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Sachsen
Es brennt in Meißen

Knapp ein Viertel der Sachsen gehört einer der beiden großen Kirchen an. Viele Gemeindemitglieder engagieren sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe. Pfarrerinnen und Pfarrer predigen gegen Fremdenhass. Doch wie groß ist die Prägekraft des Christentums noch? Und wie politisch sollen die Kirchen überhaupt sein?

Von Alexandra Gerlach | 02.03.2016
    Einsatzkräfte der Feuerwehr vor einer Asylbewerberunterkunft in Meißen.
    In der Nacht vom 28. Juni 2015 wurde in Meißen ein frisch saniertes Mehrfamilienhaus, das für Flüchtlinge hergerichtet worden war, unmittelbar vor dem Bezug in Brand gesetzt. (picture alliance/dpa/Roland Halkasch)
    "Meine erste Konsequenz war: Durchhalten! Egal was passiert!", sagt Ingolf Brumm. Er hat einiges durch. Er ist Bauunternehmer in der sächsischen Porzellan- und Weinstadt Meißen. Die Nacht vom 28. Juni 2015 hat sein Leben verändert. Damals setzten Brandstifter ein von ihm frisch saniertes Mehrfamilienhaus, das für Flüchtlinge hergerichtet worden war, unmittelbar vor dem Bezug unter Feuer. Es war einer von insgesamt drei Anschlägen auf sein Haus. Noch in der Nacht, als er vor dem brennenden Gebäude stand, wurde er von Schaulustigen und Nachbarn verhöhnt und beschimpft. Ingolf Brumm:
    "Ich hatte das Gefühl, dass ich dabei auch mit den Partnern, die eigentlich zu mir stehen müssten, allein war, also sprich, diejenigen, die die Staatsmacht ausüben in der Region, die Stadt, der Kreis, das Land. Ich hatte aber im Gegenzug dazu einige neue Freunde kennengelernt, die spontan mir geholfen haben, vor allem moralische Unterstützung geboten haben. Das waren in erster Linie die Kirchen, obwohl ich nicht Kirchenmitglied bin, die mir sehr den Rücken gestärkt haben und auch meiner Frau."
    Pfarrer Bernd Oehler von der evangelischen St. Afra Gemeinde Meißen war damals einer der ersten, die den schockierten und auch traumatisierten Unternehmer auffingen und unterstützen. Oehler arbeitet unter anderem in der Notfallseelsorge, er weiß, was in Situationen wie diesen zu tun ist. Die Nacht vom 28. Juni ist für die Elbestadt ein unrühmliches Novum, der Pfarrer ist alarmiert.
    "Es brennt in Meißen! Dann war die nach meinem Wissen erste öffentliche Aktion, dass wir gesagt haben, wir lassen und das nicht bieten, sondern wir bieten ein öffentliches Friedensgebet an, wo man auch nicht beten muss, wem das fremd ist, sondern einfach nur ein Statement verlesen kann. Ingolf Brumm und Dr. Hermann und andere haben einfach ihre Wahrnehmung in ihrem Statement angegeben und dafür eine Kerze entzündet. Andere haben gebetet, machen haben nur einfach geweint, und andere waren still und manche haben gesungen. Hinterher hat man sich verabredet, was ist jetzt alles möglich?"
    Die Flüchtlingskrise hält für die Kirchgemeinden in ganz Deutschland völlig neue Herausforderungen und Aufgaben bereit. Nach der Krise mit mehr als 500.000 Kirchenaustritten allein im Jahr 2015, erleben sie nun vor allem im Osten Deutschlands eine Renaissance bürgerschaftlichen Engagements, wie seit 1989 nicht mehr. Dabei erweist sich das enge Netz von Gemeinden im Freistaat Sachsen als großer Vorteil für die zahlreichen Ehrenamtlichen, die sich im Rahmen der Kirche in der Flüchtlingshilfe engagieren. Allein die evangelische Kirche unterhält derzeit im Freistaat 719 Kirchgemeinden. Die Katholische Kirche hat rund 100 Pfarreien im Freistaat. Diese Strukturen weiß auch das Kulturbüro Sachsen e.V. für sich zu nutzen. Geschäftsführerin Grit Hanneforth:
    "Für uns als Kulturbüro Sachsen, wir machen ja Beratungsarbeit vor Ort in den Gemeinden und Kommunen zu Fragen von Umgang mit Flucht und Asyl, sind Kirchengemeinden für uns existentiell. Sie sind Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, weil es sie in ganz vielen Gemeinden vor Ort gibt, und weil sie gerade die Fragen von Flucht und Asyl noch einmal aus einer christlich-ethischen Perspektive beantworten und damit tatsächlich noch mal neben dem Grundgesetz eine andere Facette in den Blick nehmen, nämlich die Frage des christlichen Menschenbildes."
    Knapp 20 Prozent der rund 4 Millionen Sachsen sind Protestanten und etwa 4 Prozent gehören der katholischen Kirche an. In den letzten Jahren haben einige Sachsen als Erwachsene den Weg zum Glauben entdeckt und sind der Kirche beigetreten, so wie Antje Hermenau. Die ehemalige Grünen-Politikerin ist heute Unternehmerin und berät Sachsens Mittelstand. Sie hat klare Erwartungen an die Rolle der Kirchen in dieser schwierigen und emotional aufgeheizten Zeit:
    "Ich würde mir sehr wünschen, die Kirchen würden sich stärker engagieren. Es gibt einzelne Pfarrer, die in den Gemeinden Diskussionen organisieren, das kann man noch verstärken. Die Pfarrer haben ja zur Zeit der friedlichen Revolution eine große Rolle gespielt, sie haben die runden Tische moderiert. Wir sind wieder in einer Phase der runden Tische und ich wünschte mir, dass die Pfarrer, die sehr geschult sind in Moderation, in Mediation und Gesprächsführung, dass die eine ganz aktive Rolle spielen."
    Zugleich beklagt Hermenau, dass die Kirchenleitungen beider großer Konfessionen sich manchmal schwer tun, politisch "heiße Eisen" als Themen aktiv aufzunehmen und in offensiver, professioneller Weise aufzuarbeiten.
    "Auch in der Vorbereitung der beiden Kirchentage jetzt in Leipzig, 2016 katholisch, 2017 evangelisch, es war so, machen wir was zu Pegida, machen wir nichts zu Pegida. Es war schwierig. Und das ist schade. Wir brauchen jetzt sehr viele selbstbewusste Moderatoren in der öffentlichen Debatte."
    Zugleich ist eindeutig, dass die Kirchen 2016 in der Bewältigung der Flüchtlingsfrage nicht mehr die Prägekraft entfalten, wie im Umbruch 1989. Für den Meißener Pfarrer Bernd Oehler ist dennoch klar, dass Kirche in der Flüchtlingsthematik streitbar und unmissverständlich in ihren Aussagen sein muss.
    "Nächstenliebe verlangt Klarheit. Wir müssen also protestieren, dort wo Menschenrechte gebrochen werden, wir müssen widersprechen, wo Menschen gequält und misshandelt werden, wir müssen uns um Gottes Willen einsetzen, wenn das Ebenbild Gottes geschändet wird."