Archiv


Salz und Bier und "Rote Rosen"

Im Mittelalter galt das inzwischen mehr als 1050 Jahre alte Lüneburg als pulsierende Handelsmetropole. Heute ist es mit seinen 73.000 Einwohnern wohl eher eine beschauliche Kleinstadt, die mit ihrem mittelalterlichen Flair viele Besucher anlockt.

Von Claudia Kalusky |
    Die Altstadt ist zu großen Teilen wunderbar erhalten geblieben, da Lüneburg im zweiten Weltkrieg von Bombenangriffen mehr oder weniger verschont blieb. Ein Prunkstück ist das Rathaus, das größte mittelalterliche Rathaus Deutschlands.

    "Hier saßen immer unsere Sülfmeister als Ratsherren drin, man konnte nur Ratsherr werden in Lüneburg, wenn man mindestens vier Salzpfannen bewirtschaftete. Man kann sich vorstellen, dass das eine etwa ein Quadratmeter große Salzpfanne ist, in die etwa 50 Liter Sole hinein passten, das wurde von unten mit Holz besiedet, nach etwa drei Stunden hatte man aus diesen 15 Kilogramm Salz rausgesotten."

    Das benötigte Holz stammte überwiegend aus der unmittelbaren Region, die damals sehr waldreich war. Durch die Abholzung entstand die Lüneburger Heide. Einer Legende nach entdeckte ein Jäger den späteren Reichtum der Stadt in Form von glitzernden Salzkristallen in dem Fell einer erlegten Wildsau.

    Lüneburg entwickelte sich zur größten nördlichen Salzproduktionsstätte Europas und zählte bis ins 16. Jahrhundert neben Lübeck zu den reichsten Städten der Hanse.

    "Weil das Salz der Konservierungsstoff war, um die Fastenmahlzeit einzusalzen. Und das war der Hering und der wurde in großen Mengen in Südschweden und
    in Dänemark gefangen und um den haltbar und transportfähig zu machen, brauchte man das Lüneburger Salz. Das ist wichtig um den Hintergrund von Lüneburg zu verstehen, dass man an 140 Tagen im Jahr fastete und wenn man es sich leisten konnte, dann war der Hering der Fisch, den man dann essen konnte."

    Über 1000 Jahre wurde das weiße Gold in der Saline gesiedet. 1980 wurde ihr Betrieb eingestellt. An einer Straßenkreuzung wird es deutlich: Der Blick von der oberen in die Gassen der unteren Altstadt führt eindeutig abwärts.

    "Das liegt daran, dass hier das Senkungsgebiet von Lüneburg beginnt. Das heißt, der Stadtteil, der sinkt ab, auch heute noch. Über die Jahrhunderte ist das drei bis vier Meter abgesunken und das liegt daran, dass auf der anderen Straßenseite der Salzstock unter Lüneburg beginnt und der ist ausgewaschen worden durch das Grundwasser, was hier den Salzstock durchströmt. Nach über 1000 Jahren Betrieb hat man die Saline eingestellt, und zwar nicht, weil die Häuser kaputt gingen, sondern weil das Heizmaterial zu teuer geworden war."

    Die erhalten gebliebenen, in Schieflage geratenen, aber überwiegend sehr hübschen Häuser stammen meist aus dem 17. Jahrhundert und sind Fachwerkbauten. Viele sind in ihrem unteren Teil bauchig ausgewölbt. Bei einem der Häuser ist die Wölbung so stark ausgeprägt, dass es gar als "schwanger" bezeichnet wird. Es gibt liebevoll gestaltete Innenhöfe; manche von ihnen dürfen, das Einverständnis der Hausbesitzer voraus gesetzt, besichtigt werden.

    "Wenn wir Fachwerk sehen, ist es meistens nur oben, weil unten immer die Küche war und man wollte sich vor Stadtbränden schützen, indem man per Bauverordnung die Leute dazu anhielt, nur im feuerungefährlichen Obergeschoss Fachwerk zu verwenden. Die Leute, die genug Geld hatten, die Steinreichen, bauten ihre Steinhäuser lieber
    im stabilen Teil der Stadt. Drüben sehen wir ein paar Baumwipfel am Horizont und da stand mal die Lüneburg."

    Lange ist es her. Im Verlauf eines Erbfolgekrieges zerstörten die Lüneburger ihre Burg übrigens selbst. Zumindest in heutigen Zeiten scheinen sie aber eher ein norddeutsch gelassenes Völkchen zu sein.

    Wir kommen zu einem sehr idyllischen, etwas höher gelegener kleiner Platz, der sich in seiner Anmutung durchaus auch im südlichen Europa befinden könnte. Hier treffen sich die Ausläufer zweier Gassen; den Mittelpunkt bildet die St. Michaelis Kirche. Dieser Kirche ist es indirekt zu verdanken, dass eine spätere berühmte Persönlichkeit, allerdings nicht aus Lüneburg stammend, mit der Stadt in Verbindung gebracht wird.

