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Saddam Husseins Schokoriegel

Kaum ein Künstler hat die visuellen Medien so erforscht wie er: Sean Snyder. Eine Ausstellung in Köln widmet sich dem US-Amerikaner, der sich an der gesamten kollektiven Erinnerung unserer Medienwelt bedient - und sie in seinen Collagen neu zusammensetzt.

Von Georg Imdahl |
    Sean Snyder ist ein Medien-Nerd. Er zappt durch Fernsehkanäle und sichtet Nachrichtensendungen aus aller Welt, um sie einer eingehenden Analyse zu unterziehen. Er interessiert sich für die Randerscheinungen, die kaum auffallen, sehr wohl aber unterschwellig wirken. Wie etwa die Cola-Dosen, die auf der Landkarte des Irak stehen, als der ehemalige amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld vor der Presse über den Krieg spricht.
    Snyder richtet den Blick auf die Schokoladen-Riegel im Versteck des irakischen Diktators Saddam Hussein, die auf den Fotos seiner Verhaftung zu sehen sind und später wie Schleichwerbung um die Welt gehen. In solchen Bildern entdeckt der Künstler die Kennzeichen einer globalen Gegenwart.

    Der 1972 geborene Amerikaner hatte als Maler begonnen und einst an der Frankfurter Städelschule bei Per Kirkeby studiert. Mitte der 90er Jahre stieg er dann in die Erforschung der visuellen Medien ein und bestätigte somit auf seine Weise die damals aufkommende Bildwissenschaft. Zielstrebig wertet Snyder seitdem unterschiedlichste Quellen aus, so zum Beispiel Unterhaltungsformate und Werbeclips sowie online gestellte Amateurvideos.
    Zugleich bedient er sich bei den großen Nachrichtenagenturen und studiert die Veränderungen im Fotojournalismus. Im Lauf der Jahre wuchs ein Werkkomplex heran, den Snyder "Index" nennt und der sich zum großen Teil aus Videokassetten und Tonbändern zusammensetzte. Vor fünf Jahren entschloss sich der Künstler, sein gesamtes Archiv zu digitalisieren und die altmodischen Datenspeicher zu vernichten. Zuvor aber fotografierte er sie. Die Aufnahmen hängen jetzt im Kölnischen Kunstverein.

    In dessen langem Saal hat Snyder die Fenster mit Wandtafeln verschlossen und den Raum in eine anonyme Kammer im Neonlicht verwandelt. Beim Eintreten fühlt man sich wie in einem Kellerraum, in dem Daten auf Vorrat gespeichert werden. Auf kopfhohen, schlanken Sockeln sind elf Fernseher mit Videoarbeiten aus den letzten 15 Jahren platziert. Sie bilden eine kleine Retrospektive.

    In der frühesten Arbeit hatte Snyder noch selbst zur Kamera gegriffen und Reisende im Frankfurter Flughafen aufgenommen, die in einem Transitbereich durchs Bild laufen. Eine unscheinbare Observierung, die heute aber, vor dem Hintergrund der Überwachung durch die USA, um so realitätsnaher anmutet.

    Ansonsten greift Snyder auf Found Footage zurück, auf gefundenes Bildmaterial, das er in Collagen kombiniert. In einem Zwei-Kanal-Video sieht man zur Linken Larry Hagman alias J.R. Ewing, den Fiesling aus der TV-Serie "Dallas" mit seinem bekannt zynischen Mienenspiel; zur Rechten schweift der Blick aus dem Helikopter über die Southfork-Ranch, das Anwesen der Ewing-Dynastie.

    Die Ranch aber, die man zu sehen bekommt, steht nicht etwa in Texas, wie man einigermaßen erstaunt in einer Bildunterschrift erfährt. Ein rumänischer Millionär hat sie sich in den neunziger Jahren zum Privatvergnügen nachbauen lassen. Wobei ihm keine Baupläne zur Verfügung standen, sondern nur die Fernsehbilder der Serie "Dallas". Dabei war diese unter Ceausescu im sozialistischen Rumänien ausgestrahlt worden, um das abschreckende Gesicht des Kapitalismus vorzuführen. So heißt es jedenfalls.

    Bei all den Fragmenten, Schnipseln und Versatzstücken der medialen Realität, die Snyder montiert, enthält er sich weitgehend des eigenen Kommentars. Einem Harun Farocki ähnlich, der die Wechselwirkungen von Computeranimation und amerikanischer Kriegsführung sichtbar macht, ist auch Snyders Bildanalyse lakonisch. Er lässt das Material für sich sprechen. Seine Arbeiten bieten einen unaufdringlichen Erkenntnisgewinn und zeugen von trockenem Humor.

    "No Apocalypse, not now": Sean Snyder im Kölnischen Kunstverein, noch bis zum 23, Dezember 2013.