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Sager (Grüne): Große Koalition ist umweltpolitischer Stillstand

Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, Krista Sager, glaubt nicht, dass es bald zu Neuwahlen kommt. Man könne nicht so lange wählen lassen, bis man sein Wunschergebnis habe, betonte Sager. Sollte es zu einer großen Koalition kommen, werde zwar nicht der Atomausstieg rückgängig gemacht, umweltpolitisch sei jedoch ein Stillstand zu befürchten.

Moderation: Sabine Adler |
    Adler: Selten war die Gemengelage nach einer Bundestagswahl ja so unübersichtlich, wie wir das in dieser Woche erlebt haben. Jetzt hat sich das ein bisschen gelichtet, die erste Runde der Sondierungsgespräche ist zu Ende. War das von Seiten Ihrer Partei Bündnis90/Den Grünen nicht doch so etwas wie Höflichkeit – erstens das Gespräch am Mittwoch mit der SPD, dem alten Koalitionspartner, und natürlich auch vor allem das Gespräch am Freitag mit der Union?

    Sager: In Bezug auf die SPD war es natürlich so, dass wir ganz gerne mal ein Gefühl dafür kriegen wollten, wie die eigentlich aus der Blockade rauskommen wollen und was die sich überhaupt für einen Plan gemacht haben. Das haben die uns natürlich nicht eins zu eins erzählt, aber man kriegt dann ja, wenn man viel politische Erfahrung hat, doch ein Gefühl für die Lage. Und die Situation, dass wir überhaupt Gespräche geführt haben mit der CDU und der CSU, das war nicht nur Höflichkeit.

    Natürlich haben wir, und das ist ja auch realistisch gesagt, es spricht nichts dafür, dass vier Tage nach einer Wahl, wo die CDU sich so eindeutig aufgestellt hatte, dass dann eine Neuorientierung in den Parteien stattfindet und eine programmatische Umorientierung. Aber auf der anderen Seite, glaube ich, ist es auch ein wichtiges Signal nach so einer Wahl, dass man sich nicht einfach in ideologischen Lagern einbunkert, sondern dass man deutlich macht: Jeder müsste mit jedem auch Gespräche führen können und dann inhaltlich deutlich machen können, warum es aber nicht realistisch ist, zu Mehrheiten zu kommen, die auch parlamentarisch stabil sind.

    Adler: Das war ja am Sonntag eigentlich ganz spannend, zog sich dann durch die erste Wochenhälfte, vor allem, als dann auf einmal ganz neue Begriffe auftauchten: Schwampel, Jamaika-Koalition. Jetzt können wir das Ganze alles schon wieder vergessen, es ist alles passé. Ihre Partei hat sich im Vorfeld ja ziemlich eindeutig positioniert, eben auch – das klang bei Ihnen ja gerade an –, dass man nicht so Hals über Kopf innerhalb von vier Tagen alte Positionen aufgeben kann, auf der einen wie auf der anderen Seite. Aber was rausgekommen ist, ist ein tiefes Selbstverständnis, dass Bündnis90/Die Grünen eine linke Partei sind. Ist das so?

    Sager: Das kommt natürlich immer darauf an, wie man "links" definiert. Was auf jeden Fall uns wichtig gewesen ist, und das ist – glaube ich – rausgekommen, dass wir eine sehr eigenständige politische Kraft sind. Wir sind mit niemanden auf Dauer verheiratet, aber es gilt für uns immer: Die Inhalte sind wichtig. Und im Grunde muss die CDU jetzt darüber nachdenken, ob sie sich als Volkspartei nicht zu sehr aufgegeben hat, ob sie nicht wieder ein stärkeres Gefühl dafür entwickeln muss, dass die Menschen eben beides wollen. Sie wollen wirtschaftlich eine Perspektive haben, sie wollen aber auch, dass das Ganze mit sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verantwortung zusammengeht.

    Solche Nachdenkprozesse, die dauern aber in Parteien immer länger. Das geht nicht von heute auf morgen. Und auf der anderen Seite war es auch zu klar, dass im Grunde innerhalb von drei Tagen noch gar nicht realisiert worden war – bei der CDU, aber schon gar nicht bei der FDP, die ja auch noch eine Rolle gespielt hat –, dass man die Wahl tatsächlich nicht gewonnen hatte. Im Grunde war noch das Gefühl da: Eigentlich sind wir da, wo wir hin wollen, und wir brauchen nur einen ganz kleinen Pusch. Und warum könnten die Grünen nicht das kleine grüne Trittbrett sein, der kleine Schubs in den Rücken, dass wir dahin kommen, wo wir uns am Wahlabend eigentlich vor 18.00 Uhr gesehen haben?

