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Sager

Capellan: Frau Sager, eine turbulente Woche liegt hinter uns. Es gab wichtige Entscheidungen im Bundestag. Was hängen bleibt, ist allerdings eher negativ: Deutschland kurz vor der Pleite, höhere Steuern, höhere Rentenbeiträge, Kürzungen im Gesundheitsbereich, Rot-Grün unten durch bei der Bevölkerung, wenn man sich das jüngste ZDF-Politbarometer zum Beispiel anschaut. Der zynische Kommentar von Harald Schmidt dazu: ‚Das Verhältnis der Bundesregierung zu den USA ist besser als das der Bundesregierung zu Deutschland‘. Haben Sie den Menschen die Welt vor der Wahl vielleicht ein bisschen zu rosig dargestellt?

Frank Capellan |
    Sager: Ich denke, dass wir in einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Situation sind. Da stehen wir nicht alleine mit da, gerade wenn Sie das Stichwort ‚USA‘ nennen. Dort haben viele, viele Menschen ihre gesamte Altersvorsorge verloren durch die Entwicklung nach dem Platzen der Aktienspekulationsblase und nach den Ereignissen am 11. September. Das hat auch nach Europa hinüber geschwappt. Die führenden Weltwirtschaftsforschungsinstitute haben hier Anfang des Jahres zu günstige Prognosen gehabt, was die Entwicklung der Konjunktur in der zweiten Hälfte des Jahres angeht . . .

    Capellan: . . . jetzt schieben Sie das aber so ein bisschen auf die weltwirtschaftliche Entwicklung. Tun Sie das?

    Sager: Ich will ganz deutlich sagen, dass erstens die kritischen Stimmen ja nicht dazu beigetragen haben, dass zum Beispiel andere ihre Versprechen eingesammelt haben. Rot-Grün hat ausdrücklich im Wahlkampf keine großen Versprechungen gemacht, im Gegensatz zur CDU zum Beispiel. Wir haben jetzt sofort, nachdem wir in den Koalitionsverhandlungen saßen, dann unsere Prognosen angepasst. Wenn es Einnahmeausfälle gibt bei den sozialen Sicherungssystemen, dann müssen wir darauf reagieren, dann können wir das nicht einfach so laufen lassen.

    Capellan: Das leuchtet ja ein. Aber es gibt auch Leute in Ihrer Fraktion, auch bei der SPD, die sagen, das Ganze war schon ein wenig vorhersehbar. Ich möchte Oswald Metzger zitieren, Ihren Parteifreund, der gesagt hat: ‚Wir wussten vor der Wahl, dass es da riesige Haushaltslöcher geben würde, aber wir durften’s nicht sagen‘. Das klingt irgendwie plausibel.

    Sager: Das ist so falsch. Was richtig ist, ist, dass es offizielle Prognosen gab und dass die Bundesregierung ihre Annahmen über die Haushaltsentwicklung immer abstützt auf diese offiziellen Prognosen. Und wenn die sich verändern, dann zieht die Bundesregierung nach. Niemand hätte die Opposition gehindert, zu sagen, wir kassieren unsere Wahlversprechen ein, weil wir die Situation alle anders einschätzen als die Wirtschaftsforschungsinstitute.

    Capellan: Haben Sie denn absehen können, dass es notwendig sein würde, zu solchen Steueranhebungen auch zu kommen nach der Wahl, oder haben Sie es einfach nicht gewusst vor dem 22. September?

    Sager: Man muss ganz klar sagen, dass wir ja nicht einfach eine Steuererhöhungspolitik machen, sondern die Beschlüsse, die gesetzlich abgesichert sind zur Senkung der Einkommensteuersätze, die stehen ja, und die werden auch wirksam werden 2004 und 2005. Und das ist vor allen Dingen ein sehr, sehr großes Entlastungsprogramm im Bereich der Einkommensteuer.

    Capellan: Aber auf der anderen Seite: Die Mehrbelastung für viele Familien beispielsweise lässt sich nicht wegreden. Da wird von 80 bis 160 Euro geredet, die im Monat mehr auf die Betroffenen zukommt.

