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Sachsen
Das Beschwerde-Portal der AfD - und seine Folgen

Schüler in Sachsen können sich seit Kurzem auf einer Online-Plattform der AfD-Landesfraktion anonym über ihre Lehrer beschweren. Die sehen die Freiheit des Unterrichts und ihre Persönlichkeitsrechte gefährdet. Doch die Folgen sind noch weitreichender: Künftige Lehrkräfte könnten abgeschreckt werden.

Von Claudia Euen | 15.11.2018
    Blick in ein Klassenzimmer in Cottbus, Schüler sitzen an Tischen
    Das Beschwerdeportal der sächsische AfD Landesfraktion lässt Schüler anonym ihre Lehrer bewerten (dpa / Patrick Pleuel)
    Christian Eichfeld und Maike Jirschitzka sitzen in ihrem Büro im neugebauten Gebäude der Erziehungswissenschaft der Uni Leipzig und sind erstmal erleichtert. Als vor circa vier Wochen das Beschwerde-Portal Lehrer-SOS in Sachsen online ging, hatten sie viel diskutiert, einen offenen Brief verfasst und an rund 200 Kollegen verschickt. Seit gestern nun ist das Schreiben raus an die AfD-Landtagsfraktion mit 61 Unterschriften.

    "61 Klarnamen von Menschen, um sozusagen klarzumachen, diese 61 Personen werden sich auch in Zukunft kritisch zu den Aktivitäten und Anschauungen aller Parteien aber insbesondere der AfD äußern, wie dieses Meldeportal, das dazu dient, das gleichwertige Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu gefährden."
    So Christian Eichfeld. Die Klarnamen sind ihnen deshalb wichtig, weil im sächsischen Portal Meldungen anonym eingereicht werden können. Zudem wird ausdrücklich dazu aufgefordert, Bilder hochzuladen. Das schüre Angst, erklärt Eichfeld, zudem seien die Folgen für den Unterricht immens.

    "Für Lehrer würde es natürlich Druck bedeuten, anonym denunziert werden zu können, indem also irgendwelche Meinungen von Lehrkräften, ob sie nun stimmen oder nicht, gemeldet werden. Ich würde meinen, dass ganz eindeutig, die Freiheit des Unterrichts und auch die Persönlichkeitsrechte der Lehrkräfte verletzt werden."
    Neutraler Schulunterricht nicht möglich
    Inspiriert waren Jirschitzka und Eichfeld von den Kollegen an der Berliner Lina-Morgenstern Schule, die sich in einem offenen Brief selbst angezeigt hatten, um mögliche "Verstoßanzeigen" vorweg zu nehmen. Denn Schulunterricht - so wird auf Lehrer-SOS gefordert - sollte "das schulische Neutralitätsgebot" wahren. Für die studierte Pädagogin Maike Jirschitzka aber schwingen in der Wissensvermittlung immer auch Werte mit.

    "Ich denke, neutralen Unterricht kann es überhaupt nicht geben, da wir immer sozusagen Menschen sind, die miteinander im Austausch stehen. Ein plakatives Thema wäre immer die NS-Zeit und der Holocaust, aber auch andere Themen: Wenn es um rassistische Äußerungen, um menschenrechtsverletzende Äußerung geht, kann keine Neutralität gewahrt werden oder solche Äußerungen sind nicht gleich gut wie Äußerungen für Menschenrechte oder mit einem humanistischen Menschenbild."
    Der Brief stößt bei vielen Vertretern in Politik, Lehrerverbänden und Gewerkschaften auf offene Ohren. Sachsens Kultusminister Christian Piwarz hatte schon im Vorfeld das Vorhaben der AfD scharf kritisiert. Die Landesvorsitzende der sächsischen Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Ursula-Marlen Kruse, fühlt sich in eine andere Zeit zurückversetzt.

    "Ich hab ganz viel gelesen, dass das so Stasi-Methoden sind, ich hab überlegt, dazu hat nicht mal die Stasi öffentlich aufgerufen, jemanden anzuzeigen. Das ist eigentlich die Zeit der Hexenverbrennung und das sind Gestapo-Methoden und natürlich maßt sich die AfD da eine staatliche Aufgabe an, die sie überhaupt nicht hat."
    In Sachsen fehlen rund 3.000 Lehrkräfte
    Denn bei Problemen im Schulalltag wurde in der Vergangenheit direkt das Gespräch mit dem Kulturministerium gesucht. Dieses öffentliche Anprangern aber wäre wenig lösungsorientiert. Im Gegenteil. Sachsen hat derzeit mit schwerwiegenden Problemen im Bildungssektor zu kämpfen. Rund 3.000 Lehrer fehlen: Unterrichtsausfall, unbesetzte Stellen, es mangelt an Nachwuchs. Der Vorstoß der AfD aber schreckt Lehramtsanwärter außerhalb Sachsens eher ab, sagt Kruse.

    "Das politische Klima in Sachsen, zu dem die AfD natürlich kräftig beitragen, führt an vielen Stellen jetzt schon zu ganz praktischen Folgen. Wenn ich jemand aus einem anderen Bundesland begegne und wir reden über Einstellungen, dann gibt es junge Leute, die zu mir sagen: Ihr könnt verbeamten wie ihr wollt, ihr könnt mir eine Eingruppierung geben, wir ihr wollt, ich geh nicht in ein Land wo in absehbarer Zeit die Nazis die Macht haben. Nun ist die Gleichsetzung der AfD mit Nazis manchmal ein bisschen einfach, aber von außen wird Sachsen so wahrgenommen."
    Schüler der zwölften Klassen der Friedrich-Schiller-Schule in Leipzig haben das Online-Portal im Unterricht schon besprochen. Während sie eher für jüngere Schüler eine Gefahr sehen, pendeln sie selbst zwischen Gelassenheit und Obacht.

    "Wir haben darüber ein bisschen diskutiert. Der Tenor war auf jeden Fall bei mir und der zwölften Klasse, dass das Schwachsinn ist. Es gibt niemanden, den ich kenne, der tatsächlich auf den Gedanken kommen würde, da was einzutragen oder einen Lehrer zu verpetzen sozusagen. Also da mach ich mir zum Glück überhaupt keine Gedanken."
    Sagt Jan Baudisch. Sein Mitschüler Noah Wehn ist Sprecher des Landesschülerrates in Sachsen und will sich nächste Woche mit der AfD-Fraktion zum Gespräch treffen. Seine Botschaft:
    "Schule ist ein politischer Raum, Schule muss ein politischer Raum bleiben, aber Schule darf nicht von irgendwelchen Parteien benutzt werden. Und hier wird einfach Landtagswahl auf eine ganz andere gesellschaftliche Ebene gezogen."
    Am 1. September 2019 sind in Sachsen Landtagswahlen.