    Und dass das nun aber in Wirklichkeit so ist, dass die Bevölkerung gesagt hat: Diese Politik wollen wir nicht, wir wollen nicht Merkel/Westerwelle mit dem Programm, was sich im Laufe des Wahlkampfes immer weiter herauskristallisiert hat – das ist etwas, das wird einigen erst so in den nächsten Wochen richtig klar werden. Und dann werden die Diskussionen erst so richtig losgehen in den Parteien, wie sie sich in Zukunft aufstellen wollen.
    Adler: Was ja auch nicht gelungen ist, war, tatsächlich noch einmal eine Mehrheit für Rot-Grün zustande zu bekommen. Aber es gibt eigentlich eine linke Mehrheit im Bundestag, 51 Prozent nämlich rot-rot-grün, wenn man sie dann zusammenrechnet. Jetzt gibt es die ersten Stimmen natürlich in Ihrer Partei, die auch niemanden wirklich wundern – Hans Christian Ströbele oder Markus Kurth, der sozialpolitische Sprecher Ihrer Partei, die sagen: Wir dürfen uns nicht ein solches Denkverbot auferlegen und eine solche Verweigerungshaltung, überhaupt mit der PDS zu reden, ist ein Fehler. Sehen Sie das genau so?

    Sager: Also ich bin auch gegen Denkverbote. Ich glaube, dass man in einem Parlament, das aus fünf oder sechs Kräften – je nach dem, wie man es betrachtet – besteht, da kann man nicht mehr Denkverbote aufrichten. Das kann dann vielleicht nur noch die FDP, die im Grunde sich am äußeren Parteienrand dann als ewige marktradikale Opposition positioniert hat. Wir sind auch gegen Denkverbote, nur – man muss auch realistisch bleiben.

    Und ich habe ja diese Linkspartei im Wahlkampf erlebt, und ich muss sagen: Die sind so weit weg von der politischen Realität, die sind auch mit ihrem Wahlprogramm so über den Wolken, was die Fülle der leeren Versprechungen angeht. Da ist eine Regierungsbildung seriöserweise einfach nicht möglich. Und die haben ja auch selber konsequenterweise gesagt: Wir wollen nicht regieren, wir wollen opponieren.

    Sie haben sich einfach als Protestpartei aufgestellt, da unterscheiden sie sich auch zum Beispiel von der PDS in Berlin, die ja auch manches harte Los mitzieht und auch Entscheidungen hier durchzieht, die nun mit dem Wolkenkuckucksheim, das die Linkspartei in ihrem Programm aufgebaut hat, gar nichts zu tun haben.

    Adler: Nun gibt es aber auch die Äußerung zum Beispiel von Oskar Lafontane, der gesagt hat, das grüne Wahlprogramm könnte er sofort mit Punkt und Komma unterschreiben.

    Sager: Ja, das ist ja schon interessant, wie Oskar Lafontane als altes Machttier sofort wieder versucht, ins Getümmel zu geraten. Aber da müssen die sich erst mal mit sich selber beschäftigen. Da sind so unterschiedliche Kräfte zusammengekommen, auch teilweise kuriose Persönlichkeiten, die jetzt aufeinander treffen, wo die doch erst mal sich sortieren müssen. Die müssen einfach erst einmal herausfinden: Was wollen wir eigentlich sein? Wollen wir Realo-Linke sein, wollen wir fundamentalistische Linke sein? Sie müssen sich auch damit auseinandersetzten, dass Marianne Birthler zu Recht darauf hingewiesen hat, dass sieben von diesen Persönlichkeiten nachweislich eine Stasi-Vergangenheit haben. Das sind ja alles Dinge, die sind nicht geklärt, wie sie damit umgehen wollen.
    Adler: Wenn wir aber jetzt mal weiterdenken – also über diese wenigen Tage nach der Wahl hinaus, vielleicht ein bisschen langfristiger – über die Wahlperiode: Können Sie sich vorstellen, dass es Anknüpfungspunkte gibt – das berühmte Wort der "Schnittmenge" ist ja nun ein viel zitiertes gewesen in dieser Woche – mit der PDS, der Linkspartei, wo man sagt: Langfristig gibt es da durchaus Berührungspunkte. Und es ist immerhin auch eine linke Kraft?

