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Sandro Botticelli - Der Bilderzyklus zu Dantes „Göttlicher Komödie“

Warum zieht sich ein berühmter Maler auf dem Höhepunkt seiner Karriere in eine schöpferische Klausur zurück und beschäftigt sich Jahrelang mit der kompletten Verbildlichung von Dantes "Göttücher Komödie"? Sechzig Jahre später beklagt der Künstlerbiograph Giorgio Vasari diesen Entschluß Botticellis.Er schreibt ihn dem "grübelnden Verstand" des Malers zu, der mit seiner Dante-Beschäftigung viel Zeit verloren habe, weil er der Sekte des radikalen Mönchs und Bußpredigers Savonarola verfallen gewesen sei. Jegliche verweltlichte und hedonistische Kunst habe er aufgegeben und sei zum "Klagebruder" geworden. Für diesen religiösen Eifer mußte. Botticelli - so Vasari - im Alter bitter bezahlen. Der Künsticr starb nämlich in Armut und Elend.

Bernd Matheus |
    Die Frage ist nur, ob Vasaris hartes Urteil gerechtfertigt ist. Mit dem Für und Wider haben sich die Autoren eines bestechend schönen Kataloges auseinandergesetzt, der Maßstäbe in der Botticelli-Forschung gesetzt hat. Erschienen ist er anläßlich einer Berliner Ausstellung, die den Titel trug. "Sandro Botticelli - Der Bilderzyklus zu Dantes Göttlicher Komödie". Die Autoren des Bandes geben zwar eine Reihe von Antworten auf eines der größten zeichneri- schen Werke des Abendlandes, aber es bleiben noch einmal so viele Fragen offen. Hein Schulze Altcappenberg, Kurator des Berliner Kupferstichkabinetts und Herausgeber des Katalogs, hat sich immerhin sechs lange Jahre mit dem Botticelli-Zyklus beschäftigt. Er fand beispielsweise heraus, daß Botticellis Monumentalwerk, das zwischen 1480 und 1495 entstand, ursprünglich aus hundert einzelnen Blättern bestanden haben mußte. Diese Zeichnungen gelten als Illuminationen von Dantes hundert "Commedia"-Gesängen -jenen Gesängen, die von Vergil und Beatrice berichten, wie sie den florentinischen Exilanten Dante Aleghieri bei seinem Bußgang durch Hölle, Fegefeuer und Paradies begleiten. Schulze Altcappenberg berichtet, daß den preußischen Sammlungen immerhin 84 der überlieferten 92 Blätter zugespielt wurden. Sieben weitere Zeichnungen aus dem offenbar früh aufgelösten Ensemble besitzt der Vatikan, acht gelten als verschollen. Der Berliner Kunsthistoriker konnte auch klären, wie das Riesenwerk entstand. Als gesichert gilt, daß die Bilderfolge eine Auftragsarbeit von Lorenzo di Pierfrancesco de Medici war - einem jüngeren Familienrivalen von Lorenzo dem Prächtigen. Bereits bei Vasari heißt es: "Botticelli malte und illustrierte einen Dante auf Pergament für Lorezizo di Pierfrancesco de Medici, was für ein wunderbares Werk gehalten wurde."

    Horst Bredekamp hat sich in seinem Katalogbeitrag den Florentiner Medici-Clan näher vorgenommen. Er untersucht den Künstler Botticelli im sozialen und politischen Kontext seiner Zeit und findet dabei heraus, daß dieser offenbar ein Instrument in der Machtpolitik der Mächtigen war. Für Lorenzo den Prächtigen malte er zunächst die so genannten "Schandbilder", um die Verräter-, die Mitglieder der Pazzi-Verschwörung, zu brandmarken. Danach diente er sich Lorenzo di Pierfrancesco an, der mit seiner betont frankophilen Politik im eigenen Clan in Ungnade fiel und verbannt wurde. Schulze Altcappenberg mutmaßt in seinem Beitrag, daß Lorenzo di Pierfrancesco, der als Freigeist und Tyrannenfeind galt, um 1500 den Bilderzykltls mit nach Frankreich nahm. Dort habe er ihn offenbar den französischen Herrschern als Gastgescbenk übergeben. Bredekamp hält dagegen, daß das Fadenkreuz der Macht noch komplizierter war. Botticellis Ausmalung der dantesken Höllenqualen liegen für ihn durchaus im asketischen Zeitgeist, der im wesentlichen von Savonarola beeinflußt war. Der Florentiner Mönch als Erfüllungsgehilfe von.politischer und religiöser Macht? Der Würzbuger Kunsthistoriker Damian Dombrowski zeigt dagegen, daß diese Sichtweise dem Künstler Botticelli nicht gerecht werden kann. Die kulturgeschichtliche Perspektive mag zwar ihren Nutzen haben, doch sei Botticelli viel zu sehr auf diesen Aspekt reduziert worden, Von der bildkünstlerischen Qualität wurde die Forschung nur dann etwas erfahren, wenn man den Bilderzyklus als autonomes Kunstwerk versteht. Botticelli hat sich nämlich weitgehend von dem Text gelöst, der auf der Rückseite der Bilderrolle aufgeschrieben wurde. Dombrowski spricht deswegen vom "Primat des Disegno". Dies bedeutet: Der florentinische Küinstler löste sich von der Tradition, indem er seine Zeichnungen dem Text ganz buchstäblich verordnete. "Der Zeichner macht sichtbar, was Beatrice Dante im letzten Gesang des "Fegefeuers" verheißt": "So will ich auch, daß Du, wenn nicht geschrieben/ doch wenigstens gemalt in Deinem Innern/ es mit Dir nimmst gleich einem Pilgerstabe." Das Bild soll also nicht einfach dem Text dienen - Botticelli erfindet Dantes "Göttliche Komödie" neu, indem er viel Wert auf plastische Szenen und auf die Expressivität der Figuren legt. Dombrowski versteht dies als eine bildnerische Bereicherung von Dantes Dichtung. Zugleich sind die Zeichnungen - jenseits des lieblichen Schönheitskults der Renaissance - erfüllt von Leidenschaft. In den Hollenszencn gibt es überall Gräberfelder, Blutströme, Dornenwälder und Flammenwüsten, ebenso Elendsgruben und Schächte mit turmhohen Giganten. Daß Botticelli nur die ersten Blätter seines Zyklus farbig malen konnte, sollte man keineswegs als ein Defizit verstehen. Ganz im Gegenteil, der Bilderzyklus zu Dantes "Divina Comedia" gehört zu den großartigsten Fragmenten der Kunstgeschichte. Gerade die Subtilität des Strichs und die Dramatik der Szenen suchen ihresgleichen. Deswegen hat Damian Dombrowski recht, wenn er zu dem Schluß kommt-. "Üerhaupt wäre es riach der langen, streckenweise ermüdenden Konzentration auf ikonographische, kultur- und sozialgeschichtliche Fragestellungen an der Zeit, den Künstler Botticelli wiederzuentdecken."