    "Wir sind jetzt hier beim Johann Sebastian Bach Platz. Johann Sebastian kam hier als Jugendlicher nach Lüneburg und hat hier gesungen an dieser Kirche. Diese Kirche war ursprünglich eine der reichsten Klostergemeinden in Norddeutschland und ist dann in der Barockzeit immer noch sehr kulturbewusst gewesen und hatte einen großen Chor und es gab Freistellen, wo Schüler anders als sonst in der Barockzeit kein Schulgeld zu bezahlen hatten, wenn die denn sich verpflichteten im Chor zu singen und Johann Sebastian Bach hatte eine gute Sopranstimme, kam als Sänger nach Lüneburg, blieb zwei Jahre hier."

    Auch der Dichter Heinrich Heine war öfter zu Besuch in der Salzstadt; das mag vermutlich daran liegen, dass seine Eltern hier einige Jahre lebten, denn Heine schätze die Stadt keineswegs. "Residenz der Langeweile", nannte er sie spöttisch enttäuscht. Und dennoch schrieb er beispielsweise seine "Loreley" nicht an den Ufern des Rheins, sondern am Ufer der Ilmenau, die sich durch Teile der Stadt schlängelt. Inzwischen ist in Lüneburgs Heinrich-Heine-Haus unter anderem das Standesamt untergebracht.

    Die älteste Kirche der Stadt, mit Gebäudeteilen aus dem 13. Jahrhundert, liegt in der oberen Altstadt; St. Johannis heißt sie und ihr 108 Meter hoher Turm befindet sich ebenfalls in einer sichtbaren, leichten Schräglage.

    "Da gibt es eine Geschichte, dass nämlich der Turmbauer so verzweifelt war über diese misslungene Bausubstanz, dass er sich zu Tode gestürzt haben soll, aber er hatte Glück gehabt, da fuhr gerade unten ein mit Stroh beladener Wagen vorbei und er fiel auf diesen Wagen und freute sich über diesen göttlichen Fingerzeig und trank dann abends ein Bier nach dem anderen, fiel vom Stuhl und brach sich das Genick."

    Einst verfügte die Hansestadt über etwa 80 Brauereien. Und auch wenn die längst nicht mehr existieren, liebt der Lüneburger sein Pils.

    "Es gibt Bier, was in Hamburg gebraut wird und was immer noch unter dem Lüneburger Pilsener Label dann hier nach Lüneburg gebracht wird."

    "Aber das ist ja ein bisschen Betrug!"

    "Finden wir auch, aber das schmeckt trotzdem sehr gut."

    Das attraktivste Viertel ist sicherlich das so genannte Wasserviertel. Hier findet sich der historische Hafen, um den sich jahrhundertealte Backsteingebäude, eine ehemalige Wassermühle, Speicher und prachtvoll restaurierte Patrizierhäuser gruppieren, in denen vor allem Hotels und Restaurants untergebracht sind. Eines dieser Hotels spielt eine tragende Rolle in der ARD-Telenovela "Rote Rosen".

    "Ist für uns natürlich ein tolles Marketinginstrument. Die Leute, die aus Süddeutschland oder Nordrhein-Westfalen kommen, speichern sich das einfach als Reiseziel und irgendwann kommen sie dann."

    Heute touristisch und gastronomischer Anziehungspunkt, war das Wasserviertel damals Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens der Stadt. Von hier wurde das Salz über Lübeck in alle Welt verschifft. Ein eher unscheinbarer Holzbau mit einem Kranarm steht seit dem 14. Jahrhundert ebenfalls am Ufer der Ilmenau. Es handelt sich um einen alten Lastkran, das Wahrzeichen von Lüneburg.
    "Die Treträder, die hier in Benutzung waren, waren etwas über fünf Meter im Durchmesser und vier Leute konnten in beiden Rädern gemeinsam laufen. Und wenn die wie im Hamsterkäfig laufen, dann dreht sich auch die Mittelachse und um die Achse dreht sich die Kette und so konnte man Gewichte hochziehen, bis zu einer Tonne. Das wurde mal richtig gefährlich, weil hier eine Lokomotive hochgezogen wurde, die war zu schwer, da riss die Kette, da wird das hier zu einem gefährlichen Rhönrad und die Leute brachen sich Arme und Beine."

    Lebensbedrohliche Knochenarbeit wird hoffentlich nicht mehr geleistet werden müssen in der Salzstadt, deren zweitgrößter Arbeitgeber die Universität ist. Und die etwa 7000 Studenten müssen sich abends wahrscheinlich nicht langweilen, da Lüneburg im Verhältnis zu anderen Städten ähnlicher Größenordnung die größte Kneipendichte Deutschlands haben soll.
    Das attraktivste Viertel Lüneburgs ist das sogenannte Wasserviertel.
    Das attraktivste Viertel Lüneburgs ist das sogenannte Wasserviertel. (Claudia Kalusky)