    Sager: Natürlich gibt es auch mit dieser Partei Berührungspunkte, die es mit allen anderen Parteien auch gibt, nur jeweils unterschiedliche. Wie die sich überhaupt entwickeln, ob die überleben werden, ob sie realpolitisch werden, das wird man wahrscheinlich erst in einigen Jahren beurteilen können. Und auch da gilt, was für alle anderen Konstellationen gilt: Inhalte vor Machtkonstellation. Und Inhalte ziehen dann erst bestimmte Machtkonstellationen nach sich.

    Und ich muss ganz ehrlich sagen: Wir haben zwar Gemeinsamkeiten vielleicht in der Frage der Atomkraftpolitik, aber sie sind zum Beispiel gar nicht bereit darauf einzugehen, dass es eine Haushaltslage gibt, die sehr, sehr schwierig ist, und dass es auch ein Gebot der Generationengerechtigkeit ist, auf diese schwierige Haushaltslage adäquat zu reagieren. Sie haben sich überhaupt nicht beschäftigt mit dem Thema Altersstruktur in der Gesellschaft. Das heißt, eine Partei, die den Rentnern verspricht: Die Renten werden immer weiter steigen, egal, wer das am Ende bezahlen soll – das ist auch nicht realistisch.
    Adler: Werner Schulz, ein nun wirklich nachdenklicher Kopf in Ihrer Partei, hat gesagt, es wäre eigentlich aber auch an der Zeit, endlich mal diese Lagermentalitäten zu überwinden und vor allem sich aus der Gefangenschaft der SPD herauszubegeben. Das klang ja ein bisschen auch bei Ihnen schon durch, als Sie sagten: Wir sind nicht verheiratet - mit gar keiner Partei. Hat er also Recht, muss es tatsächlich sein, dass man versucht, sich – und das sagen die Grünen ja häufig – über Inhalte zu positionieren, aber eben vielleicht auch mal Gräben zu überspringen?

    Sager: Ich bin ganz sicher, dass es so etwas wie feste Lager, in denen man dauerhaft verhaftet ist, in der weiteren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland immer weniger geben wird. Ich glaube, dass in Zukunft sehr viel abhängig sein wird von Personen, gerade auch auf der kommunalen und der Landesebene, aber auch, dass diese Personen ein Verständnis davon haben, wo sie gemeinsam hin wollen, was die inhaltlichen Ziele angeht. Das muss eben zusammengehen. Haben wir dafür stabile Mehrheiten und vertrauen wir auch, dass wir da gemeinsam an einem Strang ziehen? Da wird es, glaube ich, durchaus unterschiedliche Konstellationen in Zukunft geben.
    Adler: Nun, wenn man sich das Wahlergebnis anschaut, dann sieht man ja auch eines: Also, die Wähler wollten weder Rot-Grün in der Fortsetzung, noch Schwarz-Gelb. Und wenn man jetzt weiter anschaut, wie die Umfragen eine Woche nach dem Wahlergebnis aussehen, dann will die Hälfte in etwa eine große Koalition, und die andere Hälfte will keine große Koalition. Das heißt, eigentlich könnte man das Ganze auch als einen Auftrag verstehen, endlich mal andere Konstellationen, eben solche mutigen Konstellationen, ganz bewusst zu schmieden. Ist da die Zeit wirklich noch nicht gekommen dafür?

    Sager: Nein, das muss man realistischerweise sagen, die ist nicht gekommen. Das können Sie auch sehr gut sehen am Agieren einzelner Personen. Herr Westerwelle stellt sich hin und sagt, er will weder mit der SPD reden, noch mit den Grünen reden. Er will mit der CDU ein Regierungsprogramm sich überlegen und das sollen die Grünen dann irgendwie mittragen. Das ist einfach lächerlich, das zeigt einfach, wie lange es dauert, bis Politiker auch dann verarbeitet haben, was an so einem Abend passiert. Ich halte eine große Koalition auch nicht für optimal, ich habe auch im Wahlkampf davor gewarnt, weil es erfahrungsgemäß doch eher der kleinste gemeinsame Nenner ist, der dabei herauskommt.
    Adler: Joschka Fischer, der grüne Spitzenkandidat, ist in dieser Woche zurückgetreten. Und manche Beobachter haben das durchaus als ein Zeichen dafür gewertet, dass eben tatsächlich damit der Weg frei sein könnte oder frei werden könnte für eine andere Konstellation.

