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Saisonauftakt unter neuer Leitung in Mannheim

Am Nationaltheater Mannheim ist Eröffnungswochenende: Vier Uraufführungen präsentiert der neue Schauspielchef Burkhard Kosminski. Dazu gibt es einen Abend mit Musik, eine Klassikerpremiere und Fete für die ganze Stadt. Den Anfang auf der Bühne machten die neuen Stücke von Theresia Walser und Reto Finger.

Von Cornelie Ueding | 07.10.2006
    Ein wahrhaft kurioser Auftakt: Fünf Auftragseinakter von Autoren mit Mannheimer Vita sollten den Startschuss in die neue Saison geben. Einige liefen parallel, zwei davon, beide inszeniert vom neuen Oberspielleiter Burkhard C. Kosminski, konnte man hintereinander sehen: Theresia Walser hechelte in einer Art Prolog über das Theater in bester Thomas Bernhard-Manier die Institution Theater durch. Und Reto Finger, in dieser Spielzeit Mannheimer Hausautor, versuchte es in der Art von Kroetz. Falls die beiden Stücke nach einem dialektischen Prinzip angeordnet gewesen sein sollten, war die Komposition - soviel kann man sagen - perfekt abgestimmt: Das zweite Stück widerlegte die Prämissen und Versprechungen des ersten nahezu vollständig; und das Theater entließt den geneigten Zuschauer nach opulentem Gratis-Catering ebenso wohlgenährt wie ratlos in eine musikalische Nacht-Premiere. Zunächst rechnete Theresia Walser mit den Theatermoden ab: überspanntes Regietheater, deklamatorische Selbstverliebtheit, postmoderner Zergliederungswahn, Authentizitätssucht, Bebilderungsflut, alles kommt zur Sprache in dem kleinen Bachstage-Gespräch dreier Hitler-Darsteller kurz vor einer Talk-Show. Drei Schauspieler-Generationen im launigen Insider-Geplänkel, die zum Amüsement des Publikums Trends, Maschen, Ticks und Tricks des Metiers karikieren und vorführen und dabei ex negativo ein Plädoyer für "wirkliches" Theater, für ein Theater ohne Mätzchen, TV-Allüren und technische Aufmischung halten.

    Ein kleiner "Renner" könnte das werden, auch wenn man sich eine Steigerung der komischen Wirkung durchaus vorstellen könnte. Dazu freilich müsste es einem Regisseur gelingen, den doppelten Boden dieses Bravourstückchens einer Show vor der Show aufzudecken. Er müsste die Schauspieler ihre Lieblings-kantinen- und Selbstdarstellungsposen zitieren statt reproduzieren lassen, kurz: sie müssten spielen, dass und wie und wann sie spielen.

    Wer sich in Mannheim nun, nach dieser Probe aufs Exempel erwartungsfroh gestimmt, mit dem ersten Stück der neuen Spielzeit konfrontiert, erlebt einen herben, rustikalen Schock. Vielleicht wollte man ja nach soviel Kritik an postmoderner Überspanntheit eine neue Dramaturgie erdiger Derbheit und platter Dumpfheit proklamieren. Dann wäre das maulfaule und dezidiert kunstlose Älplerdrama aus der Feder des Emmentaler Hausdichters Reto Finger geradezu ein Schlüsseltext: der Bruder an der Steilwand abgestürzt, das Schwesterlein Hanna vom schleimigen Herrn Pfarrer unsittlich betatscht, vom Stadtfreund verraten. Dann stirbt auch noch die Lieblingskuh und der Vadda hängt sich im Stall auf. Und während die Mutter mit gebrochenem Seelengenick im Hintergrund herumgeistert, greift die düpierte Tochter der Berge nun beherzt zur Axt und meuchelt den Herrn Pfarrer, dass es nur so spritzt - das Blut. Wie ein wildes Tier. Das Ganze in einer dünnlippigen Kunstsprache mit einigen Pseudo-Kraftausdrücken garniert. Was dem Text an sprachlicher Kraft fehlt, versucht Regisseur Burkhard Kosminski ersichtlich durch Lautstärke und exaltierte Gestik wettzumachen - und so werden alle Theateruntugenden, die Theresia Walser eben noch lustvoll angeprangert hatte, aufs gröbste neuerlich vorgeführt: keine Verrenkung, kein Klischee, kein schaler Symbolismus, der dem Zuschauer erspart bliebe. Typen statt Menschen. Isoliert voneinander - deshalb stehen sie, jeder für sich, auf den ebenfalls verschieden hohen, gegeneinander beweglichen Spielinseln. In sich eingesperrt - deshalb müssen sie in verbogener, verschraubter Körperhaltung erstarren und fast immer voneinander wegschauen. Wer emotional reagiert, wird laut. Selbst die gerade noch überzeugend karikierte Theater-Manie, immer dann Musik zu unterlegen, "wenn's dünne wird" - folgt auf dem Fuße. Und kann doch nichts mehr retten, auch wenn noch so sanft dialektal urtümelnd gehaucht wird. Der Wunsch nach einem erträglichen Hausdichter kommt von Herzen, sonst wird's wohl nichts mit den ganzen guten und großen Vorsätzen von Ensembletheater und Theater als städtischem Kommunikationszentrum. Grobgestricktes Blubo-Gemuhe jedenfalls ist nicht die Antwort auf deutliche Krisenphänomene der Institution Theater. Und falls es noch eines Beweises bedurft hätte, dass es doch nicht ohne gute Regie geht auf dem Theater - die Aufführung "Kaltes Land" liefert ihn.