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Sachsen-Anhalt
Jeder zweite Hochschulabsolvent verlässt das Land

Obwohl das Studieren in Sachsen-Anhalt als hochattraktiv gilt, wollen nur wenige Absolventen bleiben, so das Ergebnis einer aktuellen Studie. Braucht das Land jetzt eher einen Willkommens- als einen Wissenschaftsminister? Zumindest ein Imagewechsel ist nötig.

Von Christoph Richter | 02.05.2019
Studenten der Wirtschaftswissenschaften sitzen im Großen Hörsaal vom Auditorium maximum der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg bei einer Vorlesung
Sachsen-Anhalts trauriger Rekord: Zwei von drei Studierenden planen nach dem Abschluss, das Land zu verlassen (picture alliance / Waltraud Grubitzsch/dpa-Zentralbild/ZB)
"Ist schon etwas kleinkariert. Die meisten Leute, die studieren, wollen die Welt sehen - und das zu erwarten, dass man hier bleibt, kann ich nicht verstehen."
"Ja, darf man es so sagen: Die Leute wirken hier verbittert. Das ist das Gefühl, das ich hier habe. Die Leute sagen nicht Hallo, wenn ich sie grüße. In Nordfriesland war das völlig normal für mich. Man kommt an die Menschen nicht ran. Und wenn die merken, man kommt aus dem Westen – zumindest ist das mein Gefühl –, dann bekommt man keinen Zugang zu den Leuten."

