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Sanierung des Nord-Ostsee-Kanals
Große Schiffe, zu kleine Rinne

Den 1895 eröffneten Nord-Ostsee-Kanal nutzen rund 30.000 Schiffe pro Jahr auf ihrem Weg von der Nord- in die Ostsee. An der zentralen Achse des europäischen Handels sind Schleusen und Uferanlagen veraltet, gleichzeitig werden die Schiffe immer größer. Jetzt versucht der Bund die Sanierung der 100 Kilometer langen Wasserstraße.

Von Johannes Kulms | 15.07.2018
    Rushour auf dem Nord-Ostsee-Kanal
    Rushour auf dem Nord-Ostsee-Kanal (Johannes Kulms)
    Knallorange ist das kleine Lotsenschiff, das Martin Finnberg zum nächsten Einsatz bringt. Früher ist der 49-Jährige als Kapitän zur See gefahren. Heute ist er einer von rund 300 Lotsen auf dem Nord-Ostsee-Kanal. Unzählige Male hat Finnberg schon Schiffe sicher durch die enge Wasserstraße geleitet. Langweilig werde der Job nicht, sagt er.
    "Also, heute haben wir einen wunderschönen Sommertag und dann ist es wie eine Ausflugsfahrt hier mit dem Lotsenschiff zu fahren. Und genauso wenn Sie nachts fahren oder bei schlechtem Wetter, bei Sturm, Eis oder Nebel ist das auch wieder was anderes. Und wenn man Schifffahrt mag und ein bisschen Industrieromantisch veranlagt ist, dann ist das immer wieder nett."
    Martin Finnberg ist zweiter Ältermann der Lotsenbrüderschaft NOK II/ Kiel/ Lübeck/ Flensburg. Damit ist er der zweite Vorsitzende jener Lotsenbrüderschaft, die sich um den östlichen Kanalteil kümmert. Hier in Rüsterbergen - etwa auf halber Strecke der rund 100 Kilometer langen Passage - steht der Lotsenwechsel an. Der Einsatz von Lotsen ist auf allen Schiffen vorgeschrieben, die länger als 55 Meter sind. Auch die Kanalsteuerer sind Pflicht. Sie übernehmen während der Durchfahrt das Ruder und steuern die Schiffe von Brunsbüttel nach Kiel.
    Martin Finnberg zweiter Ältermann der Lotsenbrüderschaft NOK II
    Martin Finnberg zweiter Ältermann der Lotsenbrüderschaft NOK II (Johannes Kulms)
    Meistgenutzte künstliche Wasserstraße der Welt
    148 Meter lang ist der Autotransporter, der an diesem Nachmittag unterwegs ist von Bremerhaven nach St. Petersburg. Der rot-weiße Koloss hat in seinem Schiffsbauch gleich mehrere Fahrzeugdecks.
    Über eine Strickleiter klettert Martin Finnberg an Bord wo ihn bereits ein Mitglied der polnischen Besatzung erwartet. Durch ein Gewirr von Metalltreppen und Gängen geht es hinauf auf die Brücke. Von hier aus lässt sich der Nord-Ostsee-Kanal bestens überblicken.
    "Ich würde ja sagen, jedes Schifffahrtsrevier ist auf seine Weise Hubschrauberfliegen im Wohnzimmer…"
    Doch der Nord-Ostsee-Kanal ist ohne Zweifel ein besonderes Revier. Mit knapp 30.000 Schiffen pro Jahr ist er die meistgenutzte künstliche Wasserstraße der Welt. Sie verbindet das nahe der Elbmündung gelegene Brunsbüttel mit Kiel und bietet damit eine Abkürzung auf dem Weg von der Nord- in die Ostsee. Alle Schiffe können sich so den 450 Kilometer langen Umweg um die dänische Nordspitze Skagen sparen - sofern sie nicht länger als 235 Meter sind. Vom Kanal profitieren profitieren alle Ostseehäfen. Vor allem die deutschen Seehäfen Hamburg, Bremen, Bremerhaven und Wilhelmshaven.
