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Salvatore Sciarrinos "Infinito Nero - Eine Projektbeschreibung"

"Infinito nero": das ist, wörtlich genommen, das "unendliche Schwarz". Der Begriff zielt jedoch zugleich auf den Zustand der Welt vor ihrer Erschaffung durch Gott. Angeregt wurde die Annäherung an diese okkulte Zone von der Lektüre mittelalter philosophischer Texte, aus denen sich der Komponist Salvatore Sciarrino gern das eine oder andere Häppchen nascht. Um es mit seiner notorisch sensiblen Kammermusik zu bedenken und wohlportioniert als apokryphe Botschaften in den Subventionskulturbetrieb einzuspeisen.

Von Frieder Reininghaus | 12.04.2004
    Der Rahmen für die neuerliche Annäherung an die unaussprechlichen Freuden der Erfahrungen an den Erkenntnis- und Hörgrenzen fiel denkwürdig aus. Der sich verengende Laufgang, der von der Straße in die Herzkammer des Versuchs führte, mag von den altägyptischen Pyramidenbaumeistern abgeschaut worden sein oder von Dany Karavans Denkmal für Walter Benjamin in Port Bou. Es muss sich ducken, wer sich zur Unendlichkeit vor aller Zeit vortasten will.
    Ach, und was war das dann ein subtiles Blubb und Blubb-Blubb im ppp, das sich die musikalischen Rechercheure minutenlang zuwarfen. Sie versammelten sich zum großen Kreis mit den anderen Akteuren, die den Raum nach und nach mit "Arbeit" erfüllten: Mit dem Zubereiten von Tee aus praktischen Beuteln. Mit der Erinnerung an Ballettschule der 60er Jahre, mit Zeichnungen um die sich auf den Boden legenden oder gelegten Mitwirkenden und Alltagsgegenstände. Die Kreise wurden mit bunten Kreiden zu Sozio-Diagrammen verbunden. Das Resultat erinnerte an die graphische Darstellung der Vorträge von Rudolf Steiner oder Joseph Beuys und könnte sofort Aufnahme finden in die Sammlung der wirrsten Grafiken. Und die Musik tastete weiter nach dem schwarzen Nichts. Dabei wurden die Instrumentalisten auch zwangsweise umgesetzt; man mochte erahnen, dass es sich beim unendlichen Schwarz um eine wahrhaft sinistre Macht handelt.
    Auch das weiteren, als einige Eleven der Forum-Schule sich an der Inszenierung weiterer Kammermusikwerke versuchen durften, bleibt das Schwarz dumpf. Geschmackvollerweise nannte der Planet Schlömer seine Mitarbeiter "Satelliten" – aber dergleichen geht wohl in voller Höhe in Ordnung, wenn sich Kunst dergestalt in höhere Räume vortastet.
    Im Beiprogramm präsentierte Axel Nitz ein Psychogramm von Sarah Kanes "4.48 Psychose" – einen Nachzügler einer Mode, die vor einigen Jahren das deutsche Regie-Theater respektvoll erschütterte. Herausragend aus all dem Epigonalen erschien einzig eine weitere Kammermusik von Sciarrino mit der hoch talentierten brasilianischen Mezzosopranistin Rosemara Ribeiro, die Michael von zur Mühlen plausibel und akkurat in einem transparenten Fotolabor inszenierte: "Vanitas". Auch das eine Annäherung an das Infinito nero – doch eben auch noch als Stilleben theatralisiert.

    Sciarrino, Schlömer und die zwei Dutzend jungen Leute in ihrem Projektdunstkreis haben der Öffentlichkeit demonstriert, wie heute in der fahrigen breiten Spur von esoterischen Vorstellungen immer noch einmal Klang- und Theaterräume "erkundet", Körper und Bewegungsabläufe "positioniert" werden. Der Geist bleibt ausgespart dabei. Erstaunlich, dass von den jungen Leuten gegen das autoritäre Regiment der Projektleiter nicht aufbegehrt wurde. Doch irgendwann werden sie entscheiden müssen, ob sie in Vasallentreue zu recht ratlosen Gurus etwas werden wollen oder mit Künsten, die auch Geist in geistfähigem Material sind.
    Außer Mitwirkenden, professionellen Beobachtern und Angehörigen hatten sich auch einige Fährtensucher eingefunden. Die notorisch Gutwilligen wissen durchaus, warum sie auch weite Wege nicht scheuen und ins neue Musiktheater-Forum kommen:
    Doch wurde, so räumen sie ein, die Geduld auf die Probe gestellt:
    Ganz allgemein, aber heute besonders.