"Sachsen-Anhalt hat jetzt nicht gerade das Image eines ausländerfreundlichen Landes, die großen Firmen sind hier auch nicht. Es ist schwer, dass man hier überhaupt etwas findet."
In Sachsen-Anhalt finde man schlicht keine gut bezahlten Jobs, sagen drei Studierende. Sie stehen vor der gläsernen Magdeburger Uni-Bibliothek, machen eine Lern-Raucherpause. Nach dem Examen werden sie das Land verlassen, das sei klar, sagen sie. Aber es gibt auch Stimmen, die explizit für das Bleiben in Sachsen-Anhalt plädieren.
"Ich sehe sehr viel Potenzial im Land Sachsen-Anhalt. Alleine dadurch, dass ich Recycling studiere und wir sehr viel Natur- und Ackerwirtschaft besitzen, möchte ich das vorantreiben. Ich sehe viel Potenzial für das Land, weil vieles im Kommen ist."
Sagt Stefan Bastron. Er werde nach dem Studium in Magdeburg bleiben, wünscht sich aber auch:
"Dass man mehr Lifestyle und Kultur voranbringt, mehr fördert. Dass die Menschen Lust haben, sich im Land zu engagieren. Und auch hierbleiben."
Sachsen-Anhalt bundesweites Schlusslicht
So der Ausschnitt einer kleinen Umfrage, die natürlich keineswegs repräsentativ ist. Doch das Stimmungsbild entspricht in etwa den Ergebnissen einer Studie der holländischen Universität Maastricht und einem Kölner Personaldienstleister, der sich auf die Vermittlung von Studierenden spezialisiert hat. Demnach planen zwei von drei Studierenden nach dem Abschluss, Sachsen-Anhalt zu verlassen. Damit ist man das Schlusslicht, bundesweit. "Sachsen-Anhalt investiert auf diesem Weg jährlich knapp 304 Millionen Euro, die anderen Länder zugutekommen", heißt es in der Studie.
Notwendiger Image-Wechsel
Braucht Sachsen-Anhalt jetzt statt eines Wissenschaftsministeriums, gar ein Willkommensministerium? Nein, sagt der SPD-Wissenschaftsminister und frühere Rektor der Hochschule Harz, Armin Willingmann. Er schüttelt vehement mit dem Kopf. Nötig sei jedoch ein Imagewandel Sachsen-Anhalts und kritisiert die Politik der Vorgänger-Regierungen.
"Wir haben die letzten Jahre überproportional viele junge Menschen zwar ausgebildet. Aber nicht in den öffentlichen Sektor übernommen. Das Betrübliche ist, dass wir beispielsweise bei den jungen Lehrerinnen und Lehrern zwei Drittel der Absolventen nicht mit einer Referendars-Stelle, einer Lehrerstelle nicht an unser Land binden konnten, sondern wir haben sie nach dem Examen weggeschickt. Die kommen erstmal nicht wieder. Solche Maßnahmen haben nicht gerade Vertrauen aufgebaut."
Armin Willingmann – der erst kürzlich zu Deutschlands beliebtestem Wissenschaftsminister gewählt wurde – richtet seinen Appell auch an die heimische Wirtschaft.
"Wer Fachkräftemangel beklagt, muss hier etwas tun. Er muss hier attraktive Arbeitsplätze schaffen. Das betrifft vor allem Löhne. Aber auch Perspektiven, es betrifft die Frage der Arbeitsbedingungen. Also es betrifft die Wirtschaft selbst. Man kann die Wirtschaft nur ermutigen, dass dort Maßnahmen ergriffen werden, die das Image des Billiglohnlandes überwinden."
Man bilde für den Westen aus, schimpfte einst CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff. Dazu sei man nicht bereit, weshalb er eine Absolventenlenkung wie zu alten DDR-Zeiten gefordert hatte. Ideen, die nun glücklicherweise in der Mottenkiste gelandet sind, sagt Wissenschaftsminister Willingmann noch.
Das Land braucht mehr Charme
Willingmann kann der aktuellen Studie zum Absolventen-Drain aber auch etwas Positives abgewinnen. Denn mit knapp 55.000 Studierenden sei es Sachsen-Anhalt in den letzten 30 Jahren gelungen, sich als attraktiven Hochschulstandort zu etablieren. Jetzt gelte es, die Studierenden zum Bleiben zu gewinnen. Eine Forderung, die auch Anne Lequy unterstützt. Sie stammt aus der Nähe von Paris, seit 2014 ist sie Rektorin der Hochschule Magdeburg-Stendal. In Metz und Leipzig hat sie promoviert und ist Professorin für Fachkommunikation Französisch. Ein Willkommens-Ministerium brauche das Land Sachsen-Anhalt zwar nicht, aber etwas mehr Charme könne das Land schon gebrauchen, sagt die freundliche 48-jährige Hochschullehrerin.
"Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für dieses Land Werbung zu machen, dieses Land lebens- und liebenswert zu machen. Liebenswert ist etwas, was nicht in den Genen der Bevölkerung hier ist. Man schätzt es nicht so, erst wenn man woanders gewesen ist, merkt man, welche tollen Studien und Arbeitsbedingungen es hier gibt, insofern ist Mobilität was Natürliches. Deswegen macht es mir keine Angst, wenn Absolventen nach dem Studium das Land verlassen, Hauptsache sie halten es in guter Erinnerung. Wir brauchen Weltenbürger, Nomaden, bewegliche Köpfe."
Klotzen, nicht kleckern
Jens Strackeljahn nickt seiner Kollegin zu. Der Rektor der Magdeburger Otto von Guericke Universität fordert ein deutlich innovationsfreundlicheres Klima für Gründer, für junge Start-Up-Unternehmen. Letztlich seien die Studierenden ja so was wie die Über-Lebensversicherung Sachsen-Anhalts, so Strackeljahn weiter.
"Da würde ich mir so einen Wind, der durchs Land weht, wünschen. Dass man sagt, jawohl, das ist eine Region, ein Land in Deutschland, wo die Post abgeht."
Man solle sich Länder wie Israel zum Vorbild nehmen, sagt Strackeljahn noch. Ein Land, das vor 70 Jahren aus dem Nichts gestartet ist, heute zu einer der weltweit führenden Hochtechnologie-Regionen gehört. Das sei auch in Sachsen-Anhalt möglich. Klotzen, nicht kleckern, das sei das Gebot der Stunde. Und dann – so vermutet der habilitierte Maschinenbauer Strackeljahn – würden auch deutlich weniger Absolventen das Land Sachsen-Anhalt verlassen.
Wissenschaftsminister plant mehr Innovation
Forderungen, die ganz im Sinn des SPD-Wissenschaftsministers Armin Willingmann sind. Er will als ersten Schritt eine Hochschul-Novelle auf den Weg bringen, die es den Hochschulen künftig erleichtern soll, Unternehmen auszugründen, sich an Unternehmen zu beteiligen.
"Wir müssen da was Innovatives versuchen. Und wir sollten versuchen, deutlich mehr Freiheitsgrade zu erzeugen, als sie bislang andernorts schon vorhanden sind."
Willingmann nennt es die Grundlage für mehr Innovation, für mehr Patente made in Sachsen-Anhalt. Dann würden viele Absolventen schon bleiben, ist er überzeugt. Mit einem Willkommensministerium dagegen kann der Wissenschaftsminister rein gar nichts anfangen.