Gemächlichen Schrittes kam die Karawane aus dem Wald heraus, betrat das Pflaster der Stadt. Vorneweg Lanzenträger, dann die Säumer mit den Pferden und der kostbaren Last.
So mag es gewesen sein, im Mittelalter am Goldenen Steig, dem Salzweg zwischen der Dreiflüssestadt Passau in Bayern und Prachatitz, der Perle Böhmens. Und manchmal ist das noch heute so.
"Man setzt sich hin, man trinkt seine Maß Bier, man macht Brotzeit und geht dann wieder weiter und abends dann am Lagerfeuer. Diese schnelllebige Zeit braucht wieder diese Romantik, um überleben zu können. Es ist halt schon üblich, dass diese Reiterhöfe, aus diesen Höfen haben wir die Pferde, die bieten schon Acht-Tage-Ritte an."
Johann Fuchs, seine Freunde nennen ihn Hans, ist aus Grainet. Ein Grenzort, am Westhang des Haidel, des Hausberges, dahinter geht es ins Böhmische. Der hochgewachsene, kräftige Bayer ist gelernter Touristiker. Jetzt in jenem Ruhestand, den ihm seine kleine Milchwirtschaft erlaubt. Als er noch das Tourismusbüro leitete, musste Fuchs um Gäste nach Grainet zu locken, nichts erfinden. Er machte den alten Salzhandelsweg wieder lebendig. Der "Goldene Steig" führte einst durch den Ferienort am Dreiländereck:
"In Grainet hat man heute noch Relikte aus dieser Säumerzeit, das ist einmal die Nikolauskirche. Der heilige Nikolaus war ja der Patron der Schiffer, auch der Säumer, und es steht in Grainet noch eine alte Schmiede aus 1618, eine Hufschmiede, und von hier aus geht es dann an, die beschwerlichste Wegstrecke zu absolvieren und zwar über den 1167 Meter hohen Haidel hinüber ins Böhmische und deshalb ist Grainet sehr eng verbunden mit dieser Geschichte des Goldenen Steiges."
"Steig", das ist zutreffend! Mit Johann Fuchs bin ich den Haidel hochgestiegen. Zur Belohnung bietet ein hölzerner Turm einen weiten Blick über Europas größtes zusammenhängendes Waldgebiet und auf die Salzhandelsroute von Passau über den Berg nach Prachatice. 1995 war Hans Fuchs samt Pferden und Begleiter auf dieser Strecke unterwegs und zwar vom Tschechischen nach Grainet:
"Wir durften bei Philippsreut nicht mit Tieren über die Grenze, weil kein Veterinär da ist, das heißt, jetzt brauchten wir eine Ausnahmegenehmigung und das muss eigentlich der Veterinär von Prachatice geben und der Veterinär vom Landratsamt Freyung/Grafenau. Jetzt haben das die Prachatizer gut gemeint und haben von Prag sich eine Genehmigung geholt. Jetzt hat aber der Veterinär in Prachatitz drauf bestanden, dass die Pferde eine bakteriologische Untersuchung machen müssen."
Das hätten sie damals, 1995, im letzten Moment noch geschafft, erzählt Hans Fuchs. Das nächste Problem seien die Wege gewesen. Die führten durch den ehemaligen Eisernen Vorhang zwischen Ost und West und waren völlig zugewachsen.
Nach einer Hauruck-Aktion war die Strecke frei:
"Das war ein Riesenerlebnis muss ich dazu sagen mit acht Pferden und 20 Leuten, original beladen mit Holzsattel, Holzfässern, zwei Lanzenträger war'n dabei. Man hat irgendwie das Gefühl gehabt wie ein Pionier."
Mittlerweile, berichtet Fuchs stolz, gehören dem von ihm gegründeten Säumerverein acht Mitglieder aus Tschechien an:
"Ich sage, die Politiker, die machen die Grenzen frei, die reden und die Leute müssen das andere tun und das ist uns sehr gut gelungen. Dieser Goldene Steig, der ja Bayern oder Passau mit dem Böhmerwald verband, war nicht nur ein Handelsweg sondern auch ein, würde einmal sagen, ein Kommunikationsweg, der Neuigkeiten bringt, der die Leute unterhält und das haben wir wieder geschafft, haben wir wieder kommuniziert, dass man wieder Feste feiert, dass man eigentlich ganz lustig unterwegs ist."
