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Sachsens Ermittler
Achtung, hier twittert die Polizei

Das Social Media Team der sächsischen Polizei war ursprünglich dazu gedacht, Nachwuchs zu gewinnen. Doch besonders dieses Jahr musste die Redaktion sich und die Polizei-Kollegen gegen viele Vorwürfe verteidigen - etwa nach dem Mord auf dem Chemnitzer Stadtfest. Humor, weiß man bei den Social Media-Redakteuren, kann sich nicht jeder leisten.

Von Bastian Brandau | 20.12.2018
    Ein Mitarbeiter des Social Media Teams der Polizei sitzt in einem Raum im Polizeipräsidium vor seinen Computern.
    Im Ernstfall schnell reagieren und falsche Informationen richtigstellen. So die Aufgabe der Polizei in den sozialen Netzwerken. (dpa / Paul Zinken)
    "Hallo! / Guten Morgen, liebes Team. / So, in altbewährter Runde treffen wir uns heute wieder um zehn. Unser System ist klar. Philipp, du hattest die Kanäle mit…, erzähl erst mal…"
    Ein Büro im Leipziger Norden: Zwei Redakteure und eine Redakteurin blicken auf einen großen Bildschirm. Zugeschaltet aus Dresden grüßen eine Kollegin und ein Kollege. Der angesprochene Kollege in Dresden trägt ebenso eine blaue Uniform wie Redaktionsleiter Olaf Hoppe. Der, schwarze Haare, groß gewachsen, ist seit 1999 Polizist. 2015 wechselte er ins Social Media Team der Polizei Sachsen.
    Das war ursprünglich gegründet worden, um potenziellen Polizei-Nachwuchs in den sozialen Medien anzusprechen. Doch mit der Zeit sei es immer wichtiger geworden, im Krisenfall zu reagieren, erklärt Hoppe. An seinem Schreibtisch hat er vor sich zwei PC-Monitore, ein Tablet, ein Festnetz-Telefon und das Handy. Letzteres hat der diensthabende Redakteur auch über Nacht und am Wochenende zu Hause:
    "Welche Brisanz hat das?"
    "Das Telefon ist so ein bisschen schon der zweite Partner geworden, was nicht immer gut ist. Man checkt natürlich immer, was los ist, auf Facebook, Twitter, Instagram. Das ist auch eine der wichtigsten Aufgaben durch uns, immer zu schauen: Inwiefern ist die Polizei von einer Meinung betroffen, was wird über uns gesprochen, wie werden wir angeschrieben. Und vor allem: Welche Brisanz hat das?"
    Von Brisanz an diesem Freitag keine Spur. Eine Kollegin schneidet ein Video mit Tipps zum Schutz vor Taschendiebstahl auf dem Weihnachtsmarkt. Noch einmal aufbereitet wird die Geschichte eines gestohlenen Stoppschildes - kann man das vielleicht humorvoll verpacken, als Weihnachtsgeschenk?
    Doch brachte das Jahr 2018 durchaus brisante Momente für die sächsische Polizei. Und fast immer hatten die mit den sozialen Medien zu tun. Man denke an das Video eines pöbelnden Afd-Pegida-Demonstranten, das ein Journalist zunächst über Twitter verbreitete. Oder die Gerüchte, die vor allem via Facebook in Umlauf gerieten, nachdem Ende August in Chemnitz auf dem Stadtfest ein Mann erstochen wurde - eine Bluttat, die dann monatelang die Öffentlichkeit beherrschte.
    Zugeben, wenn man keine Informationan hat
    "Und an diesem Tag war es erstmal so, dass wir gar keine Hinweise hatten auf das vorangegangene Tatgeschehen, wie es geschildert worden ist. Und damals wurde sehr schnell in Absprache mit der Polizeidirektion Chemnitz - die dortige Pressestelle ist verantwortlich - reagiert: Um dann nochmal ganz klar zu sagen, dass diese Vorwürfe, die da im Netz kursieren, falsch sind, oder wir sie absolut nicht bestätigen können."
    … etwa, dass der Messerattacke ein Streit über die Belästigung einer Frau vorangegangen war.
    Die Aufgabe lautet: Im Ernstfall schnell reagieren und falsche Informationen richtigstellen. Und auch erstmal sagen, dass man keine oder wenig Informationen habe, diese aber nachliefern werde.