    Herausforderung Navigation
    Schon immer war das Navigieren auf der 123 Jahre alten Wasserstraße eine Herausforderung. Auf dem Großteil der Strecke ist der Kanal 162 Meter breit und elf Meter tief. Doch die Fahrrinne selbst misst nur 90 Meter. Auf dem Kanal werde ein Problem deutlich, mit dem viele Seefahrtsreviere zu kämpfen hätten, sagt Kanallotse Martin Finnberg: Die Schiffe werden immer größer. Doch die Wasserwege können eben nur sehr begrenzt wachsen.
    "Es ist immer so, dass der Hubschrauber im Wohnzimmer immer größer wird, mit dem wir fliegen. Und das macht natürlich auf der einen Seite die Arbeit immer interessanter und anspruchsvoller, bedeutet aber auch, immer, wenn irgendwas nicht funktioniert oder Sie einen technischen Ausfall haben oder irgendein kleiner Fehler gemacht wird, dass es dann immer sofort in der Zeitung landet."
    Der Nord-Ostsee-Kanal wurde 1895 eröffnet. Es waren insbesondere militärische Motive, mit denen Kaiser Wilhelm II. zu Ende des 19. Jahrhunderts das Prestigeprojekt vorantreiben ließ. Hauptgedanke: der deutschen Marine einen schnelleren - und vor allem sicheren - Weg zwischen Ost- und Nordsee zu bieten.
    Immer wieder sorgen Unfälle für Aufsehen
    Diese Zeiten sind längst vorbei, heute wird der Kanal vor allem als Handelsroute genutzt. Doch immer wieder sorgen Aus- und Unfälle für Aufsehen: Zum Beispiel veraltete Schleusentore, die sich nicht mehr schließen lassen oder Schiffe, die in die Kanalböschung rauschen. Zuletzt krachte im Februar ein Containerschiff wegen eines Maschinenausfalls in ein Schleusentor in Kiel-Holtenau. Die Reparaturen waren aufwendig, dauerten mehrere Wochen und führten zu verlängerten Wartezeiten an den Schleusen.
    Der Frachter hat das Schleusentor teilweise durchbrochen und sitzt fest
    Frachter rammt Schleusentor (dpa/Daniel Friederichs)
    Vorfälle wie diese zeigen, wie empfindlich die Infrastruktur des Nord-Ostsee-Kanals ist. Vor allem aber: Wie sie bröckelt. Auch Martin Finnberg weiß das:
    "Der Nord-Ostsee-Kanal ist viele Jahre aus ganz nachvollziehbaren Gründen auf Substanz gefahren worden. Das heißt, wie jede Landstraße und Autobahn in Westdeutschland – da waren andere Projekte nach 1990 wichtiger – ist es auch dem Kanal ergangen. Und jetzt hinken wir im Prinzip dem Bedarf und dem Substanzerhalt 15 Jahre hinterher."
    "Der Nord-Ostsee-Kanal ist ja nun über 100 Jahre alt. Die Altvorderen haben sehr solide gebaut."
    Die ökologische Bedeutung des Kanals
    Ralf Nagel ist geschäftsführendes Präsidiumsmitglied beim Verband Deutschen Reeder. Er verweist auf die ökologische Bedeutung des Kanals. Ein verkürzter Weg in die Ostsee senke den Treibstoffverbrauch und schone damit auch die Umwelt.
    Doch für viele Reedereien zählen vor allem die wirtschaftlichen Motive. Die Unternehmer hoffen auf Zeitersparnis. Und darauf, durch weniger Treibstoffverbrauch Geld zu sparen. Natürlich spielt bei diesen Erwägungen auch der Zustand der Infrastruktur eine Rolle, macht Ralf Nagel deutlich.
    "Das heißt zum Beispiel, je länger die Wartezeiten vor den Schleusen am Nord-Ostsee-Kanal, umso stärker ist natürlich der Druck oder die Rechnung wird dann gemacht, ob man um Skagen rum von der Zeitersparnis her doch besser fährt als wenn man vor den Schleusen wartet. Das ist ein wichtiger Erwägungsgrund."
    Mit einer Passage über den Panama-Kanal in Mittelamerika oder den Suez-Kanal in Ägypten können die Reedereien viele Tausende Kilometer Strecke sparen. Entsprechend sind Verspätungen von ein paar Stunden kein Problem. Anders beim Nord-Ostsee-Kanal, wo eine Passage normalerweise nur einen halben bis einen ganzen Tag Ersparnis bringt. Darum ist jede Stunde kostbar.
