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Sachverständigenrat für Umweltfragen zur Europäischen Chemikalienverordnung

Chemische Stoffe systematisch erfassen und bewerten - das ist das Anliegen der europäischen Chemikalienverordnung. Das große Umweltschutzvorhaben der Europäischen Union ist heiß umstritten zwischen der Industrie, die in den detaillierten Vorschriften einen Arbeitsplatzvernichter sieht, und Umweltschützern, die Schutz vor Gesundheitsgefahren erhoffen. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen hat jetzt dazu Stellung bezogen.

Von Dieter Nürnberger |
    Seit rund 20 Jahren wird inzwischen schon in der EU über einen sicheren und transparenten Umgang mit Chemikalien diskutiert. Dabei geht es beispielsweise um Lacke und Farben, Kunststoffe aller Art, auch um Zusatzstoffe und Weichmacher. Ziel von REACH ist es, das Wissen über diese Stoffe zu erweitern, damit künftig Risiken für den Menschen und auch die Umwelt ausgeschlossen werden können. Im November gehen die Diskussionen, auch vor dem EU-Parlament, in die heiße Phase. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat sich deshalb noch einmal mit dem Thema befasst. Und nach Ansicht des unabhängigen Wissenschaftlergremiums soll der Vorschlag der EU-Kommission aus dem Jahre 2003 hierbei Vorfahrt haben. Auch wenn die Sachverständigen Korrekturen fordern. Bei REACH geht es vor allem um Altstoffe, die bis heute noch nicht gründlich erforscht worden sind, dennoch aber seit Jahrzehnten verwendet werden. Ursprünglich dachte man, dies seien rund 100.000 Altstoffsubstanzen, diese Zahl konnte inzwischen nach unten korrigiert werden, es sind wohl rund 30.000. Der Teufel liegt im Detail, wo soll man da anfangen? Die EU-Kommission schlägt vor, zuerst die größeren, hergestellten Mengen zu testen. Hans-Joachim Koch, der Vorsitzende des Rates, möchte dies ergänzt sehen.

    "Das ist natürlich nicht in jeder Hinsicht richtig, denn es gibt auch Stoffe in kleinen Mengen, die eventuell für den Menschen riskant sein können. Von daher vielleicht gefährlicher sind als die in großen Mengen hergestellten Stoffe. Dann empfiehlt es sich, den Ansatz der EU-Kommission so zu korrigieren, dass man sagt: Große Mengen prüfen wir zuerst, wenn wir aber Sicherheit haben, dass Stoffe in geringerer Menge riskanter sind, dann prüfen wir diese zuerst. "

    Der Vorschlag der EU-Kommission ist ohnehin schon ein Kompromisspapier - das Ergebnis jahrlanger Auseinandersetzungen. Betroffen wären vor allem die Hersteller und Importeure der chemischen Stoffe, denn bislang ist es so, dass diese für ihre Chemikalien und deren sichere Anwendung keine nachweisliche Verantwortung übernehmen müssen. Das soll sich mit REACH ändern. Allerdings läuft die Industrie gegen diese beabsichtigten Neuerungen Sturm. Seit dem EU-Vorschlag hat es deshalb immer wieder alternative Vorschläge gegeben, beispielsweise vom Binnenmarkt- und Industrieausschuss des Europaparlaments. Laut Sachverständigenrat droht hier eine Verwässerung der Kriterien.

    "Das REACH-Verfahren basiert ja auf einer starken Beteiligung der Industrie. Die in vielen Punkten ihren Daten selber liefern darf oder auch muss. Dieser Datensatz ist allerdings für die Einschätzung des Risikos der Stoffe für die Behörden von großer Bedeutung. Und hier drohte nun eine starke Reduktion Daten, die die Industrie liefern soll. Wenn das Recht werden würde, wäre REACH schwer brauchbar."

    Die betroffenen Branchen sprechen von einem Bürokratie-Monstrum, welches zudem viel zu teuer sei. Hier drohten Wettbewerbsnachteile auf dem globalen Markt. Somit seien Arbeitsplätze in Gefahr. Heidi Foth ist Toxikologin an der Universität in Halle Wittenberg. Sie hat die Empfehlung des Sachverständigenrates mitverfasst. Die Prüfung von Stoffen sei für die Firmen eine zusätzliche Belastung, dies habe Auswirkungen, doch übertrieben werde in dieser Frage natürlich auch.

    "Das heißt, wenn ich eine Prüfung für Europa machen muss, und für die USA oder Asien nicht, dann ist es für einen USA-Anbieter billiger. Damit ist die Konkurrenzsituation verschoben. Wir meinen schon, dass diese Argumente sehr wichtig sind, aber der europäische Weg zur Chemikaliensicherheit letztendlich die Produkte sicherer macht. Und das dadurch die Firmen ihre Produkte auch besser verkaufen können. Der Verbraucher engagiert sich somit mit, indem er über seine Stoffe mehr Bescheid weiß, sich auch bewusster beim Kauf entscheidet. "

    Und wer sagt denn, so die Toxikologin, dass verwendete Chemikalien von vornherein schädlich für Mensch und Umwelt sein müssten? Die notwendige Reform des Chemikalienrechts, REACH also, prüfe dies, aber am Ende werde in vielen Fällen auch das OK der Behörden für eine uneingeschränkte Produktion stehen.