Wir sind "ganz lustig unterwegs" ins Tschechische, nach Prachatice. Fuchs will mir ein Mitglied des Säumervereins vorstellen. Den Historiker František Kubů. Franz, wie Fuchs ihn nennt, ist mittelgroß, trägt schulterlanges, dunkelblondes Haar. Kubů leitet das Prachaticer Stadtmuseum und ist manchmal auf dem Goldenen Steig dabei:
"Ich bin Lanzenträger und ich bin meistens in der Vordertruppe mit Hans und wir machen so einen Schutz der Karawane von vorne. Wir kommen immer als die Ersten in die Gemeinden.
Fuchs: Es war uns auch wichtig vorne gemeinsam zu gehen. Wir gehören zusammen.
Kubú: Das ist wahr.
Fuchs: Er ist natürlich ein fundierter Kenner dieser Wegführung, aber in erster Linie geht's uns um dieses Gemeinsame, das heißt, es gibt da keine Unterschiede, es gibt nur die Säumer."
So, wie ging denn nun der Salztransport über alle Berge?
Wenn man von Passau ging, hatte man Salz geladen oder Süßwaren, Weine, Gewürze und wenn man 'raus kam vor allem Getreide, Schmalz und auch Bier, das berühmte Bier. Es gibt einen Grundsatz: immer Salz und Korn.
Die Säumer durften nie ohne Fracht unterwegs sein. Das Salz wurde in Kufen transportiert. Eine auf jeder Seite des Pferdes:
"Das war eine Holzverpackung und zugleich auch eine Maßeinheit, denn eine Salzkufe, da gingen genau eineinhalb Zentner Salz 'rein."
Und zurück Korn und Bier:
"Der Sattel blieb oben, das Bier hat man dann in Fässern transportiert und es gab manchmal sogar eine Beschwerde vom Fürstbischof, aber die Säumer haben lieber Bier transportiert."
Das sei bis heute so, klagt mit Schalk im Gesicht, František Kubů, der Museumschef:
"Die Biere sind zu häufig. Man wird in jeder Gemeinde bewirtet und wir können nicht entsagen.
Fuchs: Das heißt, Säumerzeit muss trainiert werden. Man muss vorher ein paar Bier trinken, damit man schon so fünf bis sechs Halbe verträgt, ohne schlapp zu machen. Das gehört zur Marschverpflegung dazu!"
Nicht nur deshalb wurde nie allein gesäumt. Lanzenträger sicherten den Transport durch unruhige Zeiten: Hussitenkriege, Passauer Aufstand, Dreißigjähriger Krieg. Da ging es nur mit Begleitschutz:
"Wir haben auch Begleitschutz und wir gehen mit acht Pferden und fünfundzwanzig Mann. Heute ist es so, dass man eigentlich zwei Mann braucht für die Pferde, weil, die müssen dann abgesattelt werden. Das Pferd muss gehalten werden."
Robuste Gebirgspferde spielen die Hauptrolle:
"Unsere Pferde sind im Allgemeinen sehr ruhig, sehr brav, also, sind unsere Kameraden, gehören dazu.
Die Haflinger wollen für den beschwerlichen Weg gut genährt sein und immer zuerst versorgt: absatteln, trocken reiben, füttern. Haflinger lassen sich Zeit, brauchen auch unterwegs Ruhe. Ein Knall, ein Tuten und das Pferd scheut! Johann Fuchs erinnert sich an eine Situation in der Nähe der Grenze, dort, wo die höchste Bahnstrecke durch den Böhmerwald verläuft. An der Bahnbrücke bei der Station Kubova Hut, da passierte es:
"Wir sind genau unten durchgegangen und oben auf der Brücke stand ein Fotograf, hatte einen wunderbaren Blick gehabt, auf den Säumerzug, aber es kam ein Zug daher. Der Zug hat natürlich jetzt gehupt, weil der Mann auf der Brücke stand, dann hat's gerattert und dann war'n zwei Pferde weg!"
Gott sei Dank konnten die Freizeitsäumer ihre Pferde wieder einfangen und beruhigen. Die zweite Hauptrolle spielen nun aber die Säumer. Ihre Leistung vergleicht František Kubů:
"Ja, es müsste damals sehr anstrengend ein, wenn wir einsehen, dass damals die ganze Strecke von Passau nach Prachatitz ordentlich in drei Tagen abgelegt wurde. Wir machen es meistens in fünf Tagen so ungefähr und trotzdem ist es sehr anstrengend, vor allem der Grenzbergrücken bei Grainet, über 1.100 Meter hoch ist das.
Fuchs: Ja, 700 Höhenmeter auf zwei Stunden. Dann geht's wieder 'runter, an der Grenze am Halanderbach fast runter auf 400 Meter, geht's wieder hoch auf 1000 Meter. Das ist eigentlich die anspruchsvollste Strecke.
