" Wer sich mit dem Haushalt beschäftigt, wer sich mit der Realität beschäftigt - und dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen, der muss feststellen: Natürlich ist das Wort Sanierungsfall ein hartes Wort, und ich habe auch deutlich gemacht: das ist nicht die ganze Realität Deutschlands. Aber ich kann mich vor den Realitäten dieses Haushaltes nicht drücken."
Tatsächlich sanierungsbedürftig sind dagegen die Staatsfinanzen. Die Realitäten des Haushaltes 2006 sind die: Der erste Etat der Großen Koalition muss mit einem strukturellen Defizit von 40 Milliarden Euro umgehen. Deshalb wird eingespart und gleichzeitig werden Steuern erhöht. Die Neuverschuldung erreicht eine Rekordhöhe und überschreitet die Regelgrenze des Grundgesetzes. Und möglicherweise wird Deutschland in diesem Jahr wieder die Maastricht-Kriterien, die für die Stabilität der europäischen Währung sorgen sollen, nicht erfüllen - es wäre das fünfte Mal in Folge. Niemand, sagt die Kanzlerin, hätte in dieser Situation anders handeln können - auch die Opposition nicht.
" Bei aller Detailbetrachtung, die Sie von der Opposition hier angestellt haben in den Haushaltsberatungen: Die Vorschläge sind entweder nicht redlich oder sie decken nicht einmal die Maßgabe, dass der Artikel 115 des Grundgesetzes erfüllt wird, das heißt, wenn wir das wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als zu dem Mittel begrenzter Steuererhöhungen zu greifen, und wir wissen im Übrigen, dass wir den Menschen damit schwierige Aufgaben aufbürden."
Die Mängelliste der Oppositionsparteien ist lang: Ganz oben steht der Vorwurf, dieser Haushalt sei verfassungswidrig. Insgesamt plant der Bund Ausgaben von 261 Milliarden Euro. Bis Ende des Jahres sollen 38 Milliarden Euro zusätzliche Schulden gemacht werden - noch nie war diese Zahl schon in der Planung eines Haushaltes so hoch. So gut wie immer dagegen hat sich diese Zahl am Ende weiter erhöht. Für Investitionen sind in diesem Haushalt lediglich 23,2 Milliarden Euro vorgesehen. Genau dies verbietet Artikel 115 des Grundgesetzes. Die Summe der Neuverschuldung darf die der Investitionen nicht übersteigen. Denn durch Investitionen werden Zukunftsaufgaben finanziert. Ihr Ertrag wird künftigen Generationen zugute kommen, die sich dann - durch die Rückzahlung der heute gemachten Schulden - an diesen Investitionen beteiligen müssen. Man kann also Belastungen, die heute entstehen, auch Kindern und Kindeskindern aufbürden, aber nur insofern, als sie auch davon profitieren. Was aber ist eine Investition? Kaum jemand wird bestreiten, dass Ausgaben für Bildung Investitionen in die Zukunft sind - auch wenn damit die Gehälter von Lehrern und Hochschulpersonal bezahlt werden. Dennoch gelten sie in der Systematik der Haushalte als konsumptive Ausgaben, die keinen Ertrag erwarten lassen. Aber das sind Details, die die Opposition bei ihrem Generalangriff auf die Bundesregierung nicht behindern. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Demokraten, Jürgen Koppelin, drückt es drastisch aus.
" Dieser Bundeshaushalt 2006 erinnert mich an den Gammelfleisch-Skandal. Neu verpackt, umetikettiert und als frisch angeboten. Aber es bleibt das, was es ist: Gammel."
Denn der von der Opposition behauptete Verfassungsbruch hat Tradition. Auch die rot-grüne Koalition und ihr Finanzminister Hans Eichel haben in der Vergangenheit immer wieder Etats verabschiedet, in denen mehr neue Schulden aufgenommen als investiert wurde.
" Der Haushalt 2006 ist verfassungswidrig und setzt den Verfassungsbruch der letzten vier Jahre fort. Angesichts einer konjunkturellen Erholung und eines von der Bundesregierung erwarteten Wachstums kann doch nicht erneut die Ausnahmeregelung des Artikels 115 des Grundgesetzes herangezogen werden."
