegung setzen. Mit Verzögerungen der vorausgegangenen Klimaereignisse. Insofern müssen wir immer auf der Hut sein."

    Im Moment ist für Edmund Krauter zwar noch kein Trend erkennbar:

    "Also, wir haben bis jetzt keinen Nachweis, dass in den letzten Jahren hier die Rutschungen zugenommen haben. Die bewegen sich weiter in einem Maß Millimeter bis Zentimeter pro Jahr, zumindest an der Mosel."

    Werte, bei denen die Geoforscher noch nicht Alarm schlagen müssen und ganz gelassen bleiben. Allerdings, so Krauter:

    "Was auf jeden Fall erkennbar ist, ist die Zunahme von sogenannten Muren, das heißt also: Schlamm- oder Schuttströme. Einfach durch die Häufigkeit der Starkregen. Sie müssen sich vorstellen: Das sind Schuttmassen, die normalerweise, ja, relativ trocken sind. Wenn die jetzt sehr stark durchfeuchtet werden, und Wasser fließt von oben noch hinzu, dann werden sie sozusagen verflüssigt. Und es kommt zu solchen Muren."

    Darüber hinaus können Starkniederschläge das Risiko für Hangrutschungen und Böschungsbrüche aber auch indirekt erhöhen. Und zwar bei Hochwasser-Ereignissen wie in diesen Tagen. Für Krauter und Lauterbach eine spannende Zeit. Lauterbach:

    "Hochwasser hängt ja letztlich auch mit Niederschlägen zusammen, das heißt also der Grundwasserspiegel steigt. Und wenn dann der Scheitelpunkt überschritten ist, der Wasserstand sinkt, dann beschleunigt sich die Grundwasserströmung, einfach weil das Gefälle dann stärker ist. Und das ist mit ein Grund, warum dann eben sich die Bewegungen verstärken."

    Krauter:

    "Also, diese Hänge bewegen sich vornehmlich in der Frühlingszeit. Es fängt an im Januar und kann unter Umständen bis Mai dauern. Das haben wir also wirklich schon über Jahre sehr schön feststellen können, dass dieser Zusammenhang tatsächlich gegeben ist."

    Die Mainzer Geologen haben noch zwei weitere Risiko-Hänge, die sie observieren. Einen in Hessen, in der Nähe von Bad Kreuznach. Den anderen an der Weser bei Hannoversch-Münden. Alle Standorte unterscheiden sich in ihrer Geologie und ihrem Lokalklima. Das Ziel der Untersuchungen ist es, so etwas wie allgemeingültige Formeln zu finden, mit denen sich das Rutschungsverhalten von Hängen unter extremer Witterung allgemein beschreiben läßt. Die Wissenschaftler können sich vorstellen, später einmal Risikokarten für größere Gebiete zu erstellen, vielleicht sogar für das ganze deutsche Straßen- und Schienennetz. Der Arbeitsaufwand wäre allerdings enorm, fürchtet Forschungsstellen-Chef Krauter:

    "In Italien ist jetzt eine flächendeckende Karte entstanden. Und da sind 400.000 Rutschungen registriert. Das ist also eine riesige Summe! Ich kann es nicht von Deutschland sagen. Aber auf jeden Fall geht das in die Tausende."

    "Wir marschieren jetzt auf den Kopf, auf den Felskopf. Es regnet. Es scheint aber nur ein kurzer Schauer zu werden. Aber wahrscheinlich sehr heftig."

    Wenn einmal eine solche Risikokarte für Deutschland existiert und weitere rutschgefährdete Hänge identifiziert sind, könnte das Beispiel von der Mosel Schule machen. Dann werden Geologen wie Edmund Krauter vielleicht auch noch andere Felsen erklimmen und mit Messgeräten bestücken. Um dann beruhigt sagen zu können:

    "Wir haben sozusagen den Berg unter Kontrolle."