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Salzburger Festspiele 2016: eine Auftaktbilanz
Träume und Luxus

Helle und finstere Träume erkunden die Salzburger Festspiele 2016. Klangreisen führen durch über 1000 Jahre Musikgeschichte. Das üppige und erlesene Programm durch alle Musiksparten reicht über sechs Wochen hinweg. Höhepunkte und Tiefpunkte gibt es gleichermaßen.

Von Christoph Schmitz | 02.08.2016
    Szenenbild aus der Oper "Die Liebe der Danae" bei den Salzburger Festspielen 2016
    Rarität in Salzburg: "Die Liebe der Danae" von Richard Strauss (imago/Ernst Wukits)
    Wie aus einer anderen Welt, fremd, unheimlich, gefährlich schleichen sich die elektronischen Sirenenklänge der Ondes Martenot durch die Uraufführung von Thomas Adès‘ Oper "The Exterminating Angel". Das war der Großauftakt der diesjährigen Salzburger Festspiele. Angst, Lähmung, Mordlust befallen die aristokratische Dinner-Runde wie ein Würgeengel. Nach dem ist auch die deutsche Ausgabe des Films von Luis Buñuel aus dem Jahr 1962 benannt, und auf Buñuels "Würgeengel" beruht das klangmassive und die Musikgeschichte kräftig zitierende Musiktheater von Thomas Adés, der auch selbst dirigierte, bei Musikkritikern allerdings auf manche Skepsis stieß. Das Publikum feierte den Briten im "Haus für Mozart" für sein Auftragswerk der Salzburger Festspiele.
    Die jenseitigen Kräfte, die dunklen, aber auch die leuchtenden Engel, die Reiche des Glaubens und der Träume stehen erklärtermaßen im Zentrum der diesjährigen Festspiele. "Wir sind aus jenem Stoff gemacht, aus dem die Träume sind, und unser kleines Leben liegt im Schlaf" – den Shakespeare-Satz zitieren die beiden Festspieldirektoren Helga Rabl-Stadler und Sven-Eric Bechtolf zur Präsentation ihres üppigen Musik- und Theater-Programms. Und mit Novalis legen sie nach: "Wir sind im Begriff zu erwachen, wenn wir träumen, daß wir träumen." Bis in die Kinderoper greift das Traum-Motiv in Salzburg. Eine einstündige und sehr charmante Adaption von Henry Purcells "Fairy-Queen" führt das junge Publikum in Titanias und Oberons Feen-Liebes-Welt, frei nach Shakespeares "Sommernachtstraum". Ganz und gar ins Spirituelle dreht die Konzertreihe "Ouverture spirituelle" das Traumthema.
    Von Träumen zur Spiritualität
    Mit gleich vier Alte-Musik-Ensembles in einem Konzert erkundete der spanische Gamben-Spieler und Musikwissenschaftler Jordi Savall die geistliche und historische Klangwelt von Venedig und Byzanz über 1000 Jahre hinweg, von 770 bis 1797. Den bedeutenden Einfluß der Ostkirche auf Venedig und damit auf den Westen war unüberhörbar, aber auch der Klangreichtum rund ums Mittelmeer von Arabisch-Andalusien, über Nordafrika und Syrien bis Armenien und hinein in die russisch-orthodoxe Welt. Jordi Savalls Konzert war eine Zeitreise, lehrreich und abenteuerlich zugleich. Savalls Auftritt gehörte zu einem Themenschwerpunkt innerhalb der "Ouverture spirituelle" mit geistlicher Vokalmusik aus Russland, dem Libanon, Armenien und Äthiopien. Warum dieser Schwerpunkt unter der Überschrift "Östliches Christentum"? Florian Wiegand, Leiter der Festspiel-Konzerte:
    "Erstens, weil das östliche Christentum eine so unglaubliche Vielfalt hat; und das ist ja nur so ein Überbegriff; wenn man darunterblickt, gibt es eine Vielfalt und eine Unterschiedlichkeit, die es kaum in einer anderen zuammenhängenden Religion gibt. Man sieht es auch daran, dass das östliche Christentum, die Kirchen untereinander oft gar nicht in einer so guten Beziehung stehen, sondern sehr alleine kämpfen. Und ein anderer politischer Hintergrund ist sicherlich, dass gerade im Moment, in der Flüchtlingskatastrophe, in der Syrien-Krise und -Katastrophe gerade sehr viele Kirchen darunter sind, die sehr bedroht sind; insofern war es ein besonderes Anliegen, Religionen in den Mittelpunkt unseres Programms zu stellen, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen und die Hilfe letztendlich benötigen. Und letztlich gibt es noch einen musikalischen Grund; wenn man schaut – da ist etwa die russisch-orthodoxe Kirche oder die äthiopische Kirche -, da gibt es so wenige Zusammenhänge und so einen Unterschied, dass es faszinierend ist. Es gibt eine Gemeinsamkeit, die sie alle mitbringen, das ist, dass sie alle die Sprache in den Mittelpunkt stellen und kaum Instrumente nutzen, weil es der Glaube ist, daß nur die Sprache das Göttliche loben kann."
