
Eine Wiese im Erzgebirge, irgendwo zwischen Aue und Schneeberg. Jan Raupach steht in schwarzem Mantel, Hut und Hütestock am Zaun. Mit einem Traktor hat er Heu herangeschafft. Es ist Essenszeit.
"Sst, SST, kupp, kupp, hier zu mir, Vera hier, jetzt wissen sie natürlich, dass die Hunde da sind. Je mehr die Hunde zurückgehen, umso mehr kommen sie zu mir."
Während die Hunde Finn und Vera die Herde einkesseln, schauen über 100 Schafe mit erwartungsvollem Blick. Raupachs Rufe sind ihnen vertraut, eigentlich aber das Signal zum Aufbruch. Denn im Winter legt die Herde bis zu 25 Kilometer am Tag zurück. Dann folgen die Tiere Raupach auf Schritt und Tritt und suchen sich Futter in der Natur. Im Frühjahr leben sie für einige Zeit im Stall und auf angrenzenden Wiesen. Hier werden ihre Klauen verschnitten, ihr Fell wird geschoren.
"Im Sommer führ ich sieben Herden. Im Herbst werden alle zusammengezogen: Dann brauch ich zwei drei Tage, bis die Herde sich wieder geformt hat und dann geht's los. Dann fresse ich mich sozusagen durchs Gelände."
Arbeit an 365 Tagen im Jahr
470 Schafe besitzt Jan Raupach. Mit seinen Tieren zieht er über Bergwiesen und ehemalige Truppenübungsplätze, über private Flächen und öffentliche. Ein Teil der Lämmer verkauft er. 365 Tage im Jahr arbeitet der 46-Jährige unter freiem Himmel. Er liebt seine Tiere und seinen traditionsreichen Beruf, der schon seit Jahrhunderten der Landschaftspflege dient. Leben kann er von seiner Arbeit allerdings immer schlechter. Die Freiland-Haltung von Schafen ist zwar gesellschaftlich gewollt, denn Bio- und regionale Waren werden immer stärker nachgefragt. Das Produkt Schaf ist trotzdem nicht mehr lukrativ, sagt Jan Raupach.
"Das Problem ist die Nahrungsmittelindustrie, Preisdruck, Fleischschwemme von Neuseeland her, die Großproduzenten. In der Menge liegt die Summe. Deutschland deckt nur noch 40 Prozent vom Eigenbedarf, der Rest ist alles Import, egal ob Großbritannien, Spanien, Frankreich oder gefroren aus Neuseeland."
Auch der Wollpreis hat sich auf niedrigem Niveau eingependelt. Zwischen 35 Cent und einem Euro bekommt Raupach pro Kilo, davon kann er gerade die Scherkosten decken. Das Resultat: Deutschland verliert seine Schafe. Lebten Anfang der 1990er Jahre hier über drei Millionen Schafe, sind es jetzt gerade 1,5 Millionen. Auch die Zahl der Schafhalter ist in den letzten fünf Jahren um 20 Prozent gesunken. Die Ursachen sieht Stefan Völl, Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Landesschaftzuchtverbände auch in der Agrarpolitik.
"In der Vergangenheit wurde ein gewisser Einkommensausgleich an den Schafhalter im Zuge einer Mutterschafprämie gezahlt. Das heißt, durch diese billigere Importware aus Neuseeland wurde ein Differenzbetrag pro Mutterschaf ausgezahlt. Das ist jetzt durch die Agrarreform verändert worden. Die gesamte Unterstützung wird bezogen auf die Fläche. Was der Landwirt dann auf der Fläche bewirtschaftet ist seine eigene Entscheidung."
Lieber finanziell geförderte Biogas-Anlagen
Junge Landwirte werden sich also dreimal überlegen, ob sie wirklich Schafe züchten wollen - oder doch lieber Biogas-Anlagen bauen, die finanziell gefördert werden. Dabei sind Schafe nicht nur umweltfreundliche und kostengünstige Rasenmäher, sie schützen durch ihren Tritt vor Erosionen und dienen dem Deich- und Hochwasserschutz. Wanderschafe transportieren zudem in ihrem Fell sowie in Hufen und Kot Pflanzensamen und kleine Tiere und sorgen für den genetischen Austausch. Wenn das verloren geht, verändert sich die Natur, sagt Jan Raupach
"Die Flächen, die wir heute freihalten, Biotope, Naturschutzgebiete, Kulturlandschaften wie die Almen, die früher gerodet worden sind, die holt sich die Natur zurück. Arten, die sich dort über die Jahrhunderte angesiedelt haben werden verdrängt. Zum Beispiel Bodenbrüter - wenn das verbuscht - die brüten dort nicht mehr, weil die ja die Offenlandflächen brauchen. Nassstellen trocknen aus, weil die Vegetation zunimmt. Schmetterlinge, Falter oder Salamander fallen dem dann zum Opfer."
Raupachs Kinder wollen nicht in seine Fußstapfen zu treten. Nur wenige junge Menschen haben den Berufswunsch Wanderschäfer. Das was Jan Raupach an seinem Job schätzt, reizt sie nicht mehr: die Stille fernab der digitalen Welt – jene Qualität, für die Touristen Geld bezahlen, wenn sie im Erzgebirge Urlaub machen.