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Sachsen
Angst vor dem bösen Wolf

Spätestens seit Rotkäppchen war sein Ruf ein für alle Mal ruiniert: Der Wolf ist ist für viele Menschen nur noch der Inbegriff des Bösen. Zu Unrecht, sagen Tierschützer. In der Lausitz macht die Rückkehr des Wolfs dennoch vielen Menschen Angst.

Von Nadine Lindner | 24.01.2014
    Biologin Vanessa Ludwig steht vor einer großen Karte der Lausitz, die an der Eingangstür zu ihrem Büro hängt. Die Lausitz, das ist das Gebiet, was sich vom Süden Brandenburgs bis in weite Teile Ostsachsens erstreckt.
    "Insgesamt gibt es in ganz Deutschland jetzt nachgewiesen 29 Wolfsrudel oder Paare und drei Einzelwölfe, die dort bislang ohne Partner leben."
    Pro Rudel müsse man mit etwa fünf bis sechs Tieren rechnen, je nachdem, ob es Nachwuchs gebe. Es war ein positives Jahr für den Wolf, so das Fazit. Hier im kleinen Ort Rietschen liegt sozusagen die Wiege der Wölfe in Deutschland, wie Ludwig erklärt:
    "Das erste Wolfsrudel gab es hier in Sachsen auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz, direkt nördlich von Rietschen. Im Jahr 2000 gab es dort den ersten Wolfsnachwuchs. Nachdem schon 1998 zwei erwachsene Wölfe nachgewiesen wurden."
    Von hier aus breitet sich der Wolf weiter in Mitteldeutschland aus. In Sachsen- und Sachsen-Anhalt haben sich im vergangenen Jahr neue Rudel gebildet.
    Ausgehend von der Keimzelle Lausitz wandern die Wölfe vor allem in die Bundesländer im Nordosten Deutschlands.
    "Die Lausitz ist immer noch das größte Verbreitungsgebiet. Aber es gibt auch mittlerweile in anderen Teilen Brandenburgs, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder auch Niedersachsen schon Wolfs-Rudel, Paare oder Einzelwölfe."
    Aber auch in Hessen bei Gießen gab es eine Wolfssichtung. Wie DNA-Analysen ergaben, wanderte das Tier nicht aus Polen, sondern aus dem Süden, aus der Schweiz oder Frankreich ein. Im Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz im beschaulichen Rietschen laufen alle Informationen über das Vorkommen der streng geschützten Tiere zusammen. Ganz ausgerottet war der Wolf in Deutschland nie, sagt Biologin Ludwig. Doch zu DDR-Zeiten durfte er noch geschossen werden. Und wer manchem Wolfs-Gegner zuhört, der bekommt den Eindruck, dass sich einige ärgern, dass diese Zeiten vorbei sind. In vielen Teilen Sachsens sind die Tiere ein Ärgernis für Jäger und Bauern. Ob alleine oder im Rudel, die Tierhalter fürchten sich vor Angriffen auf ihre Nutztiere. Sie betrachten den Wolf als Sicherheitsproblem. Der Kreisjagdverband Meißen hat sich mittlerweile in einem Brandbrief an die Landesregierung gegen die unkontrollierte Ausbreitung des Raubtiers ausgesprochen. Heinz Baacke, Vizepräsident des Landesjagdverbandes Sachsen und Wolfsexperte sagte im ZDF, dass ab einem gewissen Punkt auch Gegenmaßnahmen erforderlich sein könnten:
    "Man muss ihn so betrachten wie anderes Wildtier auch. Wenn Schalenwild zu sehr den Wald schädigt, dann muss man gegensteuern. Und warum soll das Gegensteuern beim Wolf auch nicht manchmal notwendig sein an bestimmten Stellen."
    Doch der Wolf ist streng geschützt, darf nur in absoluten Ausnahmefällen getötet werden. Raubtierattacke in Hoyerswerda: Hund von Wolf tot gebissen – Schreckliches Tier-Drama in Hundepension. Neun tote Pferde nach Auto-Kollision auf Bundesstraße 6– Scheuchten Wölfe die Pferde auf? Es waren Meldungen wie diese, die in Sachsen in diesen Wochen zuletzt für eine emotionale Debatte rund um den Wolf gesorgt haben. So häuften sich mutmaßlich die Vorfälle, bei denen der Wolf eine Gefahr für Mensch und Nutztiere darstellte. Mit den Wölfen kommen oft Ängste und Streit. Im zuständigen Umweltministerium in Dresden ist man um die Versachlichung der Debatte bemüht. Umweltminister Frank Kupfer nahm den Wolf kürzlich in einem Interview in Schutz. Bernd Dankert ist Referent für Artenschutz und Ansprechpartner für den Wolf.
    "Die Gefahr für den Menschen ist eher eine theoretische. Denn wir wissen ja aus unseren nunmehr 16 Jahren Wolfs-Anwesenheit, wir hatten noch nicht einen Fall, wo es zur Bedrängnis eines Menschen durch den Wolf kam."
    An Schäfer und Bauern appelliert er noch einmal, geeignete Schutzmaßnahmen wie Elektrozäune aufzubauen,
    "denn die Zeit, ohne Wölfe zu leben, wird es nicht mehr geben. Und mit Wölfen zu leben und den Schaden zu minimieren, das ist die eigentliche Aufgabe, der sich jetzt die Tierhalter stellen."
    Nachtrag: Nach Angaben des Naturschutzbundes NABU hat eine DNA-Analyse inzwischen eindeutig ergeben, dass der im Beitrag erwähnte Schäferhundmischling nicht von einem Wolf sondern von einer Boxerhündin
    angegriffen wurde, die im Nachbargehege untergebracht war.