Auf der mächtigen Mauer, hoch über dem übergrünten Graben, der sich um die Burg Querfurt zieht, sammelt sich eine Besuchergruppe zu einer Führung: Gäste aus Halle auf Betriebsausflug. Was hat sie hergelockt? "Die Frolleins!"
Leiterin: "Die Burgfräulein. Ich habe das für die anderen ausgesucht, weil ich denke, das haben noch nicht viele gesehen, obwohl sie hier in der Region wohnen und da sind wir einfach drauf gekommen, uns das hier anzuschauen."
Besucherin: "Das Mittelalter. Und was Sachsen-Anhalt an Burgen bietet, ist ja doch sehr interessant."
Gefragte Filmkulisse
Die Burg Querfurt ist ein Highlight in der Kulturlandschaft an Saale und Unstrut: gewaltige, halbrunde Bastionen, steinerne Brücken und schwer befestigte Tore. Dahinter der weite, kiesbedeckte Hof. Rundherum graues Mauerwerk und rote Ziegeldächer: Wohnbauten, Kirche und Speicher, bewacht von drei hoch aufragenden Türmen. Alles ist sorgsam restauriert – beinahe könnte Querfurt eine Idealburg sein, so, wie sie der Gralsritter Parzival in Wolfram von Eschenbachs mittelalterlichem Epos erblickt.
"Die Burg war nicht gerade schlecht geschützt. Nur auf Flügeln, windgetragen, ließ sie sich erstürmen. Viele Türme, manchen Palas sah er, staunenswert befestigt. Griffen alle Heere diese Burg an, 30 Jahre lang, es würde sie nicht die Bohne kümmern!"
Die Location Scouts aus der Film- und Fernsehindustrie haben diese Burg längst in ihren Notizbüchern. Ob "Die Päpstin" oder "Der Medicus", in Querfurt wurde so manche Szene für Historienfilme gedreht. Die letzten Geheimnisse der Anlage jedoch verraten weder Filme noch Burgführungen. Die kennt nur Reinhard Schmitt.
Der pensionierte Denkmalpfleger, der Burg Querfurt zu DDR-Zeiten gründlich untersucht hat, weiß, dass die ältesten Gebäudereste im Keller unter dem großen Kornspeicher liegen.
Schmitt: "Das ist ein Torhaus, ein Torhaus aus dem mittleren 11. Jahrhundert, das mindestens im deutschsprachigen Raum älteste Torhaus aus dieser frühen Zeit."
Und wieso liegt der Eingang, durch den im frühen Mittelalter Reiter in den Hof trabten und Wagen herein rollten, heute tief im Boden? Weil sich im Burghof im Lauf der Jahrhunderte immer mehr Erde angehäuft hat, sagt Reinhard Schmitt.
Vom halbverschütteten, ehemaligen Torhaus führt er in einen großen, unterirdischen Saal hinüber, Teil des angrenzenden romanischen Wohnhauses.
"Sie sehen hier einen Pfeiler aus rotem Sandstein, da gibt es noch einen in der Mitte und in der Ecke auch. Und über diesem Pfeiler war hier eine Rundbogenarkade. Und dazu eine flache Balkendecke."
Verwirrendes Durcheinander
Einen Moment lang glaubt man, im flackernden Licht bärtige Männer an langen Tischen sitzen zu sehen, die sich mit schweren Pokalen zuprosten. Der Denkmalpfleger aber weist nüchtern auf eine romanische Tür hin, die weit oben an der Wand klebt. Die jahrhundertelange Baugeschichte hat hier ein verwirrendes Durcheinander hinterlassen.
Steht man blinzelnd wieder im Tageslicht, fällt der Blick auf den "Dicken Heinrich", einen knapp 30 Meter hohen, runden Turm, sorgsam aus feinen, grauen Quadern aufgemauert. Aus dem schmalen, in unerreichbarer Höhe gelegenen Eingang hängt ein dickes, mehrfach geflochtenes Seil herab wie der Zopf der Rapunzel im Märchen – ein schönes Symbol dafür, dass der Turm Besuchern nicht zugänglich ist. Das ist der Bergfried.
"Aber er hatte nicht die Funktion, die Bergfrieden seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zugeschrieben wurde, nämlich der letzte Zufluchtsort für die Burgherrenfamilie zu sein."