Der Artikel 115 ist nicht der einzige im Grundgesetz, der den Bundesregierungen Vorschriften zum Haushalt macht. Neben ihm steht der Artikel 109, den die Bundesregierung als Hintertürchen benutzt. Er besagt im Kern, dass Bund und Länder zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts besondere Vorschriften erlassen können. Seit 1967 wird dieser Satz präziser gefasst: Im "Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums" der Regierung Kiesinger/Brandt heißt es gleich am Anfang:
" Die haushälterischen Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen."
Gäbe es den Artikel 109 nicht, müsste die Regierung mit dem Vorwurf leben, sich verfassungswidrig zu verhalten, was klingt, als hätten sich Kriminelle ins Kanzleramt eingeschlichen. Weitere Sanktionen allerdings sieht das Gesetz nicht vor. Dass sein Haushalt trotz der entlastenden Wirkung des Artikels 109 kein Glanzstück ist, weiß auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Der nächste Etat, der von 2007, soll ohne Tricks verabschiedet werden.
" Die Regelgrenze des Artikels 115 einzuhalten und das Maastricht-Verfahren zu bestreiten, so, dass wir auch wieder entlastet werden aus den Auflagen, dass die für uns von einer konstitutiven Bedeutung sind, und an dem wird nicht gewackelt. Glauben Sie nicht Zeitungsartikeln, glauben Sie mir."
Der Haushalt 2007 wird, wenn man Steinbrück weiter glaubt, schmerzhafter werden als der jetzige. Die CDU übrigens hat ihre Meinung über die Verfassungsmäßigkeit defizitärer Haushalte geändert. Im Jahr 2004 klagte sie gegen einen Nachtragshaushalt der rot-grünen Regierung vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie wollte richterlich entscheiden lassen, wann eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wirklich gegeben ist. Heute muss die Union von der FDP daran erinnern werden. Jürgen Koppelin.
" Union und FDP haben doch zusammen in der Opposition immer wieder auf die unsolide Haushaltspolitik der Sozialdemokraten hingewiesen. Wir sind sogar zusammen zum Bundesverfassungsgericht gegangen und haben eine Klage eingereicht. Die läuft ja noch. Warum haben Sie von der Union das alles vergessen?"
Die Klage soll auch erreichen, dass es künftigen Regierungen nicht mehr so leicht fällt wie bisher, die Vorgaben des Grundgesetzes mit einer Ausnahmeregel außer Kraft zu setzen. Auch der Bundesrechnungshof fordert eine echte Schuldenbremse im Grundgesetz. Außerdem sollen die Richter verbindlich klären, welche Ausgabe als Investition zu werten ist, und welche nicht, um den Spielraum für Interpretationen einzuengen. Bis dahin bleibt die Frage, die von den Parteien je nach Zugehörigkeit zu Regierung oder Opposition unterschiedlich beantwortet wird, offen: Ist das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht in der Bundesrepublik Deutschland wirklich gestört? Das ist es, sagt Dieter Vesper, Steuerexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.
" Immerhin haben wir fünf Millionen Arbeitslose, und ich glaube, diese Zahl deutet auf ein massives Ungleichgewicht hin, auch wenn wir vielleicht in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent oder vielleicht sogar etwas mehr realisieren sollten. So besteht dann im nächsten Jahr die Wahrscheinlichkeit, dass das Wirtschaftswachstum geringer ausfallen wird, weil die Mehrwertsteuer drastisch angehoben wird, der Staat also die wirtschaftliche Entwicklung nicht unterstützt, sonder eher hemmt. Dieses wiederum macht es dann so kompliziert, die Kreditaufnahme-Grenzen einzuhalten."
Vesper hält Beschränkungen wie die Regelgrenze des Grundgesetzes, auch die Kriterien von Maastricht, für wenig hilfreich. Denn Volkswirtschaften verhalten sich zyklisch. Ist es in einem Jahr richtig zu sparen und Schulden abzubezahlen, ist es in einem anderen angebracht, Geld auszugeben und damit die Wirtschaft anzukurbeln, notfalls auch Schulden zu machen. Vorschriften wie die des Paragraphen 115 oder des EU-Stabilitätspaktes seien zu starr für die Wirklichkeit.