Kubú: Das ist die Königsetappe, ja wie in Tour de France."
Von Grainet den Haidel 'rauf, dann hinunter zur Grenzbrücke am Halanderbach bei Bischofsreut:
"Der alte Grenzübergang am Goldenen Steig, am Prachatitzer Zweig, war seit dem Jahre 1996 ein offizieller Grenzübergang, vorher inoffiziell, aber wir haben das trotzdem überquert, mehrmals zu Fuß, auch mit den Pferden."
Dorthin machen Hans Fuchs und ich einen kurzen Abstecher. Von Bischofsreut geht es an einzelnen Fichten vorbei zur steinernen Grenzbrücke hinunter. Auf der tschechischen Seite verschwindet der Goldene Steig im dichten Wald:
"Und hier sind wir jetzt bei dieser alten Grenzbrücke am sogenannten Halanderbach, denn früher gab's ja die sogenannten nassen Grenzen, das sind eigentlich immer so Bäche, die Grenze gebildet und das war jetzt, früher war das eine Holzbrücke und seit 1841 steht diese Steinbrücke, auf der sich dieser ganze Grenzverkehr nach Tschechien abgespielt hat."
Bis die Grenze nach dem Zweiten Weltkrieg für Jahrzehnte dicht gemacht wurde.
"Wir waren eigentlich die Ersten, die mit Pferden, mit einem Tross darüber sind und wurden da auf der Brücke überrascht von böhmischer Musik, von den Honoratioren und natürlich mit böhmischen Schnaps und es war schon ein bewegender Moment. Da man jetzt weiß, eigentlich, diese Grenze – wo man hinten noch diesen großen, eisernen Schlagbaum sieht – hat eigentlich seine Macht verloren, man kann jetzt da wirklich wieder problemlos in den Böhmerwald marschieren."
Problemlos in den Böhmerwald, erst mal nach Böhmisch Röhren. Aus der Pferdetränke wurde ein großer Ort. Auf dem St.-Anna-Markt gab es alles - von der Wäscheklammer bis zur Kuh - und da wurde Ausschau gehalten:
"Mein Vater hat mal gesagt, die sind früher immer nach Böhmen 'rüber zum böhmischen Markt, da hat's sehr viele Sachen gegeben zum Einkaufen und die böhmischen Mädchen waren begehrt, haben einen schönen Wuchs, eine gute Mitgift gehabt. Sehr viele haben ein böhmisches Mädchen geheiratet."
Und wer verheiratet war, der durfte säumen, ob alt oder jung. Das war so festgelegt:
"Die erste Saumordnung stammt ja aus dem 16. Jahrhundert von Bischof Administrator Herzog Ernst. Der hat dann geregelt, dass die älteren Säumer auch noch mithalten können. Man durfte nur mehr zweimal in der Woche nach Prachatitz und zurück säumen, denn die ganz Jungen, die sind ja gelaufen und haben das dreimal geschafft und deshalb wurde dann eben eine Regelung getroffen, es durfte nur gesäumt werden, wer verheiratet war, das heißt, er musste eine Familie haben, damit er natürlich die Ladung wieder zurückbringt und nicht irgendwo versäuft, oder veräußert und dann im Land bleibt."
Die Tour hat übrigens immer Geld gekostet. Auf dem Goldenen Steig musste man für alles bezahlen! Schon damals wurde eine Maut erhoben:
"Wenn man einreiste, musste man zwei Kreuzer bezahlen, wenn man ausreiste, musste man drei Kreuzer bezahlen.
Kubu: Sogar mehrmals, auf der Strecke war sehr oft.
Fuchs: In Passau gab's drei verschiedene Mauten, da gab's die Böhmermaut, da gab's die Donaumaut, da gab's die Innmaut. Das hat sich nicht verändert die Abzocke."
... sind sich Fuchs und Kubů, der Deutsche und der Tscheche, einig. Ein- und Ausreise sind heute kostenlos. In der Talsenke, durch die die Grenze verläuft, wird nicht mehr kontrolliert. Unser gedachter Salztransport sollte nun am Ziel sein. Der Historiker Kubů über die goldene Zeit im 16. Jahrhundert:
"Die meisten Bürger in Prachatitz hatte Salzrecht. Jeder Bürger konnte das Salz mit den Säumern verkaufen, oder einkaufen und dann lagerte er das in seinem Haus. In allen Häusern rund um den Marktplatz lag damals Salz. Das Salz und die andere Ware wurde abgenommen und dann wurde verhandelt mit den Bürgern und die Säumer haben dann die Gegenware gekauft. Das war meistens Getreide und andere Lebensmittel aus Böhmen. Dann hat man hier übernachtet, meistens, und am anderen Tag ging man wieder zurück am Goldenen Steig, nach Süden, nach Passau."
