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Salzburger Festspiele
Vernichtungskrieg im Wohnzimmer

Ingo Metzmacher und Peter Konwitschny haben mit ihrer Deutung von Wolfgang Rihms Oper "Die Eroberung von Mexico" die Salzburger Festspiele eröffnet. Unser Kritiker Christoph Schmitz meint: Besser hätte das Festival nicht starten können.

Von Christoph Schmitz | 27.07.2015
    Die Eroberung von Mexico 2015: Susanna Andersson (Sopran), Angela Denoke (Montezuma) und Bo Skovhus (Cortez) sowie der Bewegungschor in der Inszenierung von Peter Konwirtschny zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2015
    Angela Denoke als "Montezuma" und Bo Skovhus als "Cortez" in der Felsenreitschule (Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus)
    Militärischen Einheiten gleich umlagern in vier Gruppen die Perkussionisten samt schrillem Blech das Publikum der Felsenreitschule, im Graben, rechts und links und oben im Rücken der Zuschauer. Die Aggressivität der gehetzten, immer vorwärts drängenden und bald drauflosschlagenden Rhythmen ist fast schmerzhaft. Eine extrem körperliche, sich oft in einem Vernichtungschaos entladende Musik hat Wolfgang Rihm komponiert. Das Radio-Symphonieorchester Wien entfacht samt Soloviolinen auf der Bühne, Sopran- und Altsolistinnen im Orchestergraben und zwei Sprecherstimmen unter dem Dirigat von Ingo Metzmacher den monströsen Klangkrieg der Welten auf atemberaubende Weise: präzise, wuchtig, schrill.
    Das Libretto deutet eine Handlung nur vage an. Rihm hat es selbst zusammengestellt und dabei auf vier Texte zurückgegriffen: auf den surrealistischen Gedichtzyklus "Urgrund des Menschen" des Mexikaners Octavio Paz und auf die um 1523 verfaßten "Cantares Mexicanos" über den Niedergang des Azteken-Reichs aus der Feder eines unbekannten indigenen Verfassers. Vor allem basiert Rihms Stück auf einem Theaterentwurf des Franzosen Antonin Artaud mit dem Titel "Die Eroberung von Mexico" und auf einer theatertheoretischen Schrift Artauds: "Das Seraphim-Theater".
    Ein Clash der Geschlechter
    Dieses "Seraphim-Theater" handelt von einem anderen Krieg der Welten, vom Kampf der Geschlechter. Und diesen Antagonismus zwischen Mann und Frau hat Rihm dem Eroberungsdrama und seinen Protagonisten Cortez und Montezuma unterlegt - Cortez ist der brutale Macho, Montezuma, als Frauenrolle konzipiert, der lyrische Gegenpol. Und genau diesen Mann-Frau-Gegensatz wiederum hat der geniale Regisseur Peter Konwitschny für seine Salzburger Inszenierung in den Fokus gerückt.
    In der Felsenreitschule sieht man nämlich nicht den Vernichtungskrieg um 1500 in Mittelamerika, sondern den Clash der Geschlechter - heute. Die Bühne sagt schon viel: Inmitten eines Autofriedhofes mit übereinandergetürmten, teils ausgeschlachteten Karosserien erhebt sich ein weißes Wohnzimmer mit Couch, Bücherregalen, Obstschale und Zimmerpflanze. Die junge Frau, Montezuma, hat für den Besuch des Mannes daheim alles aufs freundlichste hergerichtet. Mit einem fetten Rosenstrauß hinterm Rücken klettert der Mann im schwarzen Anzug, Cortez, über die Schrottwagen hinauf zur weißen Tür und klopft an.
    Slapstickartig die Begrüßung, wie vieles an diesem Abend voller Komik ist, was die depressive Finsternis der traurigen Gewaltgeschichte deutlich lichtet. Regisseur Konwitschny jongliert die komödiantischen und tragischen Elemente seines Spiels mit artistischer Perfektion und kann damit sein Publikum bestens unterhalten, obwohl er von einem heftigen Ehekrieg erzählt. Bald sind Frau Montezuma und Herr Cortez ein Paar, das sich in aggressiver Sexualität verstrickt, Nähe mittels Eroberung und Unterwerfung und im erotischen Rausch sucht, was in einer Vergewaltigung mündet.
    Herausragende Protagonisten
    Dass Konwitschnys Maximaltheater funktioniert, liegt auch an der herausragenden Leistung seiner beiden Protagonisten. Stimmlich und schauspielerisch kann man sich eine Oper nicht lebendiger vorstellen als mit der Sopranistin Angela Denoke in der Rolle des Montezuma und mit dem Bariton Bo Skovhus als Cortez. Und Konwitschny setzt immer noch eins drauf, etwa wenn die schwangere Frau gebiert und statt ein Kind ein Sortiment I-Pads, I-Phones und Notebooks zur Welt bringt, auf denen alle begierig herumzutippen beginnen.
    Die autistischen Bildschirmkriege von Ballerspielen überschwemmen in Großprojektionen die Bühne. Cortez glotzt nur noch auf seinen Computer, Montezuma geht traurig fort. Allein zuhause schlitzt sich der Mann schließlich die Pulsadern auf. Der Krieg ist zu Ende. Ein neuer Versuch kann beginnen. Das Paar singt wieder. Das Publikum tobt. Vor Begeisterung. Zu Recht. Besser können Festspiele nicht starten.