    Sager: Nein, man muss ganz genau hingucken, worum es jetzt geht. Es geht darum, dass wir in einigen Bereichen Sonderstellungen beseitigen. Es ist immer kritisiert worden, dass unser Steuerrecht viel zu kompliziert ist, dass es viel zu viele Ausnahmeregelungen hat und dass bestimmte Vergünstigungen auch viele, viele Jahre mitgeschleppt werden, auch wenn sie vielleicht nicht mehr so ganz in die Zeit passen. Nehmen Sie zum Beispiel das umstrittene Thema ‚Eigenheimzulage‘. Da haben wir eine Situation, wo wir gesagt haben: Wir wollen sehr viel stärker als bisher die Eigenheimzulage für den Neubau konzentrieren auf Familien mit Kindern, und wir wollen auch sehr viel stärker diese Eigenheimzulage so konzentrieren, dass die Einkommensgrenzen etwas nach unten korrigiert werden. Und wir wollen in Zukunft auch nicht jemanden, der in einen Altbau investiert, schlechter stellen als jemand, der in einen Neubau investiert . . .

    Capellan: . . . trotzdem wird unter dem Strich weniger übrig bleiben, auch für Familien bei der Eigenheimzulage.

    Sager: Das ist aber eine vernünftige Anpassung an eine gesellschaftliche Entwicklung. Es macht doch keinen Sinn, in einer Situation, wo wir auch zunehmend Leerstand haben im Altbaubereich – und das teilweise auch mit Substanzverlust zu verzeichnen ist –, dann bestimmte Regelungen, die man früher mal getroffen hat, einfach weiterzuschleppen.

    Capellan: Frau Sager, Sie wissen aber in vielen Punkten noch nicht so genau, wie es denn laufen soll. Die Eigenheimzulage ist doch eigentlich ein Beispiel dafür. Da gab es mehrere Kompromissvorschläge. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, das wird kommen – zum Beispiel?

    Sager: Das, was jetzt ausverhandelt ist, ist eine vernünftige Lösung, wo Sie genau diese Faktoren auch drin haben, die ich beschrieben habe. Es wird weiterhin auch einen Sockelbetrag geben bei der Förderung, aber es wird auch ein Abheben darauf geben, ob die Menschen mit Kindern leben und ob sie von ihrem Einkommen her besonders förderungswürdig sind.

    Capellan: Trotzdem hat vieles in den vergangenen Wochen ein wenig konzeptionslos gewirkt. Da wurde dann immer wieder nachverhandelt und nachgebessert. Das erinnert viele an die Jahre 98/99, der schlechte Start von Rot-Grün beim ersten mal. Hat man aus Fehlern nicht gelernt, dass man da vorher die Linie klar vorgibt, bevor das alles an die Öffentlichkeit gerät und dann doch nicht mehr wahr ist?

    Sager: Also, das Problem ist – glaube ich – eher darin zu sehen, dass viele Dinge an die Öffentlichkeit kommen, bevor sie sozusagen Regierungsmeinung sind. Sie haben in Berlin ja die Situation, dass alles, was zu Papier gebracht wird – auch als Referentenentwurf, als Vorschlag von Beamten –, dass das alles in die Öffentlichkeit gerät und alles dort so diskutiert wird: Dieses sind jetzt die Regierungspläne. Und dann erscheint es natürlich so, als wenn die Regierung hinterher etwas anderes macht als sie angekündigt hat. Wir haben in bezug auf das, was die Regierung tatsächlich beschlossen hat, in dieser Woche nur ganz, ganz, ganz marginal nachgebessert.

    Capellan: Es gab aber auch Beispiele, die waren andersrum. Bei der Rente, da wusste die Regierung, was sie machen wollte – zumindest die Sozialdemokraten wollten die Rentenbeiträge auf 19,5 Prozent anheben, und die Grünen haben offenbar nichts davon gewusst oder Schröder hat ihnen keine Wahl gelassen. Haben Sie mal dem Kanzler die Meinung gesagt?

    Sager: Wir haben ja über dieses Thema diskutiert. Aber auch hier ist ja folgendes festzustellen: Wenn sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, dann verschlechtert sich auch die Einnahmesituation bei der Rentenversicherung . . .