    Im konkreten Fall klingt das auf Twitter so:
    "Entgegen den in einigen Medien kursierenden Infos gibt es nach jetzigem Ermittlungsstand bzgl. des Tötungsdelikts in #Chemnitz keinerlei Anhaltspunkte, dass eine Belästigung der Auseinandersetzung vorausging. Bitte beteiligt euch nicht an Spekulationen!"
    Humor: Eine Gratwanderung
    Die Polizei duzt in den sozialen Medien und lässt sich duzen. Der Wunsch in den sozialen Medien nach schnellen Informationen widerspricht jedoch der Arbeitsweise der Polizei - die ja erst einmal Zeugen hören muss. Als Reaktion auf die zahlreichen, teils herrischen Anfragen und Gerüchte reagierte das Social Media Team so:
    "Kleinen Moment, rede gerade mit Frau Merkel. Mal ernsthaft: Glauben Sie den Quatsch selbst? Wir ermitteln, und dann ist es Aufgabe der Justiz zu urteilen. Nicht Frau Merkel. Nicht #Wutbürger. Nicht irgendein Mob. #c2608 #Chemnitz *fs"
    Die Polizei ist eine Behörde und hat den Auftrag, neutral zu formulieren. Der Umgang mit Humor sei daher immer eine Gratwanderung, sagt Polizist Olaf Hoppe.
    "Und da sind wir ja wieder beim Thema: Was kommt beim Gegenüber an? Unser Ziel muss ja sein, dass unsere Nachricht beim Gegenüber ankommt. Wir als Polizei Sachsen, die ja über Jahre hinweg immer wieder kritisch gesehen werden, auch wenn wir ja immer wieder jede Menge Kritiken auch produzieren, der steht das im Moment nicht zu, sozusagen so humorvoll zu sein, wie das vielleicht manch anderer sein kann. Humor muss man sich auch erarbeiten - oder das Verständnis für Humor."
    "Lernprozesse bei uns in Gang bringen"
    Wenig Anlass zu Humor bieten dem Social Media Team teilweise die eigenen Kollegen. Der sächsische Polizist Karsten Hilse sitzt für die AfD im Bundestag. Auf einem Demonstrations-Video aus Berlin singt er ein Lied, in dem Angela Merkel bedroht wird. Verschiedene Twitter-Nutzer sprechen die Polizei Sachsen darauf an. Die Antwort müsse in diesem Fall kurz ausfallen, sagt Olaf Hoppe:
    "Er ist Abgeordneter. Das heißt, er genießt alle Rechte als Abgeordneter. Und da geht es bis hin zu Immunität, denn es geht ja um das Politische. Er ist da vollkommen frei in seinen Äußerungen, die er macht. Er hat auch in dem Moment nichts mit uns als Polizei zu tun. Er trifft die Äußerungen auch nicht als Polizeibeamter, denn er ist im Moment bei uns gar nicht da. Und deswegen können wir uns auch nicht zu ihm äußern. Das ist eine andere Sphäre."
    Auch weil die Demonstration in Berlin stattfand und damit die dortige Polizei zuständig ist.
    Doch auch Kollegen im Dienst haben zuletzt für Diskussionen in den sozialen Netzwerken gesorgt. In einer Polizeimeldung zu einer Messerstecherei in Freital bezeichnet die Polizei Dresden die beteiligten Deutschen schlicht als "Freitaler". Die Nationalitäten von Nicht-Deutschen benennt sie aber üblicherweise.
    "Das ist sachlich nicht ganz richtig. Weil man natürlich im Wohnort trotzdem eine andere Nationalität sein kann. Und das haben wir auch besprochen mit denen. So etwas führt auch zu Prozessen: Sprich, dass wir nochmal alle überdenken, wie wir das machen. Manchmal ist weniger Intention bei uns drin, als uns derjenige, der das schreibt, suggerieren möchte. Das ist jetzt vielleicht auch nicht so bedacht worden mit dieser Endkonsequenz, mit der es am Ende diskutiert wurde. Aber das nehmen wir uns an. Das ist ja auch der Vorteil des Netzwerkes, dass man darüber spricht. Und wenn es sachlich und höflich ist, dann kann man bei uns einen Lernprozess sehr gut in Gang bringen."