    Sager: Also erstens muss man ja sagen, er ist nicht zurückgetreten, sondern er hat sehr deutlich gesagt, wo er seine Rolle sieht. Und er hat schon zu einem sehr, sehr frühen Zeitpunkt, vor etlichen Monaten, gesagt, gut – für den Wahlkampf lässt er sich noch einmal in die Pflicht nehmen, aber wenn es in die Opposition geht, lässt er sich nicht mehr in die Pflicht nehmen.
    Adler: Hat er damit eine Entscheidung vorweg genommen?

    Sager: Nun, er hat zumindest die Entscheidung vorweg genommen, dass er nicht mehr zur Verfügung steht, um den Übergang der Grünen in eine Oppositionsrolle mit zu begleiten aus einer aktiven Rolle heraus. Das finde ich ein bisschen schade. Ich hätte mir auch gewünscht, dass er das dann ankündigt, wenn wir in stabilem, ruhigem Fahrwasser schon gewesen wären. Aber ich kann auch verstehen, dass er nicht wollte, dass darüber spekuliert wird.

    Aber eines will ich auch ganz klar sagen: Es ist kein Signal, dass er für irgendetwas den Weg freimachen wollte. Und in der Führungsspitze der Grünen sind wir uns, was die Einschätzung der aktuellen Situation angeht, sehr, sehr einig, dass wir gesagt haben: Auf der einen Seite ist es gut, wenn auch mal kulturelle Barrieren ein bisschen angekratzt werden, und wenn mal – auch gerade mit Blick auf Bayern – eine bestimmte Verteuflung der Grünen, auch von Seiten von Herrn Stoiber, mal abgebaut werden muss. Aber auf der anderen Seite sehen wir eben nicht, dass wir so kurz nach der Wahl an einem Punkt sind, wo ernsthaft die Parteien schon mal darüber nachgedacht haben, wie sie sich programmatisch neu verordnen müssten.
    Adler: Nun hat aber Joschka Fischer doch etwas gemacht, den Weg doch für etwas freigemacht, nämlich für den Fraktionsvorsitz. Denn das war ja durchaus etwas, womit die Fraktion gewartet hat, bis Klarheit herrscht – wird er noch mal ein Ministeramt bekommen, welche Position kann er sich vorstellen? Da hat er Klarheit geschaffen in der zurückliegenden Woche. Jetzt bewerben sich gleich fünf Grüne um dieses Amt, zwei können es am Ende werden, Sie sind es gerade mit Katrin Göring-Eckardt zusammen, Fritz Kuhn ist der nächste Bewerber und die beiden Minister Renate Künast und Jürgen Trittin. Wem räumen Sie die größten Chancen ein?

    Sager: Ach, da will ich jetzt gar nicht spekulieren, das wäre auch ein bisschen merkwürdig, wenn ich das als Fraktionsvorsitzende hier jetzt öffentlich anfangen würde. Ich glaube, wir werden das erstens sehr schnell entscheiden, dafür haben wir ja jetzt die Weichen gestellt. Und zweitens werden wir dann auch sehr gut wieder das weiter machen, was wir in den letzten Jahren auch gelernt haben, nämlich aus einer kollektiven Führung heraus die Geschicke von Fraktion und Partei mitzulenken. Und das ist eben etwas, was in den letzten Jahren wirklich gewachsen ist.

    Joschka Fischer hat sich nicht mehr ins Alltagsgeschäft dauernd rein geklinkt, er hat nicht die Direktiven ausgegeben. Und wenn es sehr schwierig war mit dem Koalitionspartner, hat er sicher auch eine sehr wichtige Rolle gespielt im Scharnier zum Bundeskanzler. Aber das Alltagsgeschäft wurde doch aus der kollektiven Führung heraus betrieben. Und deswegen sind wir nicht in einer völlig neuen Situation.
    Adler: Und es ist aber auch noch nicht erkennbar, dass tatsächlich jetzt etwas eintritt, was Fischer selber angekündigt hatte, nämlich dass jetzt der große Generationenwechsel kommt. Denn wenn man sich die ganzen fünf genannten Namen anschaut, dann sind vier davon ja nun zumindest 50, beziehungsweise auch ein paar Jährchen älter als 50 Jahre, nur Katrin Göring-Eckardt ist im Grunde genommen diejenige, die die nächste Generation verkörpert. Das heißt, der Generationenwechsel bei den Grünen lässt noch ein bisschen auf sich warten?