    Capellan: . . . aber darum geht es mir jetzt nicht. Der Umgang untereinander, dass Schröder Sie da vor vollendete Tatsachen gestellt hat . . .

    Sager: . . . Sie haben ja jetzt erst mal einige Fakten in den Raum gestellt, deswegen möchte ich zu den Fakten auch etwas sagen. Natürlich ist es so, dass die Rentensicherung, die Rentenzahlung auch gesichert werden muss auf der Einnahmenseite. Und wenn sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert, muss man natürlich darüber reden: Wie kann das passieren? Nun haben Sie natürlich auch in diesem Bereich einige Stellschrauben, über die Sie diskutieren könnten. Eine Stellschraube wäre natürlich auch das Thema gewesen: Wenn sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert, ob man dann darüber redet, dass eventuell die anstehende Erhöhung der Renten vielleicht um ein halbes Jahr ausgesetzt wird.

    Capellan: Warum wird das nicht gemacht?

    Sager: Das ist ein Thema, was mit der SPD nicht verhandelbar war. Auch dafür gibt es sicher Gründe, dass man einerseits hier auch nicht zur Verunsicherung beitragen wollte bei den Rentnerinnen und Rentnern, dass man sich dort im Wort gesehen hat. Die grüne Position war eher ein bisschen in die Richtung, dass es hier einen Interessensausgleich geben müsste zwischen der aktiven jungen Generation, die im Moment belastet wird durch die konjunkturelle Entwicklung und der alten Generation. Aber wir haben hier an diesem Punkt uns, was die Notmaßnahme angeht, die aktuelle Notmaßnahme angeht, haben wir uns nun darauf geeinigt, zu sagen: Okay, die Renten müssen durch Erhöhung der Beitragssätze sicher finanziert werden. Aber wir wollen dafür sorgen, dass es noch in dieser Legislatur eine Strukturreform gibt . . .

    Capellan: . . . da haben Sie jetzt die Kommission eingerichtet. Das war die Bedingung für viele grüne Fraktionsmitglieder, dem überhaupt zuzustimmen. Ist das nicht ein bisschen wachsweich, was da drin steht? Es gab die schriftliche Vereinbarung, was die Kommission bewirken soll. Da steht drin: Wir müssen eine Politik führen, die zur Senkung der Lohnnebenkosten führt. Ich meine, dass ist doch klar, oder?

    Sager: Also, wenn Sie eine Expertenkommission einberufen, dann können Sie denen ja nicht vorgeben, was die sich als Experten an Empfehlungen ausdenken sollen, sondern Sie können ihnen ja nur sagen, welche Ziele Sie erreicht haben möchten. Und ich denke, dass die Ziele ‚Generationengerechtigkeit‘, ‚Berücksichtigung des demographischen Wandels in der Bevölkerung‘, ‚Senkung der Lohnnebenkosten‘, auch ‚Berücksichtigung der Geschlechtergerechtigkeit‘ – dass das Zielvorgaben sind, wo dann die Anzahl der Stellschrauben, an denen Sie dann ansetzen können, um diese Ziele zu erreichen, auch überschaubar ist. Aber das müssen Sie dann schon den Empfehlungen der Experten überlassen, sonst brauchen Sie die nicht einzusetzen, wenn Sie denen schon sagen wollen, was denn hinten rauskommen soll.

    Capellan: Aber sind die Probleme nicht eigentlich bekannt? Warum muss man jetzt noch mal ein Jahr lang eine Kommission einsetzen, die das berät? Viele Experten sagen, dieses umlagefinanzierte Rentensystem, das ist am Ende.

