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Sachwalter deutscher Musik

Hermann Abendroth durchlief eine durch und durch deutsche Karriere. Von München führte sie über Zwischenstationen in Lübeck und Essen nach Köln und Bonn. Abendroth, in den 1920er Jahren der republikanischen Linken zuneigend, schwenkte auf den Kurs der Nationalsozialisten ein und wurde mit der Stelle des Gewandhauskapellmeisters in Leipzig belohnt. Nach dem Krieg arrangierte er sich dann mit dem SED-Regime, deutsche Musik ging ihm über alles. Vor 50 Jahren ist er gestorben.

Von Frieder Reininghaus | 29.05.2006
    Was einen Künstler aus dem weiten Feld seiner kompetenten Kollegen heraushebt und seinen Ruf dauerhafter macht, unterliegt dem historischen Wandel: Manche Epoche begeistert sich für genialische Wunderjünglinge und wird von den Frühvollendeten ergriffen, zu andern Zeiten stehen die reife Meisterschaft und ein sorgfältig summiertes Lebenswerk höher im Kurs. Hermann Abendroth, 1883 in Frankfurt am Main geboren, gehörte zu den grundsoliden Leistungsträgern eines blühenden symphonischen Lebens in mittleren und großen Städten.

    Und doch zeichnete ihn sein Führungsstil ebenso wie so manches illustre Resultat vor anderen aus. In einem guten halben Jahrhundert am Dirigentenpult, das für den 20-Jährigen beim Münchener Orchesterverein begann, dann über Lübeck und Essen 1915 an die Spitze des Gürzenich-Orchesters nach Köln führte, definierte er sich allemal als disziplinierter Sachwalter der Werke. Abendroth machte keinen Hehl daraus, dass er von narzisstischem "Pultvirtuosentum" nichts hielt. Er war von Musik durchdrungen und ein Workaholic, verstand sich dabei als primus inter pares, nicht als Kommandant. Unter seinen Händen konnte die Musik frei durchatmen und tiefe Innigkeit verströmen.
    Hermann Abendroth, in München ausgebildet von Ludwig Thuille in Theorie und Komposition sowie von Felix Mottl im Dirigieren, stand entschieden in der deutschen Kapellmeister-Tradition des 19. Jahrhunderts. Freilich zeigte er sich in den Jahren der Weimarer Republik aufgeschlossen gegenüber dem Neuen und wollte diesem auch die Türen der Ausbildungsstätten öffnen. Er übernahm in Köln auch die Leitung des bis dahin sehr konventionell gehaltenen Konservatoriums und formte es zu einer modernen Musikhochschule.

    Sein Interesse am zeitgenössischen Schaffen und sein Hochleistungswille zogen den Zorn der rechtslastigen Lokalpresse auf sich, sie denunzierte ihn als "Kulturbolschewisten" und zugleich als Egomanen, der "auf Kosten der musikalischen deutschen Jugend seine eigenen elitären Ansprüche zu verwirklichen sucht". Gleich nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" wurde Abendroth, der 1930 nach Bonn gewechselt war, als Generalmusikdirektor entlassen, auch als Leiter der Niederrheinischen Musikfeste abgesetzt, verhaftet, verhört und eingeschüchtert. Da er in seiner Bedrängnis darauf verweisen konnte, dass er doch stets deutsch gedacht und gehandelt habe, stieg er auf das Angebot ein, sich als Leiter der pädagogischen Abteilung der zur Gleichschaltung des Musiklebens installierten Reichsmusikkammer zu bewähren. Als der Dirigent Bruno Walter kurze Zeit darauf ins Exil ging, bot sich Abendroth die große Chance seines Lebens: Mit Rückendeckung einflussreicher Freunde bewarb er sich als Gewandhauskapellmeister.

    Der Karrieresprung auf die Leipziger Chefposition gelang. Und da er nun wie selbstverständlich auch NSDAP-Mitglied wurde und zur musikalischen Moderne auf Distanz ging, sich ganz um die Pflege des klassischen Repertoires von Beethoven, Schubert, Schumann bis Brahms und Bruckner kümmerte, fand er auch in Berlin viel Gelegenheit zur Profilierung. Zu den Highlights aus der Zeit unmittelbar vor dem Krieg stammen Aufnahmen wie die von Beethovens G-Dur-Konzert mit dem Pianisten Wilhelm Kempff und dem Großen Orchester des Reichssenders Berlin, aus den Tagen der Götzendämmerung des Nazireichs Ende 1944 Richard Wagners Faust-Ouvertüre.

    Nach dem Krieg war Hermann Abendroth aus politischen Gründen im Leipziger Gewandhaus nicht mehr haltbar, zog sich in die Provinz zurück, wurde aber 1946 als musikalischer Leiter der Staatskapelle und des Nationaltheaters in Weimar akzeptiert. Vier Jahre später hatte ihn auch das Leipziger Publikum wieder, als Chefdirigenten des dortigen Rundfunksinfonieorchesters. Er wurde einer der Vorzeige-Dirigenten der DDR, mit Nationalpreisen und Verdienstorden ausgestattet und auf Auslandstourneen geschickt. Die bemerkenswert gradlinige deutsche Karriere, die nur wenig Schonung der eigenen Kräfte kannte, neigte sich jedoch bald dem Ende zu: Abendroth starb am 29. Mai 1956 in Weimar bei einer Operation an Herzversagen, offiziell gewürdigt und von einer treuen Hörerschaft auch weiterhin in Ehren gehalten.