    Musik: Alfred Schnittke, Konzert für Chor
    Kritische Lobpreisungen
    Ganz schlicht "Konzert für Chor" heißt die Arbeit des russisch-deutschen Komponisten Alfred Schnittke von 1984. Als Text wählte Schnittke die Dichtung eines mittelalterlichen armenischen Mönchs. Schnittke reflektiert auf sehr sensible Weise die archaischen Elemente der orthodoxen Kirchenmusik mit seinen eigenen Mitteln der musikalischen Moderne. Das "Konzert für Chor" gehörte zu den Höhepunkten der "Ouverture spirituelle", gesungen vom Chor des Bayerischen Rundfunks, exakt, klangschön, raumgreifend. Manche Hallelujas waren bei Schnittke zu hören, viele andere Hallelujas in der ganzen Konzertreihe des Festivals mit zahlreichen Messen und Oratorien von Haydn, Mozart und mehr Komponisten. Und ein weiteres Halleluja kam mit einer zweiten Uraufführung hinzu unter dem Titel "Halleluja – Oratorium balbulum" des deutsch-ungarischen Komponisten Péter Eötvös, es spielten die Wiener Philharmoniker unter Daniel Harding.
    Musik: Péter Eötvös, Halleluja
    Einen stotternden Propheten hat Péter Eötvös sich ausgesucht, der über die Zukunft nichts sagen kann, am Ende aber viel über den fragmentarischen Charakter unseres Redens und Denkens überhaupt. Ein gewitztes, zungen- und gedankenbrecherisches, einstündiges Oratorium hat Eötvös komponiert, einen heiteren Exkurs in die Musikgeschichte und immer wieder zurück in die Klanggegenwart. Das wunderbare Libretto hat ihm der ungarische Schriftsteller Péter Esterhazy geschrieben, der wenige Woche vor der Uraufführung gestorben ist. Sein Geist ist in der Musik lebendig. Péter Eötvös über seine Komposition:
    "Der musikalische Gehalt der Komposition ist sehr stark dadurch bestimmt, daß wir nicht nur in dem Titel "Halleluja" verwendet haben, sondern an sehr vielen Stellen der Chor als auf Halleluja-singend verpflichtet bezeichnet wird; und der Chor sagt, wir können auch anderes als Halleluja, also wir sind nicht nur die, die immer jemanden loben, im politischen Sinne ein System loben, sondern sind einfach Menschen, wir sind Frauen, wir sind Männer, also wir können singen und nicht nur Hallelujas. Und diese Halleluja-Thematik hat mich insofern beeinflußt, daß ich aus der großen Musiktradition die Halleluja-Stellen aus anderen Oratorien übernahm – sehr bekannt ist natürlich das von Händel, von Bach, von Monteverdi, die ich gefunden habe, von Mozart, von Bruckner, von Mussorgsky. Und die kleinen Halleluja-Zitate führen von einer Station zur andern. Und alles andere sind meine Kommentare."
    Musik: Péter Eötvös, Halleluja
    Stars, Luxus, Traumwelten
    Die Salzburger Festspiele widmen Péter Eötvös in diesem Jahr neben der "Halleluja"-Aufführung einen ganzen Schwerpunkt. Aber auch kleine interessante Werkschauen weiterer zeitgenössischer Komponisten gibt es. Und die Wiener Philharmoniker spielten nicht nur die Eötvös-Uraufführung, sondern haben sechs weiter Auftritte mit Dirigenten wir Zubin Mehta, Riccardo Muti oder Mariss Jansons. Andere große Orchester sind zu Gast wie die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle oder das Scala-Orchester unter Riccardo Chailly. Das Programm ist so üppig und erlesen, daß man am liebsten seinen ganzen Jahresurlaub sammeln und nach Salzburg verlegen würde. Es würde sich lohnen. Kräftig sparen müßte man dafür auch. Geldsorgen hätte Danae dabei sicherlich nicht. In Richard Straussens "Die Liebe der Danae" fällt ihr das Gold in den Schoß, jedenfalls im Traum – der Traum als roter Faden der Festspiele. Die luxuriöse Märchen-Inszenierung von Alvis Hermanis hatte am Sonntag Premiere. Nachgedacht wird in dieser Inszenierung nicht viel. Nur geschwelgt. Das war leider viel zu wenig. Träumerei kann auch ärgerlich sein.