    Sager: Das ist nicht am Ende. Wir haben ja auch eine Rentenreform in der letzten Legislatur gehabt, die gerade dafür gesorgt hat, dass das Rentensystem nicht am Ende ist. Aber es ist sicher so, dass, wenn Sie sich anschauen, wie die Bevölkerungsentwicklung ist und dass die Bevölkerung ja real schrumpft, dann müssen Sie etwas tun, was die Strukturen der Finanzierungsgrundlagen angeht. Und es ist auch nicht gut, im Wettbewerb mit anderen europäischen Ländern festzustellen, dass jedes mal, wenn bei uns die Konjunktur nach unten geht, gehen die Lohnnebenkosten, die Beiträge für die sozialen Sicherungssysteme nach oben und belasten zusätzlich den Arbeitsmarkt gerade bei den arbeitsintensiven kleinen und mittleren Unternehmen. Und das sind Strukturschwächen, und da muss man doch mal sagen: Diese Strukturschwächen, die sind in vielen, vielen Jahren nicht ernsthaft angegangen worden, auch nicht in den 16 Jahren, in denen die CDU regiert hat. Und das ist etwas, was jetzt vor allen Dingen von uns, aber auch von der jungen Generation eingeklagt wird, auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit und der nachhaltigen Entwicklung unserer sozialen Sicherungssysteme, dass hier was passiert.

    Capellan: Die Jungen fordern, dass auch die heutigen Rentner ihren Beitrag leisten müssen. Sie haben es eben angedeutet, dass die Rentenanpassung im Juli 2003 – kommenden Jahres –, dass die verschoben wird zum Beispiel. Ihre Kollegin Katrin Göring-Eckardt hat das vorgeschlagen. Die Sachverständigen sagen, das sei der richtige Weg. Es gibt jetzt auch neue Umfragen, wonach 50 Prozent der Rentner bereit gewesen wären, das zu tragen. Aber, um es auf den Punkt zu bringen, die Sozialdemokraten sagen: Wir haben Wahlen im Februar in Hessen und in Niedersachsen, wir muten das den Wählern nicht zu. Was passiert nach der Wahl?

    Sager: Schauen Sie: Erstens ist es so, dass auch bei der letzten Rentenreform der letzten Legislatur den Rentnern doch auch schon etwas abverlangt worden ist, weil ihre Renten nicht so weiter steigen, wie es ursprünglich geplant und versprochen war.

    Capellan: Reicht das aus?

    Sager: Das reicht aus meiner Sicht nicht aus, was die langfristige Entwicklung angeht. Und die Tatsache, dass viele Rentner jetzt gesagt haben: ‚Wir sind auch bereit, einen Beitrag zu leisten dafür, dass der Generationenvertrag zwischen der aktiven Generation und der älteren Generation auch in Zukunft gesichert bleibt‘, das ist, glaube ich, eine sehr gute Grundlage für die Arbeit der Expertenkommission, die ja Empfehlungen abgeben wird, wo es nicht nur um das Verhältnis der Generationen geht, sondern wo es auch um die Frage geht: Wird ein größerer Teil des Rentensystems steuerfinanziert. Hier sind wir ja in der letzten Legislatur einen wichtigen Schritt gegangen dadurch, dass die Einnahmen aus der Ökosteuer in die Sicherung der Renten fließt und damit die Lohnnebenkosten deutlich niedriger gehalten werden als sie wären, wenn wir diesen Reformschritt nicht gemacht hätten.

    Capellan: Aber wirklich gesunken sind sie nicht.

    Sager: Aber sie wären deutlich höher, und man muss auch sagen: In der letzten Legislatur und in der letzten Phase der letzen Legislatur vor dem konjunkturellen Einbruch waren die Rentensätze - Beitragssätze - deutlich niedriger als 98 zur Zeit der Kohl-Regierung. Und das ist auch ein Erfolg der Ökosteuer und dem Einfließen der Ökosteuer in die Rentensicherung.

    Capellan: Trotzdem nochmal die Frage nach der Rücksichtnahme auf Wähler. Glauben Sie, dass im Februar die Situation nach den Wahlen so aussehen könnte, dass selbst die SPD sagt: Wir müssen jetzt, um das Rentensystem zu sichern, selbst an die derzeitigen Renten ran, wir können im nächsten Jahr die Renten nicht erhöhen?

    Sager: Nein, das glaube ich nicht, weil ich glaube, dass man sich jetzt drauf verständigt hat, keine weiteren Notprogramme zu machen, bevor nicht die Empfehlungen der Rentenreform-Kommission vorliegen. Es ist ja nicht nur eine Rentenreform-Kommission, sondern man wird sich auch befassen mit dem Gesundheitssystem, mit der Pflege und der Finanzierung von Pflege und Gesundheitssystem . . .

