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Sandig warnt vor kulturellem Einerlei

Jochen Sandig hat vor den Folgen der Globalisierung in der Kultur gewarnt. Annäherungen zwischen den Kulturkreisen dürften nicht von Kulturinstituten übergestülpt werden und zu Vereinheitlichungen führen, sagte Sandig, Direktor und Dramaturg der Ballettkompagnie Sasha Waltz & Guests. Ein Dialog der Kulturen dürfe nicht in "Mischmaschproduktionen" enden.

Moderation: Karin Fischer |
    Karin Fischer: Eine der erfolgreichsten deutschen Choreografinnen ist derzeit in Indien unterwegs. Beim größten internationalen Theaterfestival Indiens in Neu Delhi sind 52 Produktionen aus Kanada, Japan, Australien oder Iran zu Gast. Und Sasha Waltz hat es mir ihrer Produktion "noBody" vor 2000 Gästen am Wochenende eröffnet. Inzwischen ist sie mit ihrer Kompagnie weiter gezogen nach Bangalore, wo ich vor der Sendung mit Jochen Sandig sprechen konnte. Er ist Direktor und Dramaturg von Sasha Waltz und Mitbegründer des Berliner "Radialsystems", dem neuen Spielort der Truppe. Und er war schon öfter in Indien mit dabei, was ja immer einen "Clash der Kulturen" ganz besonderer Art darstellt. Ich habe ihn zuerst gefragt, was denn die größten Unterschiede im Tanz zwischen den Kontinenten sind?

    Jochen Sandig: Ja, die Unterschiede sind natürlich gewaltig, weil es einfach ein ganz anderes Bild gibt, wie der Körper dargestellt wird in den unterschiedlichen Kulturkreisen. Die Unterschiede liegen darin, ich versuche es mal bildlich darzustellen, dass: Allein Berührungen von Personen auf der Bühne sind höchst selten zu erleben. Also man sieht eigentlich kaum in sich verschlungene Paare oder Gruppenformationen, sondern hat es meistens zu tun natürlich im klassischen Tanz mit Solotanz. Und wenn es dann so Aufbrüche gibt wie Padmini Chettur aus Chennai, die auch Teil des Festivals ist, mit " Paperdoll", es sind vier Tänzerinnen auf der Bühne im Kostüm, die sich sehr langsam bewegen, für unsere Verhältnisse sehr meditativ, fast schon yogaartig, wurde es von Kritikern beschrieben. Und für indische Verhältnisse ist es fast schon eine Revolution, was Padmini Chettur macht.

    Fischer: Worin genau besteht diese Revolution?

    Sandig: Man sieht eben den Unterschied vor allem darin, dass eine gewisse Annäherung stattfindet an die Körper. Alles ist sehr zaghaft, sehr langsam auch. Auch Begegnungen zwischen Männern und Frauen sind sozusagen eigentlich kaum möglich, also es wird sozusagen mehr angedeutet als wirklich real gezeigt.

    Fischer: Herr Sandig, es wird ja immer viel über die internationale Sprache des Tanzes philosophiert, wie ähnlich sich solche Tanzsprachen auch werden können, die andrerseits aber letztlich auch die Gefahr birgt, eine Vereinheitlichung mit sich zu bringen. Es gab ein Symposium auch in Neu Delhi, das genau solche Fragen gestellt hat. Was haben Sie dort erfahren?

    Sandig: Also erst mal ist sehr wichtig gewesen, dass mit einem großen Selbstbewusstsein die indischen Choreografen, da auch vorne weg wieder Padmini Chettur, deutlich gemacht hat zu sagen, Dialog der Kulturen heißt eben nicht, was man eben auch verstehen könnte, dass jetzt Mischmaschproduktionen entstehen, wo Choreografen aus Europa mit indischen Tänzern arbeiten oder in die andere Richtung, sondern dass der Dialog eher darin besteht, dass in den jeweiligen Kulturkreisen gearbeitet und geforscht wird, weiterentwickelt wird an den Tanzsprachen, und dass man in Begegnungen gegenseitig die Arbeiten vorstellt, so wie in diesem wirklich wunderbaren Theaterfestival.

    Es gibt eine Produktion, die in dem Zusammenhang erwähnenswert ist, eine Produktion, wo Medea, Jocasta und Clytemnestra in einer Produktion zusammengeführt werden mit drei unterschiedlichen Regisseuren aus verschiedenen Kulturkreisen unter der Anleitung der Japan Foundation. Das war so ein Projekt, wo ich sagen würde, das ist so eine Theoriegeburt, die ist sozusagen ausgedacht, um verschiedene Kulturkreise zusammenzuführen. Und was da entsteht, ist interessant, aber es ist eben nicht wirklich authentisch, und das ist die Gefahr der Globalisierung. Ich glaube, diese Annäherungen werden stattfinden, aber sie werden hoffentlich eher auf so einer ganz organischen Ebene stattfinden und nicht übergestülpt über Kulturinstitute, die sich was ausdenken und dafür Budgets bereitstellen.

    Fischer: Herr Sandig, nun haben Sie ja nun gerade auch ein Projekt dort in Indien initiiert, wo Sie mit indischen Musikern zusammenarbeiten. Worum geht es da, was für Erfahrungen haben Sie dort gemacht?

    Sandig: Also in wenigen Stunden findet diese Vorstellung statt, es ist ein Teil einer Reihe, die wir seit vielen Jahren initiiert haben, die sich "Dialoge" nennt, und wo es immer darum geht, dass Musiker und Tänzer unmittelbar im Moment aufeinandertreffen und improvisieren zusammen. Und es hat sich eben herausgestellt in der Probe gestern auch, dass die indischen Musiker, die wir dazu eingeladen haben, sich schwer tun zu improvisieren. Unsere Hoffnung war oder ist, dass es uns gelingt, die indischen Musiker sozusagen zu bewegen, was ganz Neues für sie zu machen offensichtlich, nämlich ihre Instrumente nicht in einem klar festgelegten Kanon zu bedienen, sondern eben in eine Art Ping-Pong-Dialog zu treten mit den Tänzern.

    Und ob das heute Abend gelingt, kann ich Ihnen noch nicht sagen. Es kann auch schief gehen. Aber es gehört eben auch dazu, dass man eben nicht nur ein Stück mitbringt im Gepäck, sondern dass man eben auch versucht diesen Dialog zu ermöglichen, und wir haben mit diesem Projekt immer sehr gute Erfahrungen gemacht, und ich denke, es wird in Indien auch gut gehen.

    Fischer: Das war Jochen Sandig, der Dramaturg der Kompagnie von Sasha Walt, aus Indien über den Kulturdialog im Tanz und in der Musik.