" Insbesondere hemmt diese Regel ein ökonomisch sinnvolles Verhalten des Staates. Ein gesamtwirtschaftlich sinnvolles Verhalten des Staates in einer Rezession wäre durchaus die Hinnahme eines höheren Defizits, um nicht auf die Steuerausfälle und die Beitragsausfälle in der Sozialversicherung reagieren zu müssen mit weiteren Kürzungen der Staatsausgaben, die ja dann auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage weiter beeinträchtigen wird. Er müsste eigentlich ein höheres Defizit hinnehmen, als diese drei Prozent es erlauben."
Sparen aber hat in Deutschland einen so guten Ruf, dass es in jeder Lebenslage angebracht zu sein scheint. Kein Politiker könnte es sich erlauben, in der Öffentlichkeit als Verschwender zu gelten, gerade in Zeiten, in denen Bürger Verzicht leisten müssen. Dabei könnte es gerade dann richtig sein, dass der Staat Geld ausgibt, weil es die Bürger, aber auch die Unternehmer, eben nicht tun. Auch wenn dafür weitere Schulden gemacht werden müssten. Eine wenig populäre Ansicht: Die Große Koalition der Sparwilligen schließt im Bundestag auch weite Teile der Opposition mit ein. Anja Hajduk, haushaltspolitische Sprecherin der Grünen, beschuldigt die Bundesregierung des Diebstahls an den Gütern kommender Generationen.
" Die Zahl, die diesen Haushalt prägt, ist die Netto-Kreditaufnahme von 38,2 Milliarden. Diese Zahl von 38 Milliarden Schuldenaufnahme entspricht ziemlich genau der Zahl, die wir für die laufenden Zinsen ausgeben. Welche Zahl macht eigentlich deutlicher, dass wir die Kredite ausschließlich für die Zinstilgung brauchen? Daran sieht man doch, dass wir in einem kompletten Ausmaß unsere Vergangenheit bewältigen und überhaupt nichts für die Zukunft bereithalten."
Und auch Steffen Kampeter, haushaltspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, hält es für unverzichtbar, einen lupenrein verfassungskonformen Etat zumindest für 2007 zu verabschieden und auch bei den Maastricht-Kriterien wieder Musterknabe zu werden. Immerhin hat Deutschland selbst dafür gesorgt, dass die Ansprüche des Stabilitätspaktes hoch sind. Um sie selbst zu erfüllen, wird die Bundesregierung zum ersten Januar 2007 die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöhen, obwohl unstrittig ist, dass dies der Konjunktur schadet: Konsolidieren geht vor, sagt Kampeter
" Angesichts der Handlungsmöglichkeiten innerhalb von sechs Monaten in diesem Jahr und für das Jahr 2007 und der Alternativperspektiven, die ich Ihnen hier klar und deutlich aufgezeigt habe, gibt es dazu keine vernünftige, keine realistische, keine konjunkturverträgliche Alternative. Wir sind bereit, diesen schweren Weg zu gehen, weil er ohne Alternative für unser Land ist. Das ist die Wahrheit."
Aber könnte es nicht sein, dass, würde man heute alles dafür tun, die Konjunktur anzuwerfen, sich die Schulden in Zukunft wie von allein abtragen, weil die Steuereinnahmen in Boomzeiten steigen? Dieter Vesper vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist als Vertreter einer nachfrageorientierten Ökonomie eindeutig dieser Ansicht.
" Ich setze darauf, dass - je stärker die wirtschaftliche Erholung sein wird - umso rascher das Defizit quasi automatisch abgebaut wird, so wie ja auch in einer Rezession ein Defizit quasi automatisch entsteht."
Dies ist, glaubt man Vesper, nicht nur graue Theorie. Es finden sich in der Geschichte der Bundesrepublik Beispiele dafür, dass der Staat richtig handelt, wenn er, gerade in Notzeiten, Schulden macht und Geld ausgibt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass in guten Zeiten Geld zurückgelegt wird. Was früher, in den sechziger und siebziger Jahren, geschehen sei, sagt Vesper, als die Opposition dies noch einforderte. Die unglückliche Lage, in der sich Politiker heute befinden, ist demnach auch ein Resultat übertriebener Großzügigkeit während der fetten Jahre.