    Capellan: . . . und bis dahin kommen wir mit den 19,5 Prozent über die Runden?

    Sager: Das ist natürlich jetzt die Erwartung, die auch von den Rentenversicherungsträgern abgestützt wird. Natürlich haben wir die Hoffnung, dass es zu einer konjunkturellen Verbesserung kommt. Wir arbeiten auch daran.

    Capellan: Wenn nicht?

    Sager: Ja, wenn, wenn, wenn. Natürlich kann man nicht jetzt Aussagen dafür treffen, was ist, wenn sich alle Prognosen nicht bewahrheiten . . .

    Capellan: . . . die Union weiß schon, was Sie dann machen: Sie werden die Mehrwertsteuer anheben.

    Sager: Ja, da hält sich die Union aber nach wie vor bedeckt, und ich glaube auch, dass man jetzt nicht sich in solche voreiligen Dinge stürzen soll. Wir gehen davon aus, dass die wirtschaftliche Entwicklung durchaus sich jetzt langsam erholt und dass man diese Erholungsprozesse unterstützen muss und dass man jetzt nicht Panikattacken fahren muss, weil das für die wirtschaftliche Entwicklung bestimmt nicht gut ist. Wir haben hier die Hoffnung, dass gerade auch durch die Reform auf der Basis des Hartz-Konzeptes auch der Teil, der sich bezieht auf die bessere Eigenkapitalfinanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen, aber auch was die Flexibilisierung am Arbeitsmarkt angeht durch die Unterstützung von Leiharbeit im Bereich der Arbeitslosen, dass wir hier doch auch Impulse am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft unterstützen können.

    Capellan: Da möchte ich gerne noch drauf eingehen, auf das Hartz-Konzept. Aber noch eine Frage nach der Rente: Was glauben Sie, wie lange werden die heute 30/40jährigen arbeiten müssen, bis zu welchem Alter?

    Sager: Also, ich halte nichts von einer Diskussion, die sagt, diejenigen, die ein gesetzliches Rentenalter von 65 anpeilen, die sollen bis 67 sitzenbleiben, wenn wir parallel eine Entwicklung haben, dass die Unternehmen schon kaum bereit sind, über 50jährige überhaupt einzustellen und sich bemühen, die über 50jährigen loszuwerden. Diese beiden Fäden, die passen dann einfach nicht zusammen. Was wir aber erreichen müssen, das ist, dass wir das reale Renteneintrittsalter dichter heranführen an das gesetzliche Rentenalter, weil – was nicht geht, ist, dass Unternehmen ihre Modernisierungsbestrebungen und ihre auch Abbaumaßnahmen an Personal, dass sie das finanzieren über die öffentlichen sozialen Sicherungssysteme und die Allgemeinheit. Das ist nicht in Ordnung, und das ist in der Vergangenheit zu stark betrieben worden, und das belastet jetzt natürlich auch die junge Generation.

    Capellan: Altersgrenze: Versucht nicht auch das Hartz-Konzept, die Älteren aus dem Arbeitsmarkt heraus zu bekommen? Da soll ein ‚Brückengeld‘ bezahlt werden für Langzeitarbeitslose über 55 Jahre, um sie vom Arbeitsmarkt wegzuholen. Das widerspricht ja der These, dass man sagt, die Leute müssen länger arbeiten.

    Sager: Dieses Brückengeld war ein Element in dem Hartz-Konzept. Es ist ein sehr, sehr geringer Anreiz, der dort gegeben wird, weil es praktisch nur die Hälfte des sonst zu zahlenden Arbeitslosengeldes betrifft. Das Arbeitslosengeld für die 55jährigen weiter zu zahlen, wäre natürlich noch teurer. Es gibt aber auch ein anderes Element: Es gibt auch einen Anreiz für über 55jährige, dass sie eine schlechter bezahlte Tätigkeit aufnehmen, als sie ihrer bisherigen Stellung entspricht. Und auch dafür gibt es ein Anreizsystem, und das wirkt genau in die entgegengesetzte Richtung, nämlich auch Langzeitarbeitslose, die älter sind, wieder in Arbeit zu bekommen.