Zu der Zeit seien 1200 beladene Pferde pro Woche nach Prachatitz gekommen. Diese Zahl hat Kubů in Archivunterlagen gefunden. Nach den Jahren der kommunistischen Herrschaft war von der einstigen Blüte einer reichen Handelsstadt nicht mehr viel zu sehen:
"Da war es praktisch wie eine Ruine als die Armee wegging damals und in den 20 Jahren war es so komplett rekonstruiert, dass es einmalig ist. Aber das ist nicht nur hier in Prachatitz, im ganzen Südböhmen sind die historischen Städte ganz neu gemacht, rekonstruiert."
Das Wunder von Prachatice! Von einer grauen Garnisonstadt mit Soldaten zu einer südböhmischen Perle mit Elektronikfirmen, Berufspendlern und Touristen aus Bayern, Holland und dem Norden Tschechiens. Am unteren Rand des weitläufigen, zentralen Markplatzes, in der Nähe des Stadttores, ist das Museum untergebracht, das František Kubů leitet. In dem Bürgerhaus aus der Renaissancezeit hat Kubů eine Dauerausstellung zum Goldenen Steig eingerichtet. Der war wegen der Strecke durch das Grenzgebiet fast unbekannt. In der Ausstellung treffe ich eine Salzkarawane, aufgestellt auch mit EU-Geldern:
"Das soll eine mittelalterliche Säumergemeinde sein, etwa Wallern (Volary) vielleicht, mit Säumergasthaus, mit einer Schmiede. Da holt man eine Säumerkarawane nach und mit der kommt man bis Prachatitz. Ja und die Pferde in der Karawane wurden nach den Pferden der Säumerkarawane aus Grainet nachgemacht, nicht nur Pferde! "
Der Kreis, der sich schließt, begann 1986 auf deutscher Seite mit der Beschilderung der Säumerwege, führte über das bayerisch-böhmische Salzfest, 1991 in Grainet, zum ersten neuzeitlichen Säumerzug auf dem kompletten "Steig":
"Fuchs: Das war 1999 und ich denke, wir haben jetzt schon viele Züge gemacht, aber der erste Zug war einfach das großartigste weil wir eigentlich viel mehr Probleme hatten wie jetzt, das war alles neu.
Kubu: Wir waren auch jünger!
Fuchs: Wir haben's geschafft und wir sind eigentlich jetzt unzertrennlich."
Und mit einem bisschen Glück können Wanderer noch ein Hufeisen aus alter Zeit finden. František Kubů jedenfalls spürte mit einem Metallsuchgerät mehr Glückssymbole auf, als er für die Forschung und das Museum brauchte:
"Ja, massenweise. Heutzutage forschen wir am deutschen Gebiet, zwischen der Grenze und Passau und da finden wir auch Hunderte von Hufeisen. Die sind so speziell, so kleine Saumhufeisen. Inzwischen haben wir fast 500 Stück davon, aber das ist nur ein Teil. Wir können nicht alles abnehmen von der Erde, wir lassen das meiste da!"
Der Kreis, der sich schließt, begann 1986 auf deutscher Seite mit der Beschilderung der Säumerwege, führte über das bayerisch-böhmische Salzfest, 1991 in Grainet, zum ersten neuzeitlichen Säumerzug auf dem kompletten Steig:
"Fuchs: Das war 1999 und ich denke, wir haben jetzt schon viele Züge gemacht, aber der erste Zug war einfach das Großartigste, weil wir eigentlich viel mehr Probleme hatten wie jetzt, das war alles neu.
Kubu: Wir waren auch jünger!
Fuchs: Wir haben's geschafft und wir sind eigentlich jetzt unzertrennlich."
Und mit einem bisschen Glück können Wanderer noch ein Hufeisen aus alter Zeit finden. František Kubů jedenfalls spürte mit einem Metallsuchgerät mehr Glückssymbole auf, als er für die Forschung und das Museum brauchte:
"Ja massenweise. Heutzutage forschen wir am deutschen Gebiet, zwischen der Grenze und Passau und da finden wir auch Hunderte von Hufeisen. Die sind so speziell, so kleine Saumhufeisen. Inzwischen haben wir fast 500 Stück davon, aber das ist nur ein Teil. Wir können nicht alles abnehmen von der Erde, wir lassen das meiste da!"
Auf der Handelsroute zwischen Bayern und Böhmen war mit dem Weißen Gold des Mittelalters soviel Geld zu verdienen, dass sie Goldener Steig genannt wurde. Die Renaissance-Häuser der Salzherren in Prachatitz zeugen von dieser Zeit.
