Die Fußstapfen, in die Tenor Yusif Eyvazov als Andrea Chénier an der Mailänder Scala zu treten hatte, sind mächtig. Von Corelli über Del Monaco, Gigli, Pavarotti und Carreras reicht die Liste der großen Tenöre, die in Mailand als leidenschaftlich liebender Dichter schon unter der Guillotine ihren Kopf verlieren mussten.
Yusif Eyvazov ist der Wunschkandidat von Riccardo Chailly für diese Inaugurazione gewesen, und man kann davon ausgehen, dass Ehefrau Anna Netrebko nichts dagegen hatte. Eyvazov verfügt in der Tat über einen kräftigen, metallischen Tenor, der auch in den mächtig aufwallenden Emotionswogen von Giordanos Musik nicht untergeht.
Sein Timbre ist nicht wirklich schön, aber charakteristisch, und der Sänger ist zu weichem Piano fähig, was er freilich bei dieser Eröffnungspremiere selten zeigen musste. Chailly setzt mit allen Kräften auf große, pompöse Klänge, auf scharfe Akzentuierung der auskomponierten Brutalität und des zerstörerischen Sogs der Revolution.
Zu kontrolliert für echten Nervenkitzel
Statische Stimmpracht dominiert an diesem Abend, denn Mario Martone findet zwar eine geschickte Bühnenlösung für das Historiendrama, in dem er die vier Akte auf der Drehbühne von Margherita Palli mit wenigen, aber ausdrucksvollen Kulissen bestücken lässt, die Personenführung der Solisten bleibt aber trotz der opulent-historischen Kostüme eindimensional.
Der Chor wuselt sowohl als Adelsgesellschaft, als auch als aufgebrachter Mob Trikolore schwingend über die Bühne und erstarrt immer wieder zu malerischen Tableaus, doch die drei Hauptfiguren suchen sich für ihre Arien stets denselben akustisch optimalen Platz an der Bühnenrampe der Scala rechtes neben dem Souffleurkasten.
So kommt trotz des echten Kusses des Ehepaares Netrebko-Eyvazov und dem zaghaft geöffneten Mieder durch Luca Salsis begehrenden Chénier-Widersacher Gerard kein Nervenkitzel, keine Gänsehaut auf. Zu kontrolliert, zu sehr auf den perfekten Stimmsitz konzentriert wirkt diese Darstellung.
Allein mit Schönheit ist es schnell langweilig
Regisseur Martone lässt nach der Pause die revolutionäre Ansprache des Sansculotten vor dem Vorhang bei gedimmtem Saallicht an das versammelte Premierenpublikum richten. Hier kommt erstmals kurz ein mulmiges Gefühl von Betroffenheit auf.
Doch die hohe Politik glänzt bei dieser Eröffnung mit Abwesenheit, die Szene geht schnell vorbei, und die Mailänder feiern sich selbst und ihre Oper nach dem Ohrenschmaus mit Blumenregen und Knalltüten voller Flitter. Eine durch und durch schöne Premiere. Doch allein mit der Schönheit ist es bekanntlich auch schnell ziemlich langweilig.
Anmerkung der Redaktion: Im Vorspann des Textes wurde ein Fehler korrigiert. Bei der Inszenierung von "Andrea Chénier" an der Scala im Jahr 1985 hat Riccardo Chailly dirigiert.