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Sachsen-Anhalt
Die Grünen auf dem Vormarsch

Während die großen Parteien wie die CDU weiter Mitglieder verlieren, geht es bei den Grünen aufwärts - auch im Osten. In Sachsen-Anhalt stoßen Projekte der Grünen im Sozialbereich, aber auch ein Förderprogramm für Dorfläden auf viel Zustimmung.

Von Christoph Richter | 28.02.2019
10.08.2018, Sachsen-Anhalt, Deersheim: Der Eingang zum Dorfladen des Multifunktionalen Dorfzentrums. Als der letzte Einkaufsmarkt im Ort schloss, taten sich die Dorfbewohner zusammen und bauten eine Scheune um, die neben einem Lebensmittelladen auch Platz für ein Café, eine Markthalle und für die Nähstube bietet. (zu dpa «Dorfladen-Genossenschaft in Deersheim wächst» vom 20.08.2018) Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Der Dorfladen der Genossenschaft in Deersheim erfreut sich großer Beliebtheit. Die Grünen wollen ähnliche Projekte fördern (picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert / dpa)
2012 hat in Deersheim der letzte Supermarkt geschlossen, einem kleinen Dorf bei Osterwieck im Nordharz am früheren Todesstreifen. Damit der Ort nicht verödet, haben die Einwohner ihren eigenen Dorfladen mit Kaffee-Betrieb aufgemacht, in Form einer Genossenschaft.
"Für uns ist das sehr wichtig, dass wir diesen Laden haben. Gerade für die älteren Menschen. Wenn sie hier sind, dann treffen sie immer irgendeinen. Die Kommunikation ist da. Super, das wir das gemacht haben."
Und der Laden läuft, sagt die 69-jährige Gertraud Wolf. Aufsichtsratsmitglied und Gründerin der Dorfladen-Genossenschaft Deersheim. Eine Idee genau nach dem Geschmack der Grünen, die jetzt in Sachsen-Anhalt Dorfläden mit einem neuen Programm fördern wollen. 300.000 Euro wollen die Grünen dafür im Landeshaushalt locker machen. Eine Idee, die bei den Menschen anscheinend gut ankommt. Schon jetzt gebe es unerwartet viele Anfragen, heißt es.
"Idee ist gut, find ich gut. Das, dass Leben auf dem Land wieder wächst."
Mitgliederzuwachs für Grüne im Osten
Die Fraktionschefin der Grünen im Magdeburger Landtag – Cornelia Lüddemann – lächelt. So, als ob die Grünen den Schlüssel nun gefunden haben, um an die Menschen, den Wähler ranzukommen.
"So traurig das ist: Der letzte Sommer hat viele Menschen zu uns getrieben. Wir haben wirklich Menschen, die bei uns in den Grünen-Büros stehen und sagen: Ich hab es ja nicht geglaubt. Sachsen-Anhalt und Versteppung. Jetzt nach dem Winter: Mein Brunnen hat immer noch kein Wasser. Das gibt den Menschen zu denken, dass sie erleben, dass das alles kein spinnerter Kram ist. Und dass es jetzt viele Menschen gibt, die das Bedürfnis haben, sich einzubringen. Und sagen: Wir müssen die Stimme stärken."
Der Mitgliederzuwachs der Grünen liegt im Osten auf Rekord-Niveau. In Brandenburg hat die Partei um 26 Prozent zugelegt, so was wie der Spitzenreiter. In Sachsen gibt es 23 Prozent mehr Mitglieder, in Sachsen-Anhalt liegt man bei 15 Prozent. Ein Höhenflug, den Bundesgeschäftsführer Michael Kellner auf eine "große Sehnsucht nach Naturschutz" zurückführt. Der große Verlierer ist die CDU. Durch Parteiaustritte hat sie im letzten Jahr – bundesweit 11.000 Mitglieder verloren – davon viele auch in Ostdeutschland.
Kritiker sehr nur Wohlfühloasen
Cornelia Lüddemann kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie kommt aus Dessau, 1989 war sie Mitglied in der Bürgerrechtsbewegung Neues Forum, 1992 ist sie bei den Grünen eingestiegen. Dass die Grünen jetzt auch im Osten punkten, kommt für sie nicht überraschend. Das sei auch der Lohn der Kärrnerarbeit, dass man bei den Menschen vor Ort ist, sich anstrengenden Diskussionen stelle.
Conny Lüddemann, Vorsitzende der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
Conny Lüddemann, Vorsitzende der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen (dpa / Johannes Stein)
"Ich glaube, was wir mit 5,2 Prozent hier in allen Bereichen erreichen, ob das im Sozialbereich ist, dass wir jetzt die Hebammen stärken, ob das im Umweltbereich ist. Ob das im Bereich Mobilität ist, wo wir deutlich mehr für den Radverkehr tun. Da sagen mir Leute, wenn sie mit 5,2 Prozent Landtagsergebnis so viel erreichen. Dann bin ich mal gespannt, was sie tun, wenn sie mal zehn Prozent erreichen. Und das will ich mit meiner Mitgliedschaft unterstützen."
Externe Beobachter sehen den Höhenflug der Grünen allerdings nicht ganz so euphorisch. Ein ausgewiesener Kritiker ist der Politikwissenschaftler Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal. Konkrete Politikangebote gebe es bei den Grünen nicht, sagt Kliche. Stattdessen gehe es viel um Wohlfühl-Oasen, weniger um harte Fakten.
"Sie reden überhaupt nicht mehr über Einschränkungen, Regulationen und Steuern, sondern sie reden nur noch davon, dass man nett sein sollte, die Tiere und das Klima schützen sollte. Das heißt, je unverbindlicher sie geworden sind, desto mehr haben sie den Charakter einer großen Volkspartei gewonnen."
Freude üder das Förderprogramm
Die Fehler, die die Grünen jetzt einräumen, dass man den Osten nach dem Mauerfall lange vernachlässigt habe, die Botschaft kommen bei den Menschen in den neuen Bundesländern anscheinend an. Man werde "jünger, weiblicher und ostdeutscher", sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Politik-Beobachter Kliche möchte da etwas Wasser in den Wein gießen, wie er sagt. Es werde viel geredet, letztlich gehe es aber nur um gut-bürgerliche Etikette, um Phrasen, so Kliche weiter.
"Wenn sie jetzt Sympathie-Botschaften senden, man müsse die Lebensleistung der Ostdeutschen anerkennen, dann geht es da eher um den Abbau von Hürden, das Sondieren für künftige politische Koalitionen. Es geht nicht um alle verletzten Ostdeutschen, die man als Wähler gewinnen wollte. Das ist keine gute Prognose für die Grünen."
Im Dorfgemeinschaftsladen Deersheim ist man gelassener. Und freut sich, dass die Grünen ein Förderprogramm für Dorfläden ins Leben rufen. Ohne Anschubfinanzierung funktioniere so etwas nämlich nicht, betont Fördermitglied Gertraud Wolf.
"Wenn das wirklich durchgesetzt wird im Landtag, dass die Dörfer wieder belebt werden: Das ist positiv."