So mag es gewesen sein, im Mittelalter am Goldenen Steig, dem Salzweg zwischen der Dreiflüssestadt Passau in Bayern und Prachatitz, der Perle Böhmens. Und manchmal ist das noch heute so.
"Man setzt sich hin, man trinkt seine Maß Bier, man macht Brotzeit und geht dann wieder weiter und abends dann am Lagerfeuer. Diese schnelllebige Zeit braucht wieder diese Romantik, um überleben zu können. Es ist halt schon üblich, dass diese Reiterhöfe, aus diesen Höfen haben wir die Pferde, die bieten schon Acht-Tage-Ritte an."
Johann Fuchs, seine Freunde nennen ihn Hans, ist aus Grainet. Ein Grenzort, am Westhang des Haidel, des Hausberges, dahinter geht es ins Böhmische. Der hochgewachsene, kräftige Bayer ist gelernter Touristiker. Jetzt in jenem Ruhestand, den ihm seine kleine Milchwirtschaft erlaubt. Als er noch das Tourismusbüro leitete, musste Fuchs um Gäste nach Grainet zu locken, nichts erfinden. Er machte den alten Salzhandelsweg wieder lebendig. Der "Goldene Steig" führte einst durch den Ferienort am Dreiländereck:
"In Grainet hat man heute noch Relikte aus dieser Säumerzeit, das ist einmal die Nikolauskirche. Der heilige Nikolaus war ja der Patron der Schiffer, auch der Säumer, und es steht in Grainet noch eine alte Schmiede aus 1618, eine Hufschmiede, und von hier aus geht es dann an, die beschwerlichste Wegstrecke zu absolvieren und zwar über den 1167 Meter hohen Haidel hinüber ins Böhmische und deshalb ist Grainet sehr eng verbunden mit dieser Geschichte des Goldenen Steiges."
"Steig", das ist zutreffend! Mit Johann Fuchs bin ich den Haidel hochgestiegen. Zur Belohnung bietet ein hölzerner Turm einen weiten Blick über Europas größtes zusammenhängendes Waldgebiet und auf die Salzhandelsroute von Passau über den Berg nach Prachatice. 1995 war Hans Fuchs samt Pferden und Begleiter auf dieser Strecke unterwegs und zwar vom Tschechischen nach Grainet:
"Wir durften bei Philippsreut nicht mit Tieren über die Grenze, weil kein Veterinär da ist, das heißt, jetzt brauchten wir eine Ausnahmegenehmigung und das muss eigentlich der Veterinär von Prachatice geben und der Veterinär vom Landratsamt Freyung/Grafenau. Jetzt haben das die Prachatizer gut gemeint und haben von Prag sich eine Genehmigung geholt. Jetzt hat aber der Veterinär in Prachatitz drauf bestanden, dass die Pferde eine bakteriologische Untersuchung machen müssen."
Das hätten sie damals, 1995, im letzten Moment noch geschafft, erzählt Hans Fuchs. Das nächste Problem seien die Wege gewesen. Die führten durch den ehemaligen Eisernen Vorhang zwischen Ost und West und waren völlig zugewachsen.
Nach einer Hauruck-Aktion war die Strecke frei:
"Das war ein Riesenerlebnis muss ich dazu sagen mit acht Pferden und 20 Leuten, original beladen mit Holzsattel, Holzfässern, zwei Lanzenträger war'n dabei. Man hat irgendwie das Gefühl gehabt wie ein Pionier."
Mittlerweile, berichtet Fuchs stolz, gehören dem von ihm gegründeten Säumerverein acht Mitglieder aus Tschechien an:
"Ich sage, die Politiker, die machen die Grenzen frei, die reden und die Leute müssen das andere tun und das ist uns sehr gut gelungen. Dieser Goldene Steig, der ja Bayern oder Passau mit dem Böhmerwald verband, war nicht nur ein Handelsweg sondern auch ein, würde einmal sagen, ein Kommunikationsweg, der Neuigkeiten bringt, der die Leute unterhält und das haben wir wieder geschafft, haben wir wieder kommuniziert, dass man wieder Feste feiert, dass man eigentlich ganz lustig unterwegs ist."
Wir sind "ganz lustig unterwegs" ins Tschechische, nach Prachatice. Fuchs will mir ein Mitglied des Säumervereins vorstellen. Den Historiker František Kubů. Franz, wie Fuchs ihn nennt, ist mittelgroß, trägt schulterlanges, dunkelblondes Haar. Kubů leitet das Prachaticer Stadtmuseum und ist manchmal auf dem Goldenen Steig dabei:
"Ich bin Lanzenträger und ich bin meistens in der Vordertruppe mit Hans und wir machen so einen Schutz der Karawane von vorne. Wir kommen immer als die Ersten in die Gemeinden.