Weil das überhaupt nichts gebracht hätte. Wozu sollte sich der Burgherr im Bergfried verkriechen, wenn Feinde die Burg bereits besetzt hatten? Die brauchten ja nur abzuwarten, bis der Hunger die letzten Verteidiger aus dem Turm heraustrieb! Nein, der weithin sichtbare, für viel Geld errichtete Bergfried war ein Symbol: Mahnung für die Untertanen, Warnung für konkurrierende Adelsgeschlechter.
"Seht her, das kann ich mir leisten. Ich, als Edelherr von Querfurt."
Burgenforscher rütteln heute an vielen Vorurteilen, die sich seit der romantischen Mittelalterbegeisterung des 19. Jahrhunderts in den Köpfen festgesetzt haben. Verbreitet ist etwa die Ansicht, dass Burgmauern mit Zinnen versehen wurden, damit sich die Verteidiger bei einer Belagerung dahinter verstecken konnten. Das war aber nur ein nützlicher Nebeneffekt. In erster Linie dienten die Zinnen zur Repräsentation, denn sie waren ein Zeichen des Adels. Historiker und Bauforscher sind sich mittlerweile einig: Burgen wurden nicht allein nach militärischen Gesichtspunkten konzipiert, wie man früher meinte, und viel mehr als Symbole der Macht.
Bis heute blieb die Burg vollständig erhalten
Im größten Gebäude der Burg Querfurt, dem Kornspeicher mit dem hohen Ziegeldach, der ursprünglich ein Palast war, ist ein kleines Museum untergebracht. Es gibt Einblick in die wechselvolle Geschichte der Anlage, die die "Edelherren von Querfurt" seit dem 11. Jahrhundert immer wieder umbauen ließen – bis hin zu den Bastionen des 15. Jahrhunderts, die schon mit Kanonen bestückt waren. Auch hier trifft man Besucher, die sich von den mächtigen, steinernen Zeugnissen der Vergangenheit angezogen fühlen.
Besucherin: "Wir machen heute Heimatkunde, einen kleinen Urlaub, wir wollen noch nach Eisleben, und dann sage ich zu meinem Mann: Wir fahren erst nach Querfurt, das müssen wir sehen!"
Besucher: "Ich bin groß geworden unweit von Querfurt, in Zeitz, und der Begriff Querfurt und die Burg ist mir immer gegenwärtig gewesen, mittlerweile bin ich nun 77 Jahre alt und bin froh, dass ich es schaffe!"
Besucher: "Bürgen gibt es ja in verschiedenen Ausprägungen, in meiner Heimat im Münsterland haben sich die Leute ein Areal aus Wasser drumherum gebaut. Also, es ist für mich nicht primär so, dass ich romantisierend damit umgehe, sondern es ist die Begegnung mit alten Steinen."
Vom Museum im Kornspeicher führt eine Tür in den sogenannten "Pariser Turm" – der nichts mit der Stadt Paris zu tun hat: Sein Name geht auf den Irrtum eines Chronisten zurück. Er wurde im 14. Jahrhundert als Wachturm gebaut und bekam später eine bauchige, barocke Dachhaube, so dass er jetzt an einen Kirchturm erinnert. "Höher geht es für uns nicht. Reicht auch."
Durch die Fenster im obersten Geschoss, gleich unter der Turmhaube, blickt Denkmalpfleger Schmitt auf Wälder und Acker hinaus – ähnlich wie sie einst die Burgherren sahen.
"Von hier oben aus hat man einen schönen Überblick über das Areal, das eigentlich den Edelherren von Querfurt gehörte. Und das waren vier Dörfer, mehr nicht. Und trotzdem müssen sie darauf so stolz gewesen sein, dass sie immer Edelherren geblieben sind."
Das Gebiet von Saale und Unstrut bis hinauf zum Harz bildete im frühen Mittelalter ein Machtzentrum der deutschen Könige. Doch die Edelherren von Querfurt spielten dabei nur eine kleine Rolle. Vermutlich hat das dazu beigetragen, dass ihre Burg kaum eine Belagerung erlebte und bis heute so vollständig erhalten geblieben ist.