    Capellan: Hartz-Konzept: Zeit- und Leiharbeit wird jetzt als das Allheilmittel angesehen . . .

    Sager: . . . nein, das ist kein Allheilmittel. Es ist ein Instrument. Aber ich glaube, als Instrument ist es durchaus interessant.

    Capellan: Kann es nicht auch dazu führen, dass die Unternehmen sagen: Ein Leiharbeiter ist billiger für mich als ein Festangestellter, und dass das dann zu Entlassungen führt von festangestellten Leuten?

    Sager: Sehen Sie, da hat man ja gerade sich bemüht – auch in einem Gespräch mit den Leiharbeitszeitfirmen und mit den Gewerkschaften zusammen –, einen Weg zu finden, dass diese Missbrauchsmöglichkeit, dass die möglichst gering gehalten wird und möglichst ausgeschaltet wird. Worum es in erster Linie geht, ist die Flexibilisierung, nämlich die Möglichkeit, dass Unternehmen einen arbeitslosen Arbeitnehmer erst einmal ausprobieren können, mit ihm Erfahrungen machen können, bevor sie sich entscheiden, ihn fest einzustellen. Und das ist gerade für kleine und mittlere Unternehmen ganz, ganz besonders wichtig, dass sie hier ihr eigenes Risiko abschätzen können, das sie eingehen, wenn sie zusätzlich beschäftigen. Und damit überwinden wir auch eine Beschäftigungsschwelle im Bereich derjenigen Unternehmen, die hauptsächlich Beschäftigung schaffen, wo es zum Teil Arbeit gibt, aber die kleinen und mittleren sich schwertun, zusätzliche Arbeitnehmer fest einzustellen, weil sie auch Angst haben vor konjunkturellen Schwankungen, vor Auftragsschwankungen oder vor schlechten Erfahrungen mit Arbeitnehmern.

    Capellan: Zweiter wichtiger Punkt im Hartz-Konzept, die Mini-Jobs, konnte im Bundestag am Freitag noch nicht abschließend beschlossen werden; da muss der Bundesrat zustimmen. Die Union, gerade Bayern, hat einen Antrag eingebracht, möchte, dass diese Niedriglohn-Jobs mehr gefördert werden, als es von der Bundesregierung vorgesehen ist. Könnte man da mehr tun, dass man über die Haushaltshilfen zum Beispiel hinausgeht und da Billig-Jobs anbietet?

    Sager: Also, die Grünen haben ja in die Koalitionsverhandlungen diese Position eingebracht, dass wir gesagt haben: Diese Mini-Jobs sind eine Chance, Menschen auch aus der Schwarzarbeit herauszubekommen. Und deswegen möchten wir das nicht reduziert sehen auf die haushaltsnahen Dienstleistungen, sondern wir möchten gerne darüber hinausgehen. Wir sehen allerdings auch die Notwendigkeit, dann in dem Bereich, wo man über die haushaltsnahen Dienstleistungen hinausgeht, eine besondere Vorsorge zu treffen, dass es hier keine Missbrauchseffekte gibt von Unternehmen. Aber wir haben auch eine Verabredung mit der SPD, dass darüber noch gesprochen wird.

    Capellan: Was ist da noch drin?

    Sager: Ich denke, dass man erst einmal schauen will, wie das Projekt ‚Mini-Jobs‘ anläuft und dass man aber auf Seiten des Wirtschaftsministeriums durchaus offen ist, über dieses Thema dann weiter zu sprechen.

    Capellan: Dann würde jeder sagen: Die müssen wieder nachbessern. Haben Sie nicht Angst vor diesem Eindruck?

    Sager: Nein, das ist ja keine Nachbesserung, sondern das ist eine Beobachtung, wie die Instrumente greifen. Und dann ist es sozusagen eine weitere Arbeit an der gleichen Problematik auf Basis von Erfahrung, die man dann macht. Und das ist etwas, was in anderen Ländern doch selbstverständlich ist. Und ich kann gar nicht nachvollziehen, warum das in Deutschland immer schlechtgeredet wird.