    "Aber insbesondere die Schleusen sind ja nun an ihre Lebensdauergrenze endgültig gestoßen, deshalb wird ja gebaut diese fünfte Kammer in Brunsbüttel, aber das dauert alles seine Zeit. Und das ganze Schleusenregime ist komplex und führt eben doch immer wieder zu erheblichen Wartezeiten. Und Zeit ist Geld."
    Unterhaltung über viele Jahre vernachlässigt
    Der Nord-Ostsee-Kanal ist eine bundeseigene Wasserstraße. Für die Unterhaltung der Infrastruktur ist die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung, WSV zuständig. Auf der Schleuseninsel im Kieler Stadtteil Holtenau hat die Bundesbehörde ihre Außenstelle. Sönke Meesenburg leitet bei der WSV den Fachbereich Investitionen. Dass die Kanal-Unterhaltung über viele Jahre vernachlässigt wurde hänge auch mit der schwankenden Auslastung zusammen.
    "Es gab sozusagen eine deutliche Delle nach unten. Insbesondere nach 1990, also vermutlich auch mit der Wiedervereinigung und den Verkehrsprojekte Deutsche Einheit, die dann eben das Geld zugewiesen bekommen haben. Dazu kommt aber auch, dass man über 20 Jahre lang Personal eingespart hat in der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung und deswegen natürlich auch Schwierigkeiten hatte, neue Maßnahmen zu entwickeln."
    Tatsächlich ging die Auslastung des Nord-Ostsee-Kanals bereits ab Mitte der 80er-Jahre zurück. Doch bereits zehn Jahre später gab es einen kräftigen Aufschwung, die Gütermengen wuchsen deutlich. 1990 wurden noch knapp 62 Millionen Tonnen über den Nord-Ostsee-Kanal transportiert. Im Spitzenjahr 2008 waren es fast doppelt so viel.
    Der Nord-Ostsee-Kanal erlebte einen regelrechten Run. Doch die bröckelnde Infrastruktur wurde immer offensichtlicher. Nun rächte sich, dass jahrelang Investitionen zurückgestellt worden waren. Zum Beispiel an den Schleusen in Kiel und Brunsbüttel. Sie sind einerseits die Einfahrtstore zum Kanal. Und gleichzeitig deren Achillesfersen, wie Sönke Meesenburg deutlich macht.
    "Tatsächlich war es so, dass man Ende der 80er Jahre angefangen hatte, in Brunsbüttel die kleineren Schleusen instand zu setzen. Und es wäre dann die logische Folge gewesen, danach dann auch die großen Schleusen zu reparieren und das ist dann ausgesetzt worden. Und dann ist die Schadensentwicklung so weitergegangen, dass man sich das nicht mehr erlauben konnte, eine Kammer außer Betrieb zu nehmen, um sie zu reparieren. Und das hätte bedeutet, dass die andere, die genauso schlecht ist, nur eine sehr kurze Zeit überlebt hätte. Und dann wäre der Kanal für Schiffe über 125 Meter nicht mehr passierbar gewesen."
    Bund gibt 1,8 Milliarden Euro für die Infrastruktur
    Doch inzwischen zeigt sich auch am Nord-Ostsee-Kanal, dass in Berlin ein Umdenken eingesetzt hat. Die Bundesregierung hat endlich die in Norddeutschland so lange ersehnte Sanierung der Wasserstraße beschlossen. In der letzten Legislaturperiode wurden neue Gelder und Stellen für die Schifffahrtsverwaltung bewilligt. 1,8 Milliarden Euro sollen innerhalb des nächsten Jahrzehnts investiert werden, um die Infrastruktur des Kanals wieder fit zu machen.
    Fast ein Drittel davon ist für die Sanierung der Schleusen in Brunsbüttel fällig. Ähnlich wie auch in Kiel-Holtenau gibt es hier zwei große und zwei kleine Schleusenkammern.