    Sager: Also ich glaube, dass sich erst es in den nächsten Jahren sich herauskristallisieren wird, wer von den Mitte-30-Jährigen, Anfang-30-Jährigen jetzt die stärksten Persönlichkeiten sind. Im Moment sieht es so aus, als wenn doch nach Joschka Fischer, der jetzt Ende 50 ist, eher die 50-Jährigen entscheiden werden, wie der Übergang stattfindet. Und dann wird man eben sehen, wer bei den wirklich Jungen, bei den Anfang-30-Jährigen die starken Persönlichkeiten sind. Und das wird man sicher über die Länder erkennen können, das wird nicht nur in der Fraktion entschieden werden, wer sich da was erobert, wer da auch die Marktplätze füllen kann und wer dort auch die Menschen begeistern kann.
    Adler: Sind Sie als durchaus Spitzenkraft bei den Grünen auch ein bisschen erleichtert, dass jetzt sozusagen dieser doch sehr breit ausgefüllte Platz von Joschka Fischer frei wird? Ich denke an den Wahlparteitag zum Beispiel der Grünen Anfang Juli, als es noch mal ein ziemlich heftiges Gerangel darum gab, ob Joschka Fischer mit einer Spitzenkandidatin an seiner Seite in den Wahlkampf zieht. Und da hat man gesehen, da ist überhaupt kein Platz dafür.

    Sager: Also ich bin nicht erleichtert, das sage ich ganz klar. Ich hätte das auch gerne gesehen, wenn er vielleicht so für ein Jahr den Übergang ein bisschen abgefedert hätte, das sage ich ganz ehrlich. Aber wir haben ja gewusst, dass diese Situation kommt. Und es war ja auch klar: Selbst wenn wir wieder eine rot-grüne Mehrheit gehabt hätten, hätte er ja wahrscheinlich diese Rolle, die er jetzt zuletzt gespielt hat, nur bis zur Mitte der Legislatur gespielt. Er hätte nicht noch eine ganze Legislatur diese Rolle eingenommen. Und es war für uns alle klar: Wir werden uns einstellen müssen auf die Zeit, wo er nicht mehr der große Zampano ist für uns alle. Das ist natürlich eine Zäsur, weil – er hat die Marktplätze gefüllt, er war der beliebteste Politiker bisher, ist er wahrscheinlich immer noch. Und das ist schon auch eine Erleichterung in diesem Mediengeschäft, so einen Polit-Star zu haben.

    Aber ich denke, es wird dann auch ohne ihn gehen, weil wir auch in dieser Wahl gesehen haben, dass wir für unsere Inhalte gewählt werden, gerade auch für das Thema der Verbindung der ökologischen Modernisierung mit der ökonomischen Modernisierung, dieses Thema "Weg vom Öl", aber auch, dass Chancen nicht nur über Verteilungsgerechtigkeit, sondern auch über Zugang zu Bildung und Kinderbetreuung und frühkindliche Förderung erreicht werden, und dass das ein zentrales Gerechtigkeitsthema ist. Da haben wir etwas auch schon für die Zukunft anzubieten.
    Adler: Wenn Sie sagen, der "Zampano" ist zurückgetreten – ich benutze mal Ihren Ausdruck –, der Zampano hat es aber tatsächlich auch geschafft, einen allerseits doch mit Achtung begleiteten Rückzug anzutreten. Haben Sie in dem Zusammenhang möglicherweise auch gedacht, was vielleicht so mancher Beobachter doch auch dann geäußert hat, dass man sich das Gleiche beziehungsweise etwas ähnliches, nämlich zumindestens ein bisschen mehr Realitätsbewusstsein, beim Kanzler vorstellen könnte?