    Capellan: Alles steht unter dem Finanzierungsvorbehalt. Heute abend trifft sich die Koalitionsrunde erneut in Berlin. Da geht es um die Sparpläne, um den Nachtragshaushalt – der soll am Mittwoch im Kabinett eingebracht werden. Wieviel – sagen Sie es uns – wieviel müssen wir noch zusätzlich sparen?

    Sager: Also, wir werden auf der Bundesebene von den letzten Steuerschätzungen zum Glück nicht so hart getroffen, und zwar deswegen, weil die Koalitionspartner bereits Vorkehrungen getroffen haben in ihrem Sparpaket dafür, dass die Konjunktur sich verschlechtert. Das heißt, wir haben in unserem Sparpaket, was jetzt auch angekündigt gewesen ist, bereits weitgehend Vorsorge getroffen für eine jetzt eintretende Verschlechterung im Bereich der Steuerschätzung. Und deswegen gehen wir auch davon aus, dass wir ein Paket vorlegen können, wo im Grunde das im Haushalt auch aufgefangen werden kann.

    Capellan: Lassen Sie uns abschließend noch sprechen über das Verhältnis von SPD und Grünen - Gerhard Schröder, der Sie ja doch ein bisschen ‚abgebügelt‘ hat, er hatte eine ganz interessante Erklärung dafür, dass es zu Unstimmigkeiten auch in der grünen Fraktion gab. Da sagt er nämlich: Es gibt zwar eine neue Fraktionsführung bei den Grünen, aber keine neue Parteiführung, weil die Frage der Trennung von Amt und Mandat immer noch offen ist. Stimmen Sie dem zu?

    Sager: Ich denke, dass das, was nach außen als Störung zwischen SPD und den Grünen angekommen ist, dass das deutlich überbewertet ist und dass das teilweise auch dadurch zustande gekommen ist, dass wir unter hohem, hohem Zeitdruck drei große Reformpakete oder auch akute Notmaßnahmen auf den Weg bringen mussten.

    Capellan: Wenn es eine Parteiführung gegeben hätte, die bestätigt ist und mit in der Fraktion sitzt – Claudia Roth, Fritz Kuhn –, wäre es dann anders gelaufen, hätte es dann nicht diese Dissonanzen innerhalb Ihrer Fraktion gegeben?

    Sager: Also, damit hat das nicht so furchtbar viel zu tun . . .

    Capellan: . . . ist die These des Kanzlers . . .

    Sager: . . . weil, die sitzen ja bei uns in der Fraktion. Wir hatten allerdings das Problem, dass wir uns bei der Verhandlungslinie zur Rente zwischen Parteiführung und Fraktion nicht völlig einig waren und das leider zu spät gemerkt haben und deswegen mit einer etwas unterschiedlichen und nicht geklärten Verhandlungserwartung in die Runde beim Bundeskanzler gegangen sind. Das war eine missliche Situation, und da haben wir uns auch drauf verständigt, dass uns das nicht wieder passieren wird, sondern dass wir unsere Verhandlungslinien vorher abstimmen werden.

    Capellan: Sollte man wirklich das nochmal versuchen, die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat durchzubringen, oder müsste man nicht sagen: Mehrheit ist Mehrheit, das gilt auch jetzt, wenn die Grünen sich mit 20 Stimmen Mehrheit gegen diese Aufhebung ausgesprochen haben?

    Sager: Wenn wir das Prinzip hätten, Mehrheit ist Mehrheit, dann hätten wir die Trennung ja längst. Tatsache ist ja, dass es praktisch eine Zweidrittelmehrheit minus 20 Stimmen gab für die Aufhebung dieser Trennung. Das Problem ist: Wir brauchen laut Satzung eine Zweidrittelmehrheit und nicht einfach eine Mehrheit.

    Capellan: Also, Sie sind für die Urabstimmung?

    Sager: Ich finde, es ist ein sehr vernünftiger Weg.

    Capellan: Wird es durchkommen?

    Sager: Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Urabstimmung kommen wird, einfach, weil sie von genug Landesverbänden und Kreisverbänden gefordert wird. Und da gibt es dann auch kein satzungsmäßiges Vertun mehr. Wenn genügend Landesverbände sich dahinterstellen, dann kommt die Urabstimmung.