" Wir brauchen dringend mehr öffentliche Investitionen, hierfür sollten Mittel ausgegeben werden. Deswegen sollte man dann auch ruhig etwas höhere Defizite hinnehmen."
Einen Punkt der dreiprozentigen Mehrwertsteuererhöhung will die Bundesregierung für die Senkung der Lohnnebenkosten einsetzen. Zwei weitere wird sie für das Stopfen der Löcher im Haushalt verwenden. Denn Sparen und Konsolidieren helfe am Ende auch der Konjunktur, so sieht es der CSU-Finanzexperte Georg Fahrenschon.
" Solide Staatsfinanzen und eine nachhaltige Konsolidierung sind wichtige Voraussetzungen für eine Steigerung für Wachstum und Beschäftigung. Sparen fördert Wachstum. Sparen leistet einen unverzichtbaren Beitrag zu stabilen Preisen und zu niedrigen Zinsen und stärkt das Vertrauen der Konsumenten und Investoren."
Teilen der Opposition ist dies nicht genug. Man hätte, sagen die Liberalen, mehr einsparen können und so weder Regelgrenzen verletzen noch Steuern erhöhen müssen, wäre man den Vorschlägen der FDP gefolgt. Deren Parlamentarischer Geschäftsführer Jürgen Koppelin spricht von insgesamt neun Milliarden Euro Sparpotential.
" Wir haben Kürzungen vorgeschlagen, Verwaltungsausgaben von zehn Prozent. Nur zehn Prozent, das gibt bereits 800 Millionen. Die Koalition hat das abgelehnt. Wir haben Beschaffungsmaßnahmen auch im Verteidigungsetat auf den Prüfstand gestellt, weil wir es für notwendig erachtet haben. Einsparvolumen: 400 Millionen. Das ist doch etwas anderes als Ihre popeligen einhundert Millionen, die Sie uns heute hier präsentieren."
So könne nur reden, wer in der Opposition sitzt, entgegnet dem Carsten Schneider, der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion und schnürt das Bündel liberaler Sparvorschläge noch einmal auf.
" Sie wollen Beiträge für internationale Organisationen kürzen, da sind wir vertraglich gebunden. Sie wollen eine Milliarde im Verteidigungsbereich kürzen, schöne Grüße an alle Soldatinnen und Soldaten, die im internationalen Bereich tätig sind. Sie wollen die internationale Krisenprävention um drei Millionen Euro senken, die Krisengebiete werden sich bedanken. Sie wollen 20 Millionen Euro kürzen bei der Flug- und Gepäckkontrolle und Fahrgastsicherheit. Ich kann nur sagen, ist Ihnen nicht bekannt, dass sich die Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland - insbesondere auch vor dem Hintergrund des elften September und auch der Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Jahr - und im Fokus, in dem wir stehen, sich nachhaltig verändert hat. Dies alles scheint Ihnen nicht deutlich zu sein, von daher verbuche ich dies und auch weiteres und weiteres."
Nur noch selten sprechen führende Politiker der Großen Koalition auch über mögliche Schäden einer nur auf Konsolidierung ausgerichteten Politik. Kurt Beck, Ministerpräsident des Landes Rheinland Pfalz und Bundesvorsitzender der SPD, hat in diesem Monat im Bundesrat darauf hingewiesen, dass Sparen nur ein Teil einer nachhaltigen Haushaltspolitik sein kann. Steuererhöhungen sind ein weiterer.
" Dass Sparen immer auch bedeuten muss, dass die staatlichen und kommunalen Ebenen und andere Teile, die am Gemeinwesen mitgestalten, auch auf Effizienz achten müssen, ist völlig außer Frage. Aber es ist eine Illusion, die gerne genährt wird, dass darüber allein die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte erreicht werden kann und zugleich die notwendige Investitionsfähigkeit zu gewährleisten sind."