    Sager: Das, was der Joschka Fischer hingekriegt hat, das ist natürlich auch in der Außenwirkung super gewesen. Das ist einfach eine runde Sache. Bei dem Schröder steht ja die Sache noch aus, was wird er für seine Partei erreichen. Und er ist im Grunde ja noch am kämpfen, für seine Partei da offensichtlich etwas durchzusetzen.
    Adler: Und, wie wir gesehen haben in der zurückliegenden Woche, ja mit Mitteln, die mitunter ja wirklich etwas fragwürdig sind. Ich denke an den Versuch – zumindest diesen Testballon –, die Geschäftsordnung im Bundestag zu ändern. Ist das so ein Zeichen von Deformierung durch Macht?

    Sager: Nun hat Müntefering ja zum Glück dementiert, dass sie das vorhatten. Das finde ich auch sehr gut, weil – wir haben auch gleich gesagt, da sind wir nicht mit dabei. Ich glaube, dass in der SPD man selber inzwischen sieht, dass das Agieren am Wahlabend es nicht leichter gemacht hat, das in den Mittelpunkt der Erkenntnis zu rücken, was auch wahr ist, nämlich dass das Ergebnis von Frau Merkel ein derartiges Desaster ist. Also wenn man mit absoluter Mehrheit gestartet ist in den Umfragen zu Anfang eines Wahlkampfes und dann hinten mit 35 Prozent rauskommt und dann nicht mal eine schwarz-gelbe Mehrheit dabei herauskommt, das ist natürlich auch eine Situation, wo man sagen kann – dann kann man sich eigentlich auch nicht mehr hinstellen und sagen: Ich will die Kanzlerin werden.
    Adler: Nur im Unterschied zu Bundeskanzler Gerhard Schröder hat ja Angela Merkel, die Spitzenkandidatin der Unionsparteien, doch zumindest eines gemacht: Sie hat an ihrem Sieg als stärkste Fraktion im Bundestag zumindest Kritik zugelassen, dass das eben kein vollkommener Sieg ist. Das war ihre Einschränkung. Eine solche Einschränkung haben wir vom Bundeskanzler Gerhard Schröder noch nicht gehört.

    Sager: Nein, das ist auch ganz klar, dass er dort nicht dem Ergebnis der SPD adäquat agiert hat. Das ist, glaube ich, auch etwas, was in der SPD durchaus deutlich gesehen wird, auch wenn es nicht deutlich beim Namen genannt wird. Und damit haben sie es sich auch ein bisschen schwer gemacht, weil – wenn man das alles sehr nüchtern angegangen wäre, wenn man sehr nüchtern auch gesagt hätte, die SPD ist nicht stärkste Partei geworden, hat ihr Wahlziel auch nicht erreicht, dann hätte man vielleicht auch sehr viel nüchterner wieder den Blick dafür frei bekommen, dass die CDU eben eigentlich nach so einem Ergebnis sich nicht hinstellen kann und sagen kann: Jawohl, die Bürgerinnen und Bürger wollten Frau Merkel als Kanzlerin, weil - das ist, glaube ich, schon das Ergebnis, dass sie nicht hat überzeugen können und dass sie vor allen Dingen wegen ihres Programms nicht überzeugt hat – dass eben die Bürgerinnen und Bürger im Laufe des Wahlkampfes doch das Gefühl bekommen haben, dass soziale Gerechtigkeit nicht Bestandteil einer Kanzlerschaft Merkel sein wird.
    Adler: Nun haben wir, wie es eine Zeitung betitelt hat in dieser Woche, ja quasi zwei Verlierer, die Kanzler werden wollen. Ihre Prognose – wie wird die neue Bundesregierung aussehen, wann bekommen wir sie und wer wird sie führen?

    Sager: Also, ich will da gar keine Prognose wagen, auch nicht, was die Führung angeht. Aber ich sehe es auch so: Es gibt zwei, die ihr Ziel nicht erreicht haben und auch zwei, die es am Ende zugestehen werden müssen, dass sie ihr Ziel nicht erreicht haben. Und ich kann nur hoffen, dass es am Ende nicht den Versuch gibt, ein Wahlergebnis, was in seiner inhaltlichen Aussage durchaus klar ist, wenn auch die Mehrheiten nicht klar sind, am Ende zu behandeln wie ein Fußballspiel, wo man sagt: Na, dann machen wir ein Rückspiel. Das finde ich verantwortungslos.