Fuchs: Es war uns auch wichtig vorne gemeinsam zu gehen. Wir gehören zusammen.
Kubú: Das ist wahr.
Fuchs: Er ist natürlich ein fundierter Kenner dieser Wegführung, aber in erster Linie geht's uns um dieses Gemeinsame, das heißt, es gibt da keine Unterschiede, es gibt nur die Säumer."
So, wie ging denn nun der Salztransport über alle Berge?
Wenn man von Passau ging, hatte man Salz geladen oder Süßwaren, Weine, Gewürze und wenn man 'raus kam vor allem Getreide, Schmalz und auch Bier, das berühmte Bier. Es gibt einen Grundsatz: immer Salz und Korn.
Die Säumer durften nie ohne Fracht unterwegs sein. Das Salz wurde in Kufen transportiert. Eine auf jeder Seite des Pferdes:
"Das war eine Holzverpackung und zugleich auch eine Maßeinheit, denn eine Salzkufe, da gingen genau eineinhalb Zentner Salz 'rein."
Und zurück Korn und Bier:
"Der Sattel blieb oben, das Bier hat man dann in Fässern transportiert und es gab manchmal sogar eine Beschwerde vom Fürstbischof, aber die Säumer haben lieber Bier transportiert."
Das sei bis heute so, klagt mit Schalk im Gesicht, František Kubů, der Museumschef:
"Die Biere sind zu häufig. Man wird in jeder Gemeinde bewirtet und wir können nicht entsagen.
Fuchs: Das heißt, Säumerzeit muss trainiert werden. Man muss vorher ein paar Bier trinken, damit man schon so fünf bis sechs Halbe verträgt, ohne schlapp zu machen. Das gehört zur Marschverpflegung dazu!"
Nicht nur deshalb wurde nie allein gesäumt. Lanzenträger sicherten den Transport durch unruhige Zeiten: Hussitenkriege, Passauer Aufstand, Dreißigjähriger Krieg. Da ging es nur mit Begleitschutz:
"Wir haben auch Begleitschutz und wir gehen mit acht Pferden und fünfundzwanzig Mann. Heute ist es so, dass man eigentlich zwei Mann braucht für die Pferde, weil, die müssen dann abgesattelt werden. Das Pferd muss gehalten werden."
Robuste Gebirgspferde spielen die Hauptrolle:
"Unsere Pferde sind im Allgemeinen sehr ruhig, sehr brav, also, sind unsere Kameraden, gehören dazu.
Die Haflinger wollen für den beschwerlichen Weg gut genährt sein und immer zuerst versorgt: absatteln, trocken reiben, füttern. Haflinger lassen sich Zeit, brauchen auch unterwegs Ruhe. Ein Knall, ein Tuten und das Pferd scheut! Johann Fuchs erinnert sich an eine Situation in der Nähe der Grenze, dort, wo die höchste Bahnstrecke durch den Böhmerwald verläuft. An der Bahnbrücke bei der Station Kubova Hut, da passierte es:
"Wir sind genau unten durchgegangen und oben auf der Brücke stand ein Fotograf, hatte einen wunderbaren Blick gehabt, auf den Säumerzug, aber es kam ein Zug daher. Der Zug hat natürlich jetzt gehupt, weil der Mann auf der Brücke stand, dann hat's gerattert und dann war'n zwei Pferde weg!"
Gott sei Dank konnten die Freizeitsäumer ihre Pferde wieder einfangen und beruhigen. Die zweite Hauptrolle spielen nun aber die Säumer. Ihre Leistung vergleicht František Kubů:
"Ja, es müsste damals sehr anstrengend ein, wenn wir einsehen, dass damals die ganze Strecke von Passau nach Prachatitz ordentlich in drei Tagen abgelegt wurde. Wir machen es meistens in fünf Tagen so ungefähr und trotzdem ist es sehr anstrengend, vor allem der Grenzbergrücken bei Grainet, über 1.100 Meter hoch ist das.
Fuchs: Ja, 700 Höhenmeter auf zwei Stunden. Dann geht's wieder 'runter, an der Grenze am Halanderbach fast runter auf 400 Meter, geht's wieder hoch auf 1000 Meter. Das ist eigentlich die anspruchsvollste Strecke.
Kubú: Das ist die Königsetappe, ja wie in Tour de France."