Marktliberale Kritiker werfen der Bundesregierung vor, mit der hohen Nettokreditaufnahme Wachstum kurzfristig erkaufen zu wollen. Dass man damit den Schuldenberg nur weiter anhäuft, die Konjunktur aber nicht wie gewünscht anheizt, das hätten die vergangenen Jahrzehnte in der Bundesrepublik zur Genüge gezeigt. Sie sehen das eigentliche Problem, das zu lösen ist, im hohen Budget des Ministers für Arbeit und Soziales. Es ist mit knapp 120 Milliarden Euro der höchste Einzelposten des Haushaltes. Davon fließen 77 Milliarden Euro in die Rentenkasse, 38 Milliarden in die Arbeitsmarktpolitik. Rechnet man weitere Leistungen des Staates aus anderen Ressorts dazu, kommt man zu dem Ergebnis, dass von jedem Steuer-Euro 70 Cent für Sozialleistungen ausgegeben werden. Was liegt näher, als hier zu kürzen, um den Haushalt in Ordnung zu bringen. Auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück verfolgt dieses Ziel: Das Hartz-4-Optimierungsgesetz soll den Missbrauch im System verhindern und Ausgaben senken. Auch bisher legale Ansprüche werden eingeschränkt. Peer Steinbrück hat den Paradigmenwechsel in der Arbeits- und Sozialpolitik bereits Anfang des Jahres in einer Grundsatzrede eingefordert - und das vor allem mit den knappen öffentlichen Kassen begründet.
" Die Situation der öffentlichen Haushalte lässt es nicht mehr zu, einen vornehmlich konsumtiv, will sagen auf Alimentation ausgerichteten Sozialstaat weiterhin im bisherigen Umfang zu finanzieren. Es kann nicht mehr das alleinige Ziel des modernen Sozialstaates sein, jeden einzelnen gegen alle Unwägbarkeiten des Marktes zu schützen, sondern das erste Ziel eines modernen Sozialstaates muss es sein, den einzelnen zur Teilnahme und Teilhabe auf den Märkten zu befähigen."
Für die Opposition ist die Debatte um den falschen Einsatz der Hartz-4-Gelder nicht mehr als der fadenscheinige Versuch, sich das Geld für Haushaltskonsolidierungen von denen zu holen, die keine Lobby haben. Anja Hajduk, Finanzexpertin der Grünen, sagt, die angeblich steigenden Kosten seien herbeigeredet.
" Die Kostenexplosion wird benutzt, um einen Aufschlag zu haben für eine Missbrauchsdebatte. Daran erkennt man die tiefe Spaltung der Koalition in einer der wichtigsten politischen Fragen, die wir hier in Deutschland zu lösen haben. Die, die die Missbrauchsdebatte forcieren, wollen potentiell Einschneidungen durchsetzen. Kommt stark aus dem Bereich der Union. Damit hat die SPD natürlich ein großes Problem. Sie haben zwei ganz unterschiedliche Konzepte für das Thema: wie gehen wir mit der Langzeitarbeitslosigkeit um, und das ist natürlich ein Problem fürs Land, dass Sie an dieser Stelle nämlich nicht richtig zusammenkommen, und deswegen wahrscheinlich auch keine erfolgreichen Lösungen vorschlagen können."
Und Umstritten bleibt, ob die Kürzungen im Sozialbereich auch langfristig dem Haushalt zugute kommen: Denn wer Leistungen streicht, verursacht möglicherweise Kosten an anderer Stelle. Die Große Koalition wird es nicht leicht haben, ihre wirtschaftspolitischen Instrumente so einzusetzen, dass die Defizite wirklich schrumpfen - wegen der Widersprüchlichkeit in den eigenen Reihen. Denn in den Regierungsfraktionen konkurrieren unterschiedliche Reformmodelle, die nicht miteinander vereinbar sind. Am Standort jedoch liegt es nicht, wenn Wirtschaftspolitik erfolglos bleibt. Wer die Bundesrepublik mit anderen Ländern vergleicht, wie dies Jörg-Otto Spiller, der finanzpolitische Sprecher der Sozialdemokraten tut, der macht die Entdeckung, dass Deutschland von einem Sanierungsfall weit entfernt ist.
