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Salz auf unseren Straßen

Mittlerweile gab die erste Straßenmeisterei in Deutschland auf: Im Kreis Gütersloh gibt es kein Streusalz mehr. Anmerkung zur neuen Wertschätzung des Salzes.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Weil es mitten im Winter kalt wurde, hat Deutschland ein Salzproblem. Schon sieht man verantwortungsbewusste Hausbesitzer die weißen Körnchen von Salzbrezeln abknibbeln und auf den Gehweg werfen. Das Essen schmeckt von Tag zu Tag fader, da das letzte Kochsalz auf den Straßen verstreut wird. Das macht die Menschen einerseits gesünder, denn salzarme Diät ist gut gegen Bluthochdruck, und das entlastet langfristig die Krankenkassen. Andererseits steigt die Zahl der Knochenbrüche an. So weiß man wieder mal nicht recht, wie sich die Klimaerkältung eigentlich auswirkt - zum Guten oder zum Schlechten.

    Jedenfalls ist das Streusalz in Deutschland jetzt so knapp wie das Geld. Die Vorräte an beidem sind erschreckend zurückgegangen, und wahrscheinlich gibt es da eine innere Verbindung. Salz galt während des größten Teils der Menschheitsgeschichte als eine Kostbarkeit, man sprach vom "weißen Gold" und zahlte einen Teil des Lohns in Form von Salz aus - daher kommt der Begriff "Salär". Salz hat also eine Geldfunktion, und es ist nicht ausgeschlossen, dass Geld auch eine Salzfunktion besitzt. Man sollte Geld vielleicht mal auf die Straße werfen, um zu testen, ob es Schnee zum Schmelzen bringt.

    Tatsächlich haben Geld und Salz aber vor allem eine metaphysische Gemeinsamkeit: sie sind hochkonzentrierte Essenzen, Anreicherungen von Gewinn beziehungsweise Geschmack, in denen die Anreicherungsprozesse auf geheimnisvolle Weise aufgehoben sind. Beide, Geld und Salz, lösen ein Verlangen aus, das mit der Zeit in Gier umschlagen kann, und beide lösen sich bei Gebrauch rückstandslos auf.

    Das tut Zucker allerdings auch, der große Gegenspieler des Salzes in unserem Küchenalltag. Wer hätte nicht schon mal die beiden Substanzen in der Hitze des Herdes verwechselt und damit die seltsamsten ästhetischen Effekte ausgelöst? Dabei sind Salz und Zucker strukturell grundverschieden. Man könnte zum Beispiel keinen Atommüll in einem ausgedienten Zuckerbergwerk einlagern. Und gegen Eis und Schnee auf Autobahnen hilft Zucker auch nicht wirklich. Ja, an Salz und Zucker kann man sehr schön den Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung demonstrieren.

    Im übrigen ist Zucker so künstlich wie das Schlaraffenland, während Salz als solches überall in der Natur vorkommt: sowohl im Boden als auch im Meer, das heißt, es symbolisiert geradezu das Planetarische unserer Existenz. Mit jedem Salzkorn, das wir schmecken, tut sich diese geologisch-ozeanische Dimension einen Spalt weit auf. Mehr als ein paar Körner wären jedoch von Übel; Salz ist etwas, das wir nur verdünnt genießen können und in kleinen Mengen. Genauso wie philosophische Betrachtungen.