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Sängerin Dillon
"Entweder ich singe oder ich weine"

Angefangen hat die brasilianisch-deutsche Musikerin Dillon als Do-it-yourself-Künstlerin auf Youtube. Ihr erstes Album "This Silence Kills" war ein großer Erfolg. Das Debüt klang noch ziemlich verspielt und heterogen, ihr zweites Album dagegen nach innen gekehrt, tastend und reflektiert.

Von Florian Fricke | 12.04.2014
    "Ich bin jemand, der grundsätzlich so wenig hinzufügt wie möglich, weil ich Angst habe zu verlieren. Das mache ich in meiner Kunst genauso wie in meinem Leben. Ich hole mir erst was dazu, wenn ich es wirklich, wirklich brauche. Also gab es den Moment in der Produktion gar nicht, wo ich gesagt hätte, stopp, das ist jetzt viel zu geladen, ganz im Gegenteil."
    Dillon heißt ja eigentlich...
    "...Dominique Dillon de Byington. Dillon de Byington ist englisch, Dominique französisch, aber ich komme aus Brasilien und wohne in Deutschland. Ist okay, ist nicht so schlimm."
    Nein, auch nicht, dass sie in Köln aufgewachsen ist und nun in Berlin wohnt. Eine rheinische Frohnatur ist in ihr aber nicht zu erkennen, nicht in der Sprache und schon gar nicht in der Musik. Diese ist auf dem zweiten Album vor allem eins: nach innen gekehrt, tastend, reflektiert.
    Aber auch wenn es noch so naheliegend erscheint: Dillon ist aufgrund ihrer Biografie keine gespaltene Persönlichkeit.
    "Ich glaube wirklich nicht, dass ich mich in meiner Musik selbst suche, sondern ganz im Gegenteil, in meiner Musik weiß, wer ich bin, und deswegen nicht verwirrt bin von meinem ganzen Hintergrund und es keine Rolle spielt, ob, was ich künstlerisch mache, nicht aus Brasilien zu erwarten ist oder aus Köln. Das spielt keine Rolle."
    Wut als Wesenszustand
    Dillons ursprünglicher Impuls, mit 16 Jahren ohne große Vorkenntnisse Musik zu machen, war Verzweiflung. Pubertät hin oder her, zehn Jahre später ist ihr wesentlicher Motor immer noch Wut. Diese muss keinen Adressaten haben, sie ist eher ein Wesenszustand. Für Dillon macht es aber keinen künstlerischen Sinn, diese Wut mit Aggressionen zu bekämpfen.
    "Oh, ich schreie oft. Ich schreie in Kissen, in Kühlschränke, in Eisfächer, mit Toilettenpapier im Mund - aber das möchte ich nicht aufnehmen und hören. An erster Stelle geht es mir um Kommunikation, und Wut ist der Moment davor oder danach. Dazwischen muss ich aber mit mir reden. Und das sind die Gedichte, das sind die Lieder."
    Nach ihrem viel beachtetem Debüt "This Silence Kills", das ihr gesamtes Frühwerk zusammenfasste, wollte Dillon eigentlich sofort das zweite Album nachschieben. Doch sie konnte nicht. Eine hartnäckige Schreibblockade. Dillon versuchte es mit anderen Eindrücken, ist viel gereist. Nichts half. Fast hätte sie resigniert.
    "Dann musste ich merken, dass ich meine Perspektive wechseln musste, dass es mir nichts mehr bringt, nach außen zu gucken, weil mich da einfach nichts bewegt. Aber dass ich immer noch so wütend bin, und dass anscheinend was in mir lebt. Und dann musste ich anfangen, über mich selbst zu sprechen und zu schreiben. Und der einzige Weg, wie ich das machen konnte, war, indem ich die Texte offener gehalten habe. Sie sind geschlechtslos und zeitlos, es gibt keine Bezüge zu Orten und sie sind wahnsinnig offen."
    "Entweder ich singe, oder ich weine"
    Im Moment ist für Dillon Musikmachen eine existenzielle Notwendigkeit. Darauf muss sich der Hörer einlassen wollen, Oberfläche gibt's woanders. Aber das kann sich alles auch wieder ändern. Man darf gespannt sein, wo Dillons Persönlichkeit ihre Musik noch überall hin steuern wird.
    "Es gibt zwei Optionen: Entweder ich singe, oder ich weine. Also sing ich."
    Dillon: "The Unknown", LC 11753, Bestellnr.: BPC285CD