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S107 nicht doping-relevant

Anfang dieses Jahres hatte Dopingforscher Mario Thevis ein Testverfahren für die neue Dopingsubstanz S107 entwickelt. Damit machten die Dopingjäger im Wettlauf mit den Dopingsündern ein gutes Stück an Boden gut. Mit ihrer aktuellen Entscheidung, S107 nicht in ihrer Schwarzen Liste aufzunehmen, erntet die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA Unverständnis.

Von Thomas Kistner | 28.04.2009
    Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA sorgt weiter für Irritationen. Dem Kölner Dopingforscher Mario Thevis teilte sie überraschend mit, sie wolle das neue Dopingmittel S107 nicht auf die Verbotsliste setzen. Sie betrachte den Wirkstoff, der hocheffektiv Muskelermüdung verhindern soll, als "gegenwärtig nicht doping-relevant", sagt Thevis. Das Mittel stecke "erst in der klinischen Erprobungsphase".

    Fachleute reagieren verwundert. Biochemiker Thevis benennt andere Stoffe auf der Dopingliste, die nie klinisch erprobt wurden, wie künstliche Steroide und Stimulantien. Auch suchen Doper ja gezielt nach Mitteln, die noch erprobt werden, weil es für diese meist kein Nachweisverfahren gibt. Das zeigte sich am Blutdopingmittel Cera, das erst 2007 die Zulassung erhielt, in Radprofi-Kreisen aber seit 2003 virulent war.

    Das in den USA gegen Herzrhythmusstörungen entwickelte S107 verbessert die Ausdauerleistung enorm. Das Molekül hebt bis zu 30 Prozent der durch den Eintritt von Kalzium in die Muskulatur bewirkten Ermüdung auf, das ist in Tierversuchen belegt. Laut Thevis lassen sich diese Resultate auf den menschlichen Körper übertragen. Vergleichsstudien am Muskelgewebe trainierter Radsportler zeigten, dass dort im Ermüdungszustand dieselben Vorgänge abliefen wie in Mäusemuskeln.

    Das Bundeskriminalamt hatte Thevis auf S107 aufmerksam gemacht. Auch ausländische Experten vermuten, dass S107 längst szenebekannt ist. Der Wiener Dopingexperte Norbert Bachl sagt, es werde gemunkelt, "dass S107 schon in Peking im Einsatz war". Den Professor, Mitglied der IOC-Medizinkommission, würde es "sehr wundern, wenn die WADA ein Testverfahren ablehnt". Irritiert ist auch der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel: Es sei bekannt, dass S107 auf die Muskelkontraktion wirkt; so etwas habe in Sportlerkörpern nichts verloren.

    Die WADA-Bürokraten plagt offenbar Angst vor teuren Dopingprozessen gegen Topathleten. Allein der Fall des Radprofis Floyd Landis soll sie eine Million Dollar gekostet haben. Fragen wirft auch die Umgangsform der WADA auf: Die knappe Absage auf den offiziellen Antrag der Kölner schickte sie nicht an Laborchef Wilhelm Schänzer - sondern an S107-Fahnder Thevis persönlich.