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Salzburger "Doktor Faust"

Ursprünglich sollte Stefan Bachmann den "Doktor Faust" an der Berliner Staatsoper inszenieren. Aber nach seinem Debakel mit "Tristan" zu den Festtagen im Frühjahr bekam er offenbar kalte Füße. Nun hat Intendant Peter Mussbach eine ältere Inszenierung von Ferruccio Busonis nicht vollendeter Oper, die er 1999 in Salzburg herausbrachte, neu auf aufgeführt.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Diese Musik "sitzt" gleichsam zwischen allen Stühlen. Damals wie heute. Sie wollte in die Zukunft weisen und dennoch nicht von der Tradition sich abkoppeln. "Futuristen"-Gefahr witterte geifernd einst Hans Pfitzner. Alban Berg nahm Busoni davor in Schutz. Zu Schönberg und seiner Schule hielt der Deutsch-Italiener Busoni sich dennoch auf Distanz.

    Viel Bachscher Kontrapunkt aber auch moderne Clustertechnik und Freitonalität sind in diese Musik eingeflossen. Heute wirkt sie oft wie postmodern. Das gefürchtete Pedalspiel des Klaviervirtuosen Busoni, das einen Toscanini einst zum fluchtartigen Verlassen eines Konzerts trieb, ist immer gleichsam mit komponiert.

    "Doktor Faust" ist Ferruccio Busonis opus summum - im doppelten Sinn. Im Freiheits- und Glückssucher Faust, der sich an Mephisto verkauft um diese Freiheit zu finden und zu genießen, schafft Busoni ein Eigen-Bild. Das Libretto schrieb er sich .selbst. Nicht Goethe sondern das Puppenspiel diente als Vorlage.

    Die Musik, die er verwendet, ist teilweise zusammengetragen aus früheren Werken. Die Oper aber bringt er nicht zu Ende. Die heikelsten Stellen lässt er unkomponiert. So wie Schönberg später bei seinem "Moses und Aron".

    Und etwas von einem Moses, der ein neues Gesetz des Lebens sucht, hat dieser Faust auch in Peter Mussbachs Inszenierung an der Berliner Staatsoper. Das Bühnenbild von Erich Wonder zeigt zu Beginn einen magisch erleuchteten Raum, wie ein Bunker mit schießschartenartigen Schlitzen in den Wänden.

    Gleise auf Stelzen führen da durch. Krakauer Studenten rudern auf einer Draisine das neue Gesetzbuch des Lebens herbei, mit dessen Hilfe Faust den Luzifer beschwört und sich dann Mephisto als seinen vermeintlichen Diener erwählt.

    Mussbachs Inszenierung hat etwas ermüdend Lähmendes. Überästhetisiert etwa die Bilder von der Hochzeit in Parma, wo Faust gleichsam im Lichtraster einer metropolitanen Landebahn aufsetzt, seine Zauberkunststückchen vor- und die Herzogin in schwarz-goldener Robe verführt.

    Als eine Art Masken-Karneval inszeniert ist der Disput mit Studenten in Wittenberg, wo Faust seine Liebesabenteuer mit der Herzogin als eine Reminiszenz à la "Rosemarys Baby" mit Riesenkinderwagen und Feuerzauber erzählt.

    Der Schluss dann: eine Winterlandschaft, in der die Spuren des Welten- und Seelenforschers Faust sich langsam verlieren.

    Hatte Mussbach mit seiner letzten Inszenierung am Haus mit Lehárs "Lustiger Witwe" unter Pinguinen in der Antarktis den Proteststurm des Publikums so recht angeheizt - was der Produktion allerdings auch den schnellen Kältetod bescherte -, so waren die potentiellen Buhrufer nach den dreieinhalb Stunden Spielzeit jetzt offenbar so ermattet, dass auch sie nur in den freundlichen Einheitsapplaus einstimmten.

    Allen voran galt der dem Darsteller der Titelfigur, Roman Trekel, der die mörderische Partie stimmschön und expressiv bis zuletzt durchstand. Daniel Barenboim am Pult, der schon seine erste Spielzeit an der Lindenoper mit einer früheren Busoni-Oper, "Die Brautwahl", schmückte, dirigiert diese Partitur in der von Philipp Jarnach ergänzten Version mit großem romantischem Gestus.

    Die Staatskapelle findet unter Barenboim zu einem satten, runden Klang. Und Mussbachs Szene lässt ja genügend Raum, dem zu lauschen. Dass ein Stefan Bachmann, der diese Neuproduktion ursprünglich stemmen sollte, nach seinem Fiasko mit Wagners "Tristan" im Frühjahr an der Lindenoper lieber verzichtete, kann man aber auch verstehen. Dankbar zu inszenieren ist diese Oper mit ihrer doch stark bildungsbürgerlichen Aura nicht.