Von Grainet den Haidel 'rauf, dann hinunter zur Grenzbrücke am Halanderbach bei Bischofsreut:
"Der alte Grenzübergang am Goldenen Steig, am Prachatitzer Zweig, war seit dem Jahre 1996 ein offizieller Grenzübergang, vorher inoffiziell, aber wir haben das trotzdem überquert, mehrmals zu Fuß, auch mit den Pferden."
Dorthin machen Hans Fuchs und ich einen kurzen Abstecher. Von Bischofsreut geht es an einzelnen Fichten vorbei zur steinernen Grenzbrücke hinunter. Auf der tschechischen Seite verschwindet der Goldene Steig im dichten Wald:
"Und hier sind wir jetzt bei dieser alten Grenzbrücke am sogenannten Halanderbach, denn früher gab's ja die sogenannten nassen Grenzen, das sind eigentlich immer so Bäche, die Grenze gebildet und das war jetzt, früher war das eine Holzbrücke und seit 1841 steht diese Steinbrücke, auf der sich dieser ganze Grenzverkehr nach Tschechien abgespielt hat."
Bis die Grenze nach dem Zweiten Weltkrieg für Jahrzehnte dicht gemacht wurde.
"Wir waren eigentlich die Ersten, die mit Pferden, mit einem Tross darüber sind und wurden da auf der Brücke überrascht von böhmischer Musik, von den Honoratioren und natürlich mit böhmischen Schnaps und es war schon ein bewegender Moment. Da man jetzt weiß, eigentlich, diese Grenze – wo man hinten noch diesen großen, eisernen Schlagbaum sieht – hat eigentlich seine Macht verloren, man kann jetzt da wirklich wieder problemlos in den Böhmerwald marschieren."
Problemlos in den Böhmerwald, erst mal nach Böhmisch Röhren. Aus der Pferdetränke wurde ein großer Ort. Auf dem St.-Anna-Markt gab es alles - von der Wäscheklammer bis zur Kuh - und da wurde Ausschau gehalten:
"Mein Vater hat mal gesagt, die sind früher immer nach Böhmen 'rüber zum böhmischen Markt, da hat's sehr viele Sachen gegeben zum Einkaufen und die böhmischen Mädchen waren begehrt, haben einen schönen Wuchs, eine gute Mitgift gehabt. Sehr viele haben ein böhmisches Mädchen geheiratet."
Und wer verheiratet war, der durfte säumen, ob alt oder jung. Das war so festgelegt:
"Die erste Saumordnung stammt ja aus dem 16. Jahrhundert von Bischof Administrator Herzog Ernst. Der hat dann geregelt, dass die älteren Säumer auch noch mithalten können. Man durfte nur mehr zweimal in der Woche nach Prachatitz und zurück säumen, denn die ganz Jungen, die sind ja gelaufen und haben das dreimal geschafft und deshalb wurde dann eben eine Regelung getroffen, es durfte nur gesäumt werden, wer verheiratet war, das heißt, er musste eine Familie haben, damit er natürlich die Ladung wieder zurückbringt und nicht irgendwo versäuft, oder veräußert und dann im Land bleibt."
Die Tour hat übrigens immer Geld gekostet. Auf dem Goldenen Steig musste man für alles bezahlen! Schon damals wurde eine Maut erhoben:
"Wenn man einreiste, musste man zwei Kreuzer bezahlen, wenn man ausreiste, musste man drei Kreuzer bezahlen.
Kubu: Sogar mehrmals, auf der Strecke war sehr oft.
Fuchs: In Passau gab's drei verschiedene Mauten, da gab's die Böhmermaut, da gab's die Donaumaut, da gab's die Innmaut. Das hat sich nicht verändert die Abzocke."
... sind sich Fuchs und Kubů, der Deutsche und der Tscheche, einig. Ein- und Ausreise sind heute kostenlos. In der Talsenke, durch die die Grenze verläuft, wird nicht mehr kontrolliert. Unser gedachter Salztransport sollte nun am Ziel sein. Der Historiker Kubů über die goldene Zeit im 16. Jahrhundert:
"Die meisten Bürger in Prachatitz hatte Salzrecht. Jeder Bürger konnte das Salz mit den Säumern verkaufen, oder einkaufen und dann lagerte er das in seinem Haus. In allen Häusern rund um den Marktplatz lag damals Salz. Das Salz und die andere Ware wurde abgenommen und dann wurde verhandelt mit den Bürgern und die Säumer haben dann die Gegenware gekauft. Das war meistens Getreide und andere Lebensmittel aus Böhmen. Dann hat man hier übernachtet, meistens, und am anderen Tag ging man wieder zurück am Goldenen Steig, nach Süden, nach Passau."