" International als attraktivster Standort der Welt gilt Westeuropa, und als attraktivstes Land in Westeuropa gilt Deutschland. Da steht nicht, das ist deswegen so attraktiv, weil das hier alles so billig ist. Da ist eine hervorragende Infrastruktur, da gibt es Rechtssicherheit, da sind es eine hohe Qualität von Arbeitskräften vorhanden, und es gibt Forschung, es gibt und Entwicklung, und es gibt Verkehrswege. Es gibt einfach einen Premiumstandort."
Tatsächlich sanierungsbedürftig sind dagegen die Staatsfinanzen. Die Realitäten des Haushaltes 2006 sind die: Der erste Etat der Großen Koalition muss mit einem strukturellen Defizit von 40 Milliarden Euro umgehen. Deshalb wird eingespart und gleichzeitig werden Steuern erhöht. Die Neuverschuldung erreicht eine Rekordhöhe und überschreitet die Regelgrenze des Grundgesetzes. Und möglicherweise wird Deutschland in diesem Jahr wieder die Maastricht-Kriterien, die für die Stabilität der europäischen Währung sorgen sollen, nicht erfüllen - es wäre das fünfte Mal in Folge. Niemand, sagt die Kanzlerin, hätte in dieser Situation anders handeln können - auch die Opposition nicht.
" Bei aller Detailbetrachtung, die Sie von der Opposition hier angestellt haben in den Haushaltsberatungen: Die Vorschläge sind entweder nicht redlich oder sie decken nicht einmal die Maßgabe, dass der Artikel 115 des Grundgesetzes erfüllt wird, das heißt, wenn wir das wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als zu dem Mittel begrenzter Steuererhöhungen zu greifen, und wir wissen im Übrigen, dass wir den Menschen damit schwierige Aufgaben aufbürden."
Die Mängelliste der Oppositionsparteien ist lang: Ganz oben steht der Vorwurf, dieser Haushalt sei verfassungswidrig. Insgesamt plant der Bund Ausgaben von 261 Milliarden Euro. Bis Ende des Jahres sollen 38 Milliarden Euro zusätzliche Schulden gemacht werden - noch nie war diese Zahl schon in der Planung eines Haushaltes so hoch. So gut wie immer dagegen hat sich diese Zahl am Ende weiter erhöht. Für Investitionen sind in diesem Haushalt lediglich 23,2 Milliarden Euro vorgesehen. Genau dies verbietet Artikel 115 des Grundgesetzes. Die Summe der Neuverschuldung darf die der Investitionen nicht übersteigen. Denn durch Investitionen werden Zukunftsaufgaben finanziert. Ihr Ertrag wird künftigen Generationen zugute kommen, die sich dann - durch die Rückzahlung der heute gemachten Schulden - an diesen Investitionen beteiligen müssen. Man kann also Belastungen, die heute entstehen, auch Kindern und Kindeskindern aufbürden, aber nur insofern, als sie auch davon profitieren. Was aber ist eine Investition? Kaum jemand wird bestreiten, dass Ausgaben für Bildung Investitionen in die Zukunft sind - auch wenn damit die Gehälter von Lehrern und Hochschulpersonal bezahlt werden. Dennoch gelten sie in der Systematik der Haushalte als konsumptive Ausgaben, die keinen Ertrag erwarten lassen. Aber das sind Details, die die Opposition bei ihrem Generalangriff auf die Bundesregierung nicht behindern. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Demokraten, Jürgen Koppelin, drückt es drastisch aus.
" Dieser Bundeshaushalt 2006 erinnert mich an den Gammelfleisch-Skandal. Neu verpackt, umetikettiert und als frisch angeboten. Aber es bleibt das, was es ist: Gammel."
Denn der von der Opposition behauptete Verfassungsbruch hat Tradition. Auch die rot-grüne Koalition und ihr Finanzminister Hans Eichel haben in der Vergangenheit immer wieder Etats verabschiedet, in denen mehr neue Schulden aufgenommen als investiert wurde.
