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Saiga-Antilopen
Rätselhaftes Massensterben in Kasachstan

Um die Saiga-Antilopen zu schützen, hatte die kasachische Regierung 2012 das riesige Schutzgebiet "Altyn Dala" ausgewiesen. Die Bemühungen um die stark bedrohte Art schienen erfolgreich zu sein: Die Population erholte sich. Alles lief bestens - bis zum 10. Mai dieses Jahres. Da brach eine rätselhafte Seuche aus, die die Tiere zu Zehntausenden dahin raffte.

Von Dagmar Röhrlich | 08.06.2015
    Als sie sich noch die eiszeitlichen Steppen mit Mammuts und Wollhaar-Nashörnern teilten, zählten die Herden der Saiga-Antilopen Millionen: Ihr Lebensraum reichte von Westeuropa bis nach Alaska. Als sich das Klima änderte, zogen sie sich in die Steppen Zentralasiens zurück. Aber sie gediehen weiter: 1991 lebten in Russland, Kasachstan, Usbekistan und der Mongolei rund eine Million Saiga-Antilopen. Zehn Jahre später jedoch war der Bestand um 95 Prozent eingebrochen, auf rund 50.000 Tiere. Der Grund - Wilderei:
    "Das Horn der Saiga-Antilope wird in der chinesischen traditionellen Medizin genutzt und wird illegal exportiert."
    Bestand um 95 Prozent eingebrochen
    Außerdem werde in der Region selbst das Fleisch der Saiga-Antilope verspeist, erklärt die Biologin Aline Kühl-Stenzel. Sie ist Koordinatorin der "UN-Konvention zu Erhaltung wandernder wild lebender Tierarten", auch bekannt als Bonner Konvention. Den Saiga-Antilopen halfen strenge Schutzmaßnahmen, und so gab es 2015 wieder etwa 250.000 Tiere. Bis zum 10. Mai: Da brach die aktuelle Seuche aus, und zwar im größten Bestand, der Betpak-Dala-Population in Kasachstan:
    "Es ist wirklich katastrophal, was wir sehen. Wir haben weit über ein Drittel der globalen Population verloren innerhalb von zwei Wochen. Wir haben über 120.000 Tiere verloren, und hierbei zählen wir nur die adulten Tiere. Es kommt noch mindestens die gleiche Zahl an Kälbern obendrauf."
    Denn die mysteriöse Krankheit begann genau zur Zeit des Gebärens, wenn sich die trächtigen Weibchen in Herden von Zehntausenden Tieren zusammenschließen. Die jungen Saiga-Antilopen kommen innerhalb von einer Woche auf die Welt. Aber diesmal liefen nicht Zehntausende Jung-Antilopen mit ihren Müttern weiter, sondern Soldaten heben mit Bulldozern Gruben für die Tierleichen aus:
    "Die Steppe ist angefüllt von toten Tieren, Fellhaufen und neben jedem Weibchen liegen diverse Kälber, die ein, zwei Tage später nach der Mutter sterben. Wir sehen die gleichen Symptome in den Kälbern. Also die Kälber verhungern nicht einfach nur, sondern sie scheinen auch die gleichen Toxine in sich zu haben."
    Ausmaß ist beispiellos
    Schaum vor dem Mund, Durchfall, Atembeschwerden, starke innere Blutung - das Sterben ist qualvoll.
    "Diese Population ist mindestens halbiert, aber wahrscheinlich ist es deutlich schlimmer. Wir haben vier riesengroße Herden verloren. Wo alle nur den Kopf schütteln, was wirklich bizarr ist: Wir haben 100 % Mortalität. Es hat kein einziges Tier aus diesen Herden überlebt. Das ist wirklich sehr, sehr ungewöhnlich."
    Anders, als es sonst selbst bei schlimmen Seuchen normal ist, erweist sich keines der Tiere als immun.
    "Das Ausmaß, das wir jetzt sehen, ist absolut beispiellos.
    Für die Suche nach der Ursache sind Proben von erkrankten und toten Tieren genommen worden, auch von den Pflanzen, dem Wasser und dem Boden in der Region.
    "Es ist nicht das erste Mal, dass wir so ein Massensterben in Saiga-Antilopen gesehen haben. Zu Sowjetzeiten haben die Forscher auch recht akribisch Daten gesammelt zu den Saiga-Antilopen, da haben wir aus den sechziger, siebziger, Achtzigerjahren recht gute Daten auch zu solchen Massensterben."
    Ungewöhnliche Temperaturschwankungen und Starkregenfälle
    Damals wurde vermutet, dass Bakterien wie Pasteurella eine Rolle spielen könnten. Die sind auch diesmal entdeckt worden, ebenso eine andere Gruppe, die Clostridien.
    "Das sind allerdings Bakterien, die im gesunden Tier eh' vorhanden sind, die machen das Tier nicht krank und bringen es schon gar nicht um, wenn nicht das Immunsystem geschwächt ist."
    Und so wird auch eine mögliche Rolle von Viren untersucht - und die des Klimas, denn es gab im Frühjahr ungewöhnliche Temperaturschwankungen und Starkregenfälle. Aber noch ist alles offen. Derzeit organisieren die Mitarbeiter der Bonner Konvention für September ein internationales Expertentreffen. Bis dahin - so hofft man - wird der Auslöser bekannt sein. Denn auf diesem Treffen sollen Strategien entwickelt werden, die solche Massensterben der Saiga Antilopen künftig zu verhindern.