Zu der Zeit seien 1200 beladene Pferde pro Woche nach Prachatitz gekommen. Diese Zahl hat Kubů in Archivunterlagen gefunden. Nach den Jahren der kommunistischen Herrschaft war von der einstigen Blüte einer reichen Handelsstadt nicht mehr viel zu sehen:
"Da war es praktisch wie eine Ruine als die Armee wegging damals und in den 20 Jahren war es so komplett rekonstruiert, dass es einmalig ist. Aber das ist nicht nur hier in Prachatitz, im ganzen Südböhmen sind die historischen Städte ganz neu gemacht, rekonstruiert."
Das Wunder von Prachatice! Von einer grauen Garnisonstadt mit Soldaten zu einer südböhmischen Perle mit Elektronikfirmen, Berufspendlern und Touristen aus Bayern, Holland und dem Norden Tschechiens. Am unteren Rand des weitläufigen, zentralen Markplatzes, in der Nähe des Stadttores, ist das Museum untergebracht, das František Kubů leitet. In dem Bürgerhaus aus der Renaissancezeit hat Kubů eine Dauerausstellung zum Goldenen Steig eingerichtet. Der war wegen der Strecke durch das Grenzgebiet fast unbekannt. In der Ausstellung treffe ich eine Salzkarawane, aufgestellt auch mit EU-Geldern:
"Das soll eine mittelalterliche Säumergemeinde sein, etwa Wallern (Volary) vielleicht, mit Säumergasthaus, mit einer Schmiede. Da holt man eine Säumerkarawane nach und mit der kommt man bis Prachatitz. Ja und die Pferde in der Karawane wurden nach den Pferden der Säumerkarawane aus Grainet nachgemacht, nicht nur Pferde! "
Der Kreis, der sich schließt, begann 1986 auf deutscher Seite mit der Beschilderung der Säumerwege, führte über das bayerisch-böhmische Salzfest, 1991 in Grainet, zum ersten neuzeitlichen Säumerzug auf dem kompletten "Steig":
"Fuchs: Das war 1999 und ich denke, wir haben jetzt schon viele Züge gemacht, aber der erste Zug war einfach das großartigste weil wir eigentlich viel mehr Probleme hatten wie jetzt, das war alles neu.
Kubu: Wir waren auch jünger!
Fuchs: Wir haben's geschafft und wir sind eigentlich jetzt unzertrennlich."
Und mit einem bisschen Glück können Wanderer noch ein Hufeisen aus alter Zeit finden. František Kubů jedenfalls spürte mit einem Metallsuchgerät mehr Glückssymbole auf, als er für die Forschung und das Museum brauchte:
"Ja, massenweise. Heutzutage forschen wir am deutschen Gebiet, zwischen der Grenze und Passau und da finden wir auch Hunderte von Hufeisen. Die sind so speziell, so kleine Saumhufeisen. Inzwischen haben wir fast 500 Stück davon, aber das ist nur ein Teil. Wir können nicht alles abnehmen von der Erde, wir lassen das meiste da!"
Der Kreis, der sich schließt, begann 1986 auf deutscher Seite mit der Beschilderung der Säumerwege, führte über das bayerisch-böhmische Salzfest, 1991 in Grainet, zum ersten neuzeitlichen Säumerzug auf dem kompletten Steig:
"Fuchs: Das war 1999 und ich denke, wir haben jetzt schon viele Züge gemacht, aber der erste Zug war einfach das Großartigste, weil wir eigentlich viel mehr Probleme hatten wie jetzt, das war alles neu.
Kubu: Wir waren auch jünger!
Fuchs: Wir haben's geschafft und wir sind eigentlich jetzt unzertrennlich."
Und mit einem bisschen Glück können Wanderer noch ein Hufeisen aus alter Zeit finden. František Kubů jedenfalls spürte mit einem Metallsuchgerät mehr Glückssymbole auf, als er für die Forschung und das Museum brauchte:
"Ja massenweise. Heutzutage forschen wir am deutschen Gebiet, zwischen der Grenze und Passau und da finden wir auch Hunderte von Hufeisen. Die sind so speziell, so kleine Saumhufeisen. Inzwischen haben wir fast 500 Stück davon, aber das ist nur ein Teil. Wir können nicht alles abnehmen von der Erde, wir lassen das meiste da!"
Auf der Handelsroute zwischen Bayern und Böhmen war mit dem Weißen Gold des Mittelalters soviel Geld zu verdienen, dass sie Goldener Steig genannt wurde. Die Renaissance-Häuser der Salzherren in Prachatitz zeugen von dieser Zeit.