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Sängerkrieg in Berlin

Die Gerüchteküche brodelt seit einiger Zeit an der Deutschen Oper Berlin. Wird Intendantin Kirsten Harms ihren Vertrag über 2011 hinaus verlängert bekommen oder nicht? Gestern zeigte sie ihre dritte Produktion als Intendantin: Wagners "Tannhäuser". Immerhin – die Premiere fand statt, das Orchester demonstrierte nur mit Spruchbändern und Handzetteln vor der Vorstellung.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Vielleicht muss man den Schlussakt ja als Metapher nehmen. Da streift eine weiß gewandete schmale Frau durch eine Armada von acht mal fünf Krankenbetten. Ein Mann in silbriger Ritterrüstung erscheint hoch zu Ross, steigt herab, versucht sich der Frau zu nähern.
    In den Betten ranken Arme empor. Die Bühnentechnik zeigt was sie kann. Der Krankensaal wird verfahren zur schiefen Ebene. Das Licht wechselt vom fahlen Blau ins gleißend-feurige Büßer-Rot. Die erschöpften Pilger säuseln ihren Chor.

    Wolfram, der Ritter, beugt sich über die nun schon zu Boden gesunkene Elisabeth. Beim Lied an den Venus-Abendstern entflechtet er ihr die knielangen blonden Zöpfe, packt dann die Leblose unter ein Tuch.

    Und erst als der aus Rom ohne Absolution heimgekehrte Tannhäuser wieder die Venus beschwört als Hort aller sinnlichen Lust, rappelt sie sich auf zu neuem Leben. Was Kirsten Harms an der Deutschen Oper Berlin mit ihrem neuen "Tannhäuser" zeigen will, ist eine durchaus eigene Sicht auf diese Wagner am Lebensende selbst unfertig erschienene Oper.

    Elisabeth, die keusche Reine und am Ende Krankenschwester (wie es auch die historische Elisabeth war), und Venus, das Eva-Urbild des Weibes, sind hier eine Figur. Das ist zwar nicht neu. Aber geschärft ist die Perspektive.

    Die Männerwelt zelebriert hier nicht ihr in Heilige und Hure gespaltenes Frauenbild. Umgekehrt. Die pflanzenhafte Frau blickt auf eine gepanzerte Männerwelt, will, philosophisch gesprochen, agape und eros, geistige und körperliche Liebe vereinen.

    Die Mittel, dies zu zeigen, die die Regisseurin und Intendantin, anwendet, sind freilich, verbunden mit der ans Kitschige grenzenden Ausstattung von Bernd Damovsky, fragwürdig.

    Schon zur Ouvertüre sehen wir eine Figur in Ritterrüstung aus dem mit Beleuchtungstechnik zunächst verhängten Bühnenhimmel herabschweben. Aus dem Unterboden wedeln dem Mann viele Venus-Tentakeln entgegen, bis er sich mit einer der Lianen auf dem Altar der Liebe bettet.
    Teufelchen wie Flugsaurier stürzen hernieder, als Tannhäuser zurückkehrt in die Welt der Ritter mit ihren Pappmaché-Rüstungen und riesigen Spielzeugpferden. Für den Sängerkrieg wird kräftig an der mitunter scheppernden Bühnenmaschinerie gekurbelt.

    Die Frauen stehen da in züchtigen Historien-Kostümen, die Männer in Fantasie-Helmen mit meist geschlossenem Visier. Wenn Tannhäuser aus dieser Gesellschaft ausgeschlossen wird mit seinem Venus-Lobpreis landet er auf der Vorbühne, während die Hubpodien sich formieren zu einer festen Wart-Burg.

    Erzählt wird das alles mehr in stehenden Bildern als in Vorgängen, was das Ganze so bleiern macht. Personenregie findet kaum statt: Nadja Michael als Venus-Elisabeth ist schön anzusehen, neigt den Kopf mal zur einen mal zur anderen Seite, krümmt den Körper mehr oder weniger, zupft an ihren Haaren oder am Zopf. Stimmlich übertrumpft sie alle mühelos, wenn auch mit dem bei ihr gefürchteten flattrigen Vibrato.

    Torsten Kerl als Tannhäuser hatte sich als indisponiert melden lassen, steht aber den Abend doch recht gut durch. Einzig Markus Brück als Wolfram kann mit rundem Ton sängerisch ganz überzeugen, bekommt am Ende neben dem Chor auch als einziger ungeteilten Beifall.

    Uwe Schirmer am Pult leitet das Orchester der Deutschen Oper solide. Immerhin das Orchester spielte, was an dem Abend wegen der Tarif-Streitigkeiten nicht in allen Premieren-Theatern der Fall war. Ein Buh-Gewitter mit nur spärlichen Bravos empfing die Intendantin und ihr Team am Ende.

    Im Rang saß auch die Spitze der Berliner Kulturbürokratie. Sie dürfte ihre eigenen Schlüsse ziehen.