" Der Haushalt 2006 ist verfassungswidrig und setzt den Verfassungsbruch der letzten vier Jahre fort. Angesichts einer konjunkturellen Erholung und eines von der Bundesregierung erwarteten Wachstums kann doch nicht erneut die Ausnahmeregelung des Artikels 115 des Grundgesetzes herangezogen werden."
Der Artikel 115 ist nicht der einzige im Grundgesetz, der den Bundesregierungen Vorschriften zum Haushalt macht. Neben ihm steht der Artikel 109, den die Bundesregierung als Hintertürchen benutzt. Er besagt im Kern, dass Bund und Länder zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts besondere Vorschriften erlassen können. Seit 1967 wird dieser Satz präziser gefasst: Im "Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums" der Regierung Kiesinger/Brandt heißt es gleich am Anfang:
" Die haushälterischen Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen."
Gäbe es den Artikel 109 nicht, müsste die Regierung mit dem Vorwurf leben, sich verfassungswidrig zu verhalten, was klingt, als hätten sich Kriminelle ins Kanzleramt eingeschlichen. Weitere Sanktionen allerdings sieht das Gesetz nicht vor. Dass sein Haushalt trotz der entlastenden Wirkung des Artikels 109 kein Glanzstück ist, weiß auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Der nächste Etat, der von 2007, soll ohne Tricks verabschiedet werden.
" Die Regelgrenze des Artikels 115 einzuhalten und das Maastricht-Verfahren zu bestreiten, so, dass wir auch wieder entlastet werden aus den Auflagen, dass die für uns von einer konstitutiven Bedeutung sind, und an dem wird nicht gewackelt. Glauben Sie nicht Zeitungsartikeln, glauben Sie mir."
Der Haushalt 2007 wird, wenn man Steinbrück weiter glaubt, schmerzhafter werden als der jetzige. Die CDU übrigens hat ihre Meinung über die Verfassungsmäßigkeit defizitärer Haushalte geändert. Im Jahr 2004 klagte sie gegen einen Nachtragshaushalt der rot-grünen Regierung vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie wollte richterlich entscheiden lassen, wann eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wirklich gegeben ist. Heute muss die Union von der FDP daran erinnern werden. Jürgen Koppelin.
" Union und FDP haben doch zusammen in der Opposition immer wieder auf die unsolide Haushaltspolitik der Sozialdemokraten hingewiesen. Wir sind sogar zusammen zum Bundesverfassungsgericht gegangen und haben eine Klage eingereicht. Die läuft ja noch. Warum haben Sie von der Union das alles vergessen?"
Die Klage soll auch erreichen, dass es künftigen Regierungen nicht mehr so leicht fällt wie bisher, die Vorgaben des Grundgesetzes mit einer Ausnahmeregel außer Kraft zu setzen. Auch der Bundesrechnungshof fordert eine echte Schuldenbremse im Grundgesetz. Außerdem sollen die Richter verbindlich klären, welche Ausgabe als Investition zu werten ist, und welche nicht, um den Spielraum für Interpretationen einzuengen. Bis dahin bleibt die Frage, die von den Parteien je nach Zugehörigkeit zu Regierung oder Opposition unterschiedlich beantwortet wird, offen: Ist das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht in der Bundesrepublik Deutschland wirklich gestört? Das ist es, sagt Dieter Vesper, Steuerexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.
" Immerhin haben wir fünf Millionen Arbeitslose, und ich glaube, diese Zahl deutet auf ein massives Ungleichgewicht hin, auch wenn wir vielleicht in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent oder vielleicht sogar etwas mehr realisieren sollten. So besteht dann im nächsten Jahr die Wahrscheinlichkeit, dass das Wirtschaftswachstum geringer ausfallen wird, weil die Mehrwertsteuer drastisch angehoben wird, der Staat also die wirtschaftliche Entwicklung nicht unterstützt, sonder eher hemmt. Dieses wiederum macht es dann so kompliziert, die Kreditaufnahme-Grenzen einzuhalten."
Vesper hält Beschränkungen wie die Regelgrenze des Grundgesetzes, auch die Kriterien von Maastricht, für wenig hilfreich. Denn Volkswirtschaften verhalten sich zyklisch. Ist es in