    Es ist ganz deutlich geworden, dass die Wählerinnen und Wähler gesagt haben: Wir glauben nicht, dass Rot-Grün das mit der hohen Arbeitslosigkeit noch hinkriegen, und dass sie auf der anderen Seite gesagt haben: Aber ökologische Verantwortung und soziale Gerechtigkeit gehören auch dazu, und wir wollen nicht den Weg in eine marktradikale Republik. Da sehe ich schon die Gefahr, dass einige Medienvertreter, auch gerade hier in Berlin, eine Art von Selbstsuggestion betrieben haben nach dem Motto: Ich kann das Wahlergebnis, das ich mir selber wünsche, durch Handauflegen herbeiführen. Und wenn man feststellt, dass die Wählerinnen und Wähler dann unabhängiger sind, als man das selber gedacht hat, dass man es dann noch einmal mit Handauflegen versucht. So kann es nicht gehen.
    Adler: Wenn ich zusammenfasse, was Sie ja nicht prognostizieren wollten, also keine baldigen Neuwahlen, und – wie auch immer der Kanzler am Ende, oder die Kanzlerin, aussieht in einer großen Koalition – es werden nicht die beiden Spitzenkandidaten sein, die da angetreten sind und verloren haben?

    Sager: Na, das werde ich ja nicht zu entscheiden haben, das müssen die beiden Großen unter sich ausspielen. Aber ich habe da natürlich eine Einschätzung zu, ich bin da ja auch lange genug im politischen Geschehen. Und da sage ich ganz klar: Das kann ich mir nicht vorstellen, dass die dann am Ende sich beide unterhaken.
    Adler: Wie können Sie sich die Rolle Ihrer Partei, die ja immer gesagt hat, von Anfang an: Opposition ist auch eine Option – wie können Sie sich Ihre Rolle im Bundestag vorstellen?

    Sager: Wir werden natürlich vor allen Dingen dafür sorgen, dass unsere Themen nicht zu kurz kommen. Das heißt, wir werden natürlich uns stark machen für das Thema ökologische Modernisierung, sie muss mit der ökonomischen Modernisierung zusammengehen. Wir werden uns auch dafür stark machen, dass es weiter soziale Reformen geben muss, allerdings auch mit Blick auf das Thema soziale Gerechtigkeit. Das heißt zum Beispiel, dass man auch dann im Gesundheitssystem an die Machtkartelle herangehen muss und nicht nur an die Patienten. Und wir werden natürlich auch dafür sorgen, dass Verbraucherschutz nicht unter den Teppich gekehrt wird, dass die Bürgerrechte und Menschenrechte weiter ein wichtiges Thema werden im Deutschen Bundestag.
    Adler: Und für die Umweltpolitik sorgt dann die SPD, die sowieso mit diesen Themen immer Wahlkampf gemacht hat?

    Sager: Nun, ich denke, das ist natürlich schon eine Gefahr, dass wir im Umweltbereich möglicherweise zum Stillstand kommen. Es wird sicher nicht die Rolle rückwärts geben. Da muss man auch sagen: Die Vorstellung, dass die Schwarzen und die Gelben auf uns zugehen könnten, als wenn sie in der Regierung sitzen und uns dann anbieten könnten, sie würden den Atomausstieg nicht rückgängig machen, das ist eine richtige lächerliche Veranstaltung, weil – Tatsache ist, dass es für die Rückgängigmachung des Atomausstieges im gesamten Deutschen Bundestag keine Mehrheit gibt. Und sie sitzen nicht in der Regierung.

    Es geht nicht darum, dass sie so tun könnten, als wenn die Grünen ihnen jetzt in den Arm fallen müssten, um Schlimmes zu verhindern, sondern sie haben ihr Ziel nicht erreicht. Die Wählerinnen und Wähler haben sie ausgebremst. Aber auf der anderen Seite wollen wir ja, dass es weiter vorangeht, dass wir auch im Bereich der Mobilität, des Verkehrsbereichs, der Wärmeversorgung, dass wir unabhängiger werden von steigenden Rohstoffpreisen. Und da befürchte ich in der Tat, dass eine große Koalition da eher auf Status quo setzen wird als auf Fortschritt. Und das werden wir dann irgendwann bitter bereuen.
    Adler: Frau Sager, ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Die Fraktionsvorsitzenden von Bündnis90/Die Grünen, Krista Sager (li.) und Katrin Göring-Eckardt bei ihrer Klausurtagung in Wörlitz
    Die Fraktionsvorsitzenden von Bündnis90/Die Grünen, Krista Sager (li.) und Katrin Göring-Eckardt. (AP)