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Sand im Klimagetriebe

Klimaschutz. - Auch Kanada, der Gastgeber der 11. Vertragsstaatenkonferenz zur UN-Klimakonvention, hat das Kyoto-Protokoll ratifiziert und muss demnach seinen Treibhausgasausstoß mindern. Ein neuer, am Rande des vorgelegter Report lässt nun aber befürchten, dass Kanada dabei fulminant scheitern könnte. Denn das Land beutet inzwischen kräftig die so genannten Ölsande in der Provinz Alberta aus - ein riesiges Erdölreservoir und zugleich eine schwere Hypothek für den Klimaschutz.

Von Volker Mrasek | 30.11.2005
    Alberta. Eine Provinz im Westen Kanadas. Südlich angrenzend die US-Bundesstaaten Montana und Washington; im Norden die Arktis. Durch Alberta ziehen sich die Rocky Mountains. Es gibt dort Karibu-Berge und gleich mehrere Nationalparks. Aber auch eine Industrie, die begonnen hat, einen gewaltigen Bodenschatz zu heben: Ölsande.

    " Die Ölsande sind Kanadas bedeutendste Erdölquelle. Wie groß das Vorkommen ist, haben Experten vor zwei Jahren abgeschätzt. Daraufhin rückte Kanada in der Rangliste der Erdölfördernden Länder von Platz 21 auf Platz 2 vor, gleich hinter Saudi-Arabien."

    Dan Woynillowicz ist Umweltwissenschaftler. Er arbeitet beim Pembina Institute, einer privaten kanadischen Einrichtung, die sich vor allem mit Fragen der Energieforschung befasst.

    Zusammen mit einigen Koautoren legt Woynillowicz jetzt in Montreal eine neue Studie vor. Sie trägt den Namen "Ölsand-Fieber" und beleuchtet die ökologischen Folgen des "neuen Goldrausches", wie ihn die Forscher nennen:

    " Kanadas Ölsande haben große Begehrlichkeiten geweckt, vor allem in den USA und in China. Das beschleunigt ihre Ausbeutung. Ursprünglich wollte man 2020 soweit sein, täglich eine Million Barrel Öl zu gewinnen. Diese Marge ist dann aber schon im letzten Jahr überschritten worden. Das neue Ziel sind nun fünf Millionen Barrel pro Tag."

    Mit aller Kraft investiert Kanada also in eine neue fossile Rohstoff-Quelle. Und das, obwohl das Land seine Treibhausgas-Emissionen drosseln muss, und zwar um sechs Prozent bis 2012. Dazu hat sich Kanada nach dem Kyoto-Protokoll verpflichtet. Tatsächlich aber stieg der Ausstoß von Klimagasen in den letzten 15 Jahren um ein Viertel. Großen Anteil daran hat die Ölsand-Industrie.

    Matthew Bramley, Chemiker und Klimaexperte beim Pembina Institute:

    " Man braucht viel mehr Energie, um Rohöl aus Ölsanden zu gewinnen als aus herkömmlichen Lagerstätten. Dementsprechend sind auch die Treibhausgas-Emissionen viel höher. Ölsande bestehen aus Bitumen und Sand. Die beiden Fraktionen müssen getrennt und das Bitumen geschmolzen werden. Am Ende ist auch noch eine Reaktion mit Wasserstoff nötig. Das alles kostet sehr viel Energie. Die Kohlendioxid-Emissionen sind deshalb mehr als dreimal so hoch wie bei der herkömmlichen Rohöl-Förderung."

    Die Verfahren zur Trennung von Bitumen und Sand sind zwar heute effizienter als noch vor Jahren. Doch weil immer mehr Rohöl produziert wird, nimmt der Energieaufwand insgesamt zu. Und damit auch die Klimabelastung. Längst ist die Ölsand-Industrie die größte einzelne Quelle von Treibhausgasen in Kanada. Bramley:

    " Nach unseren Abschätzungen wird die Ölsand-Industrie ihren Treibhausgas-Ausstoß bis 2012 verdreifacht haben. Im Jahr 2020 könnte er sogar fünfmal so hoch sein. Und das trotz aller Effizienzsteigerungen, die noch zu erwarten sind. Die rasante Ausweitung der Produktion stellt einfach jede Energieeinsparung in den Schatten."

    Die Produktionsfirmen in Alberta dürfen bei den Emissionen sogar kräftig zulegen. Auch das schildern Matthew Bramley und seine Institutskollegen im neuen Umweltreport:

    " Bis 2010 wird die Ölsand-Industrie jedes Jahr 40 Millionen Tonnen CO2 mehr ausstoßen. Kanadas Regierung erlaubt ihr das weitgehend. Nur für ein Fünftel dieser Emissionen müssen die Firmen selbst Verschmutzungsrechte kaufen. Vier Fünftel müssen durch Einsparungen in anderen Feldern kompensiert werden."

    Kaum jemand in Kanada gibt sich inzwischen noch Illusionen hin: Aus eigener Kraft wird das Land sein Kyoto-Ziel nicht mehr erreichen - nicht zuletzt wegen des neuen "Ölsand-Rausches".