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Saisonpremiere an der Berliner Staatsoper
Die geschmacklosen Weiber von Windsor

Natürlich war Shakespeare das Vorbild für Otto Nicolais Oper "Die lustigen Weiber von Windsor". 1849 hatte sie in Berlin Premiere, danach wurde sie nicht allzu häufig aufgeführt. Die Neuinterpretation von David Bösch an der Staatsoper Unter den Linden setzt nun auf Plattitüden.

Von Uwe Friedrich | 04.10.2019
Linard Vrielink als Junker Spärlich, David Oštrek als Dr. Cajus
Klischee in Rosa: Linard Vrielink als Junker Spärlich, David Oštrek als Dr. Cajus (Staatsoper Berlin / Monika Rittershaus)
In einer trostlosen Vorortsiedlung trinken Frau Fluth und ihre Nachbarin Frau Reich sich den Vormittag schön. Kann man auch verstehen, denn zwischen Plastikstühlen, Gartengrill und Wäschespinne bleiben Witz und heitere Laune schnell auf der Strecke. Da mag Frau Fluth sich List und Übermut noch so sehnlich herbeiwünschen.
Von Regisseur David Bösch und Bühnenbildner Patrick Bannwardt wird die Geschichte vom dicken Ritter Falstaff in eine besonders trostlose Ecke der Achtzigerjahre gesteckt und versandet dort ziemlich schnell. Zwischen RTL-Frauentausch und Al Bundys "Schrecklich netter Familie" ist nicht viel Platz für subtilen Humor, stattdessen gibt es nur Posse und Klamotte, billige Lacher und Schenkelklopfhumor auf Kosten der ohnehin Unterlegenen. Wenn der im Grunde nicht unsympathische Säufer und Schwerenöter Falstaff nämlich aussieht wie ein Obdachloser aus der berüchtigten Berliner U-Bahn-Linie 8 zwischen Alexanderplatz und Kottbusser Tor, dann ist das eine fatale Fehldeutung durch das Regieteam, denn es zerstört den sozialen Ort der Komödie.
Sowohl bei Shakespeare als auch bei Nicolai steht Falstaff sozial deutlich über den Familien Fluth und Reich. Wenn die Frauen sich gegen die Avancen dieses Ritters wehren, ist das nicht nur komisch, sondern auch mutig und subversiv.
Denkfaul und selbstgefällig
Einen sozial so weit Abgestiegenen wie diesen Staatsopern-Falstaff weiter zu demütigen, ist hingegen im wirklichen Leben unverzeihlich, auf der Bühne mindestens geschmacklos. So etwas hat das Team um Regisseur Bösch wahrscheinlich nicht ausdrücklich gewollt, es unterläuft ihm einfach aus Achtlosigkeit. Ebenso wie die unkommentiert dargestellte häusliche Gewalt oder die Bloßstellung des Ausländers: Der Franzose spricht mit Akzent. Haha, sehr lustig! Selbst der möglicherweise emanzipatorisch gemeinte Schlussgag, dass auch Doktor Cajus und Junker Spärlich die wahre Liebe finden, und zwar miteinander, wird dadurch entwertet, dass die beiden Männer dafür vom Kostümbildner Falko Herold vollkommen unmotiviert in Glitzertütüs und hochhackige Schuhe gesteckt werden. Guck mal, wie witzig, diese Schwuchteln! Kurz gesagt: Eine denkfaule und selbstgefällige Inszenierung, die immer schlimmer wird, je länger man darüber nachdenkt.
Wenige Lichtblicke
Doch es gibt auch Lichtblicke, Momente, in denen aufscheint, wie komisch und abgründig die deutsche Spieloper noch immer sein kann. Der Bariton Michael Volle als eifersüchtiger Herr Fluth gestaltet jede Phrase musikalisch durch, hat bei allem Lächerlichen auch etwas Gefährliches, wenn er in perfektem Timing mit der famosen Mandy Fredrich die Ehegeplänkel auskämpft.
Die Mezzosopranistin Michaela Schuster ist eine wunderbare prollige Nachbarin mit spürbarem Spaß an der Klamotte. Der Bass René Pape darf in der Titelpartie hingegen nur im Bademantel herumstapfen und liefert auch gesanglich eine eher pauschale Interpretation des Schwerenöters. Pavol Breslik und Anna Prohaska bleiben blass als junges Liebespaar.
Zu schwer und oft zu laut
Sie alle kriegen allerdings auch durch Generalmusikdirektor Daniel Barenboim Blei an die Schuhe gehängt. Der schaut nämlich mit der Staatskapelle durch die ganz dicke Wagnerbrille auf die Partitur. Das ist zwar minutiös gearbeitet, aber durchweg zu schwer, zu unbeweglich für eine leichtfüßige Komödie - oft auch schlicht zu laut. Und so muss wieder einmal ein selten gespieltes Werk gegen Berliner Opernmacher in Schutz genommen werden. Eigentlich ist Nicolais "Die lustigen Weiber von Windsor" nämlich ein gutes Stück, man müsste ihm nur vertrauen. So kommt dem Betrachter ein anderer Shakespearetitel in den Sinn, nämlich "Viel Lärm um Nichts".