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Sachsen-Anhalt
Debatte über Schulschließungen und Lehrermangel

Von Christoph Richter | 27.08.2014
    Wenn nächste Woche in Sachsen-Anhalt die Schulpforten wieder öffnen, wird es allerdings in so manchem Schulhaus ruhig bleiben. Kein Kindergeschrei, kein Klingeln. Denn SPD-Kultusminister Stephan Dorgerloh will in den nächsten Jahren 150 sogenannte Mini-Schulen im Land schließen. Nach den Berechnungen des Kultusministeriums bedeute das ein Einsparpotenzial von etwa 140 Millionen Euro. Dieses Schuljahr trifft es bereits 31 Grundschulen, besonders betroffen sind ländliche Regionen wie die Altmark.
    "Zur Unterrichtsversorgung kann man sagen, die ist überall im Landesdurchschnitt gesichert. Über 100 Prozent. Am besten ist sie interessanterweise im Bereich der Grundschulen, mit über 106 Prozent im Landesdurchschnitt."
    Dennoch: Mancherorts geht mit den Grundschulschließungen, wie im altmärkischen Werben im nördlichsten Zipfel Sachsen-Anhalts, eine 600-jährige Schultradition zu Ende. Obwohl man erst fünf Jahre lang den preußischen Backstein-Schulbau mit angeschlossener Schwimmhalle, Schulgarten und Sportplatz für mehr als 800.000 Euro saniert hat. Bürgermeister Jochen Hufschmidt ringt nach Worten.
    "Uns macht das fassungslos und verbittert auch, dass unsere Kinder in eine Nachbarschule sollen, die bei Weitem nicht diese Standards erfüllt. Das ist etwas, was kein Mensch versteht. Das ist für den ganzen Raum eine Katastrophe."
    Weiteres Thema: Der Lehrermangel. CDU und SPD hatten sich darauf verständigt, zum neuen Schuljahr zusätzliche 150 Lehrer für allgemein- und berufsbildende Schulen einzustellen. Insgesamt wird es für das kommende Schuljahr 370 neue Lehrer geben, verkündet stolz Kultusminister Dorgerloh. Zu wenig für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Deren Landesvorsitzender Thomas Lippmann rechnet vor, dass Sachsen-Anhalt etwa 500 Lehrer fehlen.
    "Ja wir wissen ja, dass wir schon im letzten Jahr einen sehr hohen Unterrichtsausfall hatten, die Vertretungsmöglichkeiten werden geringer werden. Wir rechnen damit, dass der nicht ordentlich vertretene Unterricht im Bereich von mindestens vier bis fünf Prozent des gesamten Unterrichtes nicht regulär erteilt werden können."
    Besonders deutlich ist nach Angaben der GEW der Unterrichtsausfall in den Förder- und Gesamtschulen. Seit 2010 beobachte man hier einen rapiden Anstieg.
    "Also wir stehen mit dem kommenden Schuljahr am Anfang einer Entwicklung. Wenn die nicht gestoppt wird, dann wird Sachsen-Anhalt zum Bildungsnotstandsgebiet. Im Moment ist noch die Zeit zum Umkehren. Schwierig schon in der Lehrerausbildung, da ist schon viel versäumt worden. Aber jetzt müssen die Hebel umgelegt werden und nicht erst in drei oder vier Jahren."
    Diskussion über Geschichtsunterricht
    Kultusminister Dorgerloh schüttelt vehement den Kopf. Glücklich ist der bekennende Freund langen gemeinsamen Lernens, dass zu den bereits existierenden 13 Gemeinschaftsschulen in Sachsen-Anhalt weitere neun hinzukommen. Ein Schulmodell, für das Kultusminister Dorgerloh zu jeder Gelegenheit mit viel Verve eintritt. Sorgen mache ihm allerdings das hohe Alter der Lehrer in Sachsen-Anhalt, gesteht Dorgerloh. Denn der Altersdurchschnitt liegt nach Angaben des Landesschulamts in Sachsen-Anhalt bei über 51 Jahren.
    "Das ist schon einer der höheren Werte, auch wenn wir klar im Durchschnitt der ostdeutschen Länder liegen. Aber das ist etwas wo alle dran sind, wo wir schauen müssen",
    wie man diesen Trend stoppt. Doch ein klares Konzept hat man nicht. Denn viele von der Demografie gebeutelte Regionen, sind gerade für Jung-Lehrer äußerst unattraktiv. Ein Thema, dass sich in Sachsen-Anhalt durch den gesamten Sommer gezogen hat, war die Qualität des Geschichtsunterrichts in Bezug auf die DDR-Vergangenheit. Hochgespült wurde die Debatte durch den Verklärungsfall einer Stendaler Lehrerin, die während einer Zeitzeugenstunde sagte, "dass in der DDR niemand etwas zu befürchten hatte, solange man sich angepasst hätte." Ein Satz, der einen Aufschrei wie eine Diskussion über die Qualität des Geschichtsunterrichts nach sich zog. Ein Grund, warum das Kultusministerium nun auch einen Schulleiterbrief verschickt hat, indem noch mal dazu aufgefordert wurde,
    "sich Zeitzeugen einzuladen. Im Unterricht über 1989, die Friedliche Revolution, wie es dazu kam, die Zeit danach, zu reden. Ich glaube im Übrigen, dass das ein ostdeutsches Thema ist, ich denke, dass ist ein gesamtdeutsches Thema. Da sollten wir auch einen Akzent drauf setzen."
    Die Landesbeauftragte der Stasiunterlagenbehörde in Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann, fordert in der aktuellen Versöhnung- und Aufarbeitungsdebatte gerade auch Lehrer auf, von unterschiedlichsten Lebenserzählungen und Lebensläufe zu erzählen, die Menschen in der DDR gemacht haben. Multiperspektivität nennt sie es.
    "Das Gespräch sollte vielleicht auch im Lehrerzimmer beginnen. Ich glaube schon, da ist es wichtig, dass Formen gefunden werden, wo es nötig ist, wo es ansteht, dass die Lehrerinnen und Lehrer miteinander sprechen. Über ihre Vergangenheiten. Vielleicht sich auch die Chancen zu geben, füreinander Verständnis zu haben."