    "Also, das ist glaube ich als Bauingenieur einfach `n Leckerbissen. So `ne Schleuse wird natürlich sehr selten überhaupt gebaut. Also, das sind Jahrhundertbauwerke, muss man ganz klar sagen."
    Joachim Abratis ist der Programmleiter für die Schleusensanierung in Brunsbüttel. Hinter seinem Rücken schließt sich gerade das mächtige Schleusentor der knapp 330 Meter langen Kammer. Einen Steinwurf entfernt liegt Europas größte Wasserbaustelle. Dort entsteht zur Zeit eine fünfte Schleusenkammer. Wie ein Bypass soll sie die beiden anderen großen Schleusenkammern entlasten. Nur so ist eine Sanierung der beiden Bauwerke überhaupt möglich.
    Joachim Abratis kümmert sich in Brunsbüttel um den Schleusenbau.
    Joachim Abratis kümmert sich in Brunsbüttel um den Schleusenbau. (Johannes Kulms)
    "Also, wir haben eben festgestellt, dass die vorhandene große Schleuse eben in einem derartigen baulichen Zustand ist, dass wir sehr substanziell eingreifen müssen. Das ist auch erklärlich, die ist 100 Jahre alt oder über 100 Jahre und seitdem auch in Betrieb, dass eigentlich eine Instantsetzung der Schleusenkammern unter normalen betrieblichen Bedingungen nicht möglich ist."
    Fertigstellung der Schleuse bis 2021 nicht haltbar
    Doch wie bei anderen bundesweiten Großprojekten geht es auch in Brunsbüttel nur schleppend voran. Die Sanierung der Schleuse ist bereits mehrere Jahre im Verzug. Der eigentlich für 2021 geplante Fertigstellungstermin ist nicht zu halten. Joachim Abratis nennt dafür mehrere Gründe. Immer wieder würden Kampfmittel gefunden, die zunächst geräumt werden müssen. Im Zweiten Weltkrieg hatten die Alliierten die Brunsbütteler Schleusen bombardiert.
    Auch die Zusammenarbeit zwischen den Baufirmen und dem Bund spiele eine Rolle. Letzterer ist Bauherr in Brunsbüttel und musste den Vertrag wegen des Baugrunds ändern, sagt Abratis. Bis zum Ende des Jahres solle mit der Baufirma geklärt werden, wie es mit der Errichtung der neuen Schleusenkammer weitergeht.
    "Fakt ist sicherlich, dass wenn man sich die Bausummen, die bisher abgeflossen sind, auch anguckt, wir definitiv zwei Jahre hinter dem ursprünglichen Bausoll liegen. Aber wir haben noch einige Aufgaben vor uns- sozusagen zu meistern. Es wird länger dauern, das kann ich jetzt schon deutlich sagen. Und Fakt ist natürlich auch: Die ein oder andere Maßnahme, die sich sozusagen verzögert hat und auch gewisse Veränderungen im Bauablauf und auch natürlich die längere Bauzeit führt natürlich auch zu Kostensteigerungen."
    Schleusen in Kiel-Holtenau sind Industriedenkmäler
    Das Risiko, das es in den nächsten Jahren wieder zu Pannen an der Schleuse in Brunsbüttel kommt, sinkt angesichts dieser Verzögerungen freilich nicht. Auch am anderen Ende des Kanals sollen in Kiel-Holtenau in den nächsten Jahren die Schleusen überholt werden.
    Nord-Ostsee-Kanal Schleusen in Kiel Holtenau
    Nord-Ostsee-Kanal Schleusen in Kiel Holtenau (Hinrich Bäsemann / dpa )
    Sie sind inzwischen zu eigenen Industriedenkmälern geworden, die von der langen und bewegten Geschichte des Nord-Ostsee-Kanals erzählen. Das gilt erst recht für die Levensauer Hochbrücke, die in wenigen Jahren durch ein neues Bauwerk ersetzt werden soll. Die bisherige Brücke nahe Kiel spannt sich in einem eleganten roten Stahlbogen über die Wasseroberfläche und ist für Autos und Züge ausgelegt. Mit mehr als 120 Jahren ist sie die älteste Kanalüberquerung. Doch genau das ist ihr Problem: Die Schiffe sind inzwischen deutlich größer geworden, die Brücke bildet einen Engpass.
    Schon 1784 war ein Vorgänger des Nord-Ostsee-Kanals in Betrieb gegangen - der Eiderkanal. Dieser verlief von Holtenau nach Rendsburg und mündete dort in die Eider. Damit war es erstmals möglich geworden, über den Wasserweg größere Gütermengen von der Nord- in die Ostsee zu transportieren. Doch auch dem Eiderkanal wurde irgendwann seine Größe zum Verhängnis: Für die aufkommende Dampfschifffahrt war der Umweg um die dänische Nordspitze Skagen sicherer und der Eiderkanal mit seinen sechs Schleusen zu unpraktisch und zu klein.
    Schnellverbindung Kiel-Wilhelmshaven
    Der heutige Nord-Ostsee-Kanal verdankt seine Entstehung dem deutschen Großmachtdenken. Der damalige Reichskanzler Otto von Bismarck wollte die beiden Kriegshäfen Kiel und Wilhelmshaven schneller miteinander verbinden und der Flotte eine rasche Durchfahrt von der Ostsee in die Nordsee ermöglichen. Gerade einmal acht Jahre dauerte die Bauzeit. Mit 67 Metern Breite und neun Meter Tiefe ein technisches Meisterwerk. Seitdem ist der Nord-Ostsee-Kanal mehrfach erweitert worden.
    Die Kaiserliche Yacht "Hohenzollern" verlässt anlässlich der Einweihung des Kaiser-Wilhelm-Kanals (heute Nord-Ostsee-Kanal) am 21.06.1895 die Schleuse Kiel. Kaiser Wilhelm II eröffnete am 21. Juni 1895 die 98 Kilometer lange Wasserstraße, die den Schiffen zwischen Nord- und Ostsee große Umwege erspart. Den Grundstein legte Kaiser Wilhelm I.
    Die kaiserliche Yacht "Hohenzollern" bei der Einweihung des Nord-Ostsee-Kanals. (dpa)
    "Also, zunächst mal muss man sagen: Er ist in Betrieb und kann auch sicher befahren werden. Und das vor dem Hintergrund, dass wir nach wie vor in der Größenordnung 30.000 Schiffe im Kanal haben pro Jahr", sagt Sönke Meesenburg von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung.
    Trotzdem bleibt die Erhaltung des Nord-Ostsee-Kanals ein Wettlauf gegen die Zeit. Nicht nur die so lebenswichtigen Schleusen in Brunsbüttel und Kiel sollen in den nächsten Jahren überholt werden. Auch die sogenannte Oststrecke wird erweitert. Diese 20 Kilometer lange Passage zwischen Königsförde und Kiel ist bis heute ein Nadelöhr. Kein Wunder: Ist der bauliche Zustand hier doch bei 1914 stehen geblieben. Das bedeutet: Die Kurvenradien sind deutlich enger und der Kanal ist mit 102 Metern viel schmaler als auf dem restlichen Kanal. Deswegen müssen auf diesem Abschnitt Schiffe immer wieder an Ausweichstellen warten – den sogenannten Weichen. Die Arbeiten für den Streckenausbau seien im Zeitplan, heißt es von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung.
    Die zehn Hochbrücken werden nicht angepasst
    Wenn alle Maßnahmen abgeschlossen sind, könnten theoretisch sogar Schiffe mit bis zu 280 Metern Länge den Kanal nutzen. Doch das sei in der Praxis nur schwer denkbar. Denn die zehn Hochbrücken über den Kanal würden nicht angepasst, sagt Sönke Meesenburg. Das Ziel der Sanierung ist vor allem der Erhalt der Wasserstraße und gleichzeitig den Schiffsverkehr noch ein bisschen schneller und zuverlässiger durch den Kanal zu bringen.
    Ein Containerschiff fährt am 03.09.2015 auf dem Nord-Ostsee-Kanal in Höhe der Rader Hochbrücke der Autobahn 7 bei Rendsburg (Schleswig-Holstein).    Foto: Carsten Rehder | Verwendung weltweit
    Rader Hochbrücke - Nord-Ostsee-Kanal (dpa)
    Ralf Nagel vom Verband Deutscher Reeder bleibt trotzdem skeptisch. Er rechnet nicht nur mit Verzögerungen bei der Schleusen-Sanierung in Brunsbüttel. Sondern ebenso bei der Erweiterung der Oststrecke zwischen Königsförde und Kiel.
    "Aber die Sorge, dass da jetzt komplett `n Blackout wenn man so will - `n lang laufender Blackout - die haben wir nicht. Aber schnellere Realisierung dessen wofür es jetzt Geld gibt und Planung, das wünschen wir uns natürlich schon sehr dringend."
    Nagel war von 2000 bis 2005 Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Heute ist er Reeder-Lobbyist und kennt also die Abläufe in der deutschen Verwaltung. Er führt die Verzögerungen bei der Kanal-Sanierung nicht nur auf lange fehlendes Personal, Geld und den politischen Willen zurück. Sondern auch auf die rechtlichen Strukturen, die sich verändern.
    "Und zwar nicht nur im Planungsrecht, sondern auch im Ausschreibungsrecht. Wenn Sie da einen Einspruch gegen eine Ausschreibung haben laufen da komplexe auch gerichtliche Verfahren. Also, das hat dann alles auch mit der Geschwindigkeit von Gerichtsentscheidungen zu tun zu komplexen Sachverhalten. Wir sind schon ziemlich kompliziert geworden in Deutschland."
    Faktoren wie Finanzkrise, Russland-Embargo, Brexit
    In den letzten zehn Jahren gab es bei der Auslastung des Kanals starke Schwankungen. Nach der weltweiten Finanzkrise brachen die Containterraten ein - und damit auch die Befahrung des Nord-Ostsee-Kanals. Auch das Russland-Embargo hat den Reedern zuletzt einen Dämpfer versetzt. Im vergangenen Jahr wurden knapp 87 Millionen Tonnen Jahr über den Kanal transportiert, von etwa 30.000 Schiffen. Fast 1000 mehr als noch im Vorjahr.
    Jörg Heinrich leitet bei der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt die Unterabteilung Seeschifffahrt. Er verweist auf die zuletzt angezogenen Treibstoffpreise, die die Kanaldurchfahrt wirtschaftlich wieder attraktiver machen. Zudem gebe es ein neues Meldesystem, mit dem die Reedereien ihre Schiffe schneller durch den Kanal bringen könnten. Andererseits stellt Jörg Heinrich auch klar:
    "Der Kanal wird sich nie tragen unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Das heißt, ich kann ihn nicht wie ein Unternehmen führen und mit den Einnahmen die Kosten, die er verursacht - die werde ich aus ihm nicht herauspressen können. Dann kann ich ihn gleich zumachen."
    Zumal auch er nicht weiß, wie sich die internationale Politik auf den Handel und damit auch auf die Nutzung des Nord-Ostsee-Kanals auswirken wird. Stichwort Russland-Sanktionen, Brexit oder ein möglicherweise entstehender Handelskrieg.
    "Hier ist Kielkanal mit Hinweisen für die Schifffahrt."
    Mit Kollisionen "wird man leben müssen"
    Von der Brücke des Autotransportes sind nun die Schleusen in Kiel-Holtenau in Sicht. Hier ist das Können des Kanallotsen Martin Finnberg gefragt. Genau dort rammte vor einem knappen halben Jahr ein Containerschiff nach einem Maschinenausfall das Schleusentor - trotz Lotse. Derartige Unfälle seien auch nach einer Kanalsanierung nicht zu verhindern, sagt Finnberg. Denn die Ausweichflächen blieben auf dem Nord-Ostsee-Kanal nun mal gering. Und Halteseile in einer Schleuse seien - anders als mancher Laie glaube - keine Rettung.
    "Ja, die Halteseile, die könnten gar nicht so stark sein um ein Schiff dieser Größe zu halten. Das heißt, Sie würden in das Halteseil fahren und dann würden alle Verankerungen rausreißen von diesem Seil, dann hätten Sie einen viel größeren Schaden als ein zerbeultes Tor was Sie innerhalb von zwei, drei Tagen austauschen können. (…) Also, das wird immer so sein. Und immer da, wo Schiffe interagieren wird es auch immer zu Kollisionen kommen. Da wird man mit leben müssen."