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Salafisten
Die Gewalttätigen setzen sich durch

Die Anhänger des Salafismus in Deutschland werden immer jünger, und die gewaltbereiten Akteure unter ihnen gewinnen an Bedeutung. Öffentlich bekennen sich salafistische Gruppen zwar zur friedlichen Mission, doch nach innen werden Gewalt und Märtyrertum gepredigt.

Von Martina Sabra | 13.08.2014
    Anhänger der Salafisten beten am Samstag (09.06.2012) in Köln unter der Beobachtung der Polizei.
    Betende Salafisten unter Polizeiaufsicht: Die gewaltbereiten Akteuer gewinnen in der Szene an Einfluss. (picture alliance / dpa - Roland Weihrauch)
    "Mach keine Sorgen, überhaupt, ich werd' alles machen inschaallah, okay baraka allahu fiki, möge Allah dich segnen, und bitte ganz ruhig bleiben, jedes Problem hat eine Lösung. Okay. Baraka allahu fiki, bitte schön, danke. Ja, ja, danke, auf wiederhören. Sagt noch etwas auf Arabisch."
    Fast täglich erhält der in München lebende islamische Religionsgelehrte Abu Adham Anrufe verzweifelter Eltern aus ganz Deutschland. Sie suchen Rat, weil ihre Söhne und immer öfter auch ihre Töchter in die Fänge radikaler Islamisten geraten sind oder weil sie davor Angst haben.
    "Das ist eine Dame, die befindet sich in Leipzig und ihr Sohn ist in Frankfurt in eine dieser Gemeinden, wo das Kind einfach radikalisiert worden ist. Und vielleicht hat diese Gedanken, dass er nach Syrien in diese Jihad-Szene abtaucht. Und versuchen wir, der Dame einfach zu helfen."
    Abu Adham ist palästinensisch-ägyptischer Herkunft. Ausgebildet wurde er in islamischer Theologie, Sprachwissenschaft und Pädagogik. Vor über 13 Jahren gründete er in München den Moscheeverein Dar Al Qur'an. Abu Adham ist konservativ und sehr fromm – ein Salafist. Wie die meisten sehr frommen Salafisten in Deutschland lehnt er Gewalt ab. Und nicht nur das: Er widmet auch einen großen Teil seiner Arbeitszeit der aktiven Bekämpfung des gewaltbereiten Salafismus. Doch Männer wie er geraten aktuell immer mehr in die Defensive. Per Facebook und Handy hat Abu Adham Morddrohungen erhalten.
    Syrien und Irak sorgen für Radikalisierung
    Dazu beigetragen habe die Entwicklung in Syrien und im Irak. Und damit verbunden die Ausbreitung von Gruppen, die explizit oder implizit einen Mix aus Mission, Intoleranz und Gewalt befürworten, meint die Berliner Islamwissenschaftlerin und Salafismusexpertin Claudia Dantschke. Ein Beispiel: Der Verein "Die Wahre Religion", der mit massenhaften kostenlosen Koranverteilungen wirbt.
    "Das ist eine Gruppe, die immer schon zum Dschihad und Gewalt befürwortenden Teil gehörte. Sie rufen nicht auf, aber sie legitimieren es mit, das gehört zur Ideologie dazu. Mit diesem Projekt der kostenlosen Verteilung der deutschsprachigen Koranausgabe in den Fußgängerzonen haben sie mit einer quasi harmlosen Aktion diesen nicht gewaltbereiten politisch-missionarischen Teil besetzt. Und die anderen in den Hintergrund gedrückt. Das heißt, sie dominieren jetzt sowohl die nicht gewaltbereite politisch missionarische Szene als auch die Szene, die letztlich die Brandstifter sind für diese radikalen Jugendszenen die sich da entwickelt haben, in Bezug auf bewaffneter Kampf/Dschihad."
    Anführer der Gruppe "Die Wahre Religion" ist Ibrahim Nagie, ein palästinensisch-stämmiger Laienprediger aus Köln, der in den vergangenen Jahren wegen diverser Vorwürfe vor Gericht stand – unter anderem wegen Volksverhetzung und Sozialbetruges. Claudia Dantschke sieht aber nicht einzelne Gruppen als das Hauptproblem, sondern die Milieus, die sich im Umfeld herausbilden und verfestigen.
    "Mit Syrien hat sich das noch mal zugespitzt, weil über diese radikale Gruppe "Die Wahre Religion" sich letztlich so eine militante Jugendkameradschaftsszene gebildet hat. Und diese löst sich jetzt von ihren Vorbildern, das heißt, auch die Prediger der "Wahren Religion" haben nicht mehr hundertprozentig Einfluss, sondern diese Jugendlichen sind so ideologisiert, so radikalisiert, und machen sich selbstständig. Gerade in Bezug auf Syrien gibt es im Hintergrund durchaus so Netzwerkfiguren, die letztendlich diesen Jugendlichen auch die Kontakte herstellen, die auch Fragen beantworten, wie sie nach Syrien kommen, weil sie natürlich fast alle zu ISIS wollen, also zum Islamischen Staat, um dort bei der kampferprobtesten, besten Gruppe kämpfen zu können."
    Pop-Jihad als Jugendsubkultur
    Der Salafismus habe sich teilweise zu einer Jugendsubkultur entwickelt – manche sprechen schon von Pop-Jihad. Charismatische junge Prediger wie zum Beispiel Izzudin Yakupovic aus Bonn seien von ihren Ideen her aber nicht Pop, sondern klar antidemokratisch. Insgesamt werde es immer schwieriger, an besonders gefährdete Jugendliche heranzukommen.
    Claudia Dantschke arbeitet in Berlin an einem bundesweiten Beratungsprojekt für Angehörige von radikalisierten Jugendlichen mit. Ziel ist, Jugendliche vor der Radikalisierung zu bewahren oder bereits radikalisierten Jugendlichen den Ausstieg zu erleichtern. Die Familie könne in solchen Situationen eine entscheidende Rolle spielen, betont Claudia Dantschke.
    "Wenn Jugendliche abdriften in so eine Szene, werfen sie eigentlich alle sozialen Bezüge über Bord. Der gesamte Freundeskreis wird ausgetauscht, sie bewegen sich dann letztlich in einer Gruppe oder in einem Milieu, wo bestimmte Weltsichten, Lebensalltagssichten selektiv entsprechend dieser Ideologie geprägt werden und ständig wieder Bestätigung finden. Und die Familie, die nahen Angehörigen sind die Einzigen, die letztlich noch eine andere Sicht reinbringen können. Der Jugendliche muss anfangen, zu hinterfragen, er muss anfangen zu diskutieren. Und wenn ich mit ihm im Gespräch bin, dann weiß ich, worum es ihm geht, dann kann ich durch geschickte Fragen Nachdenken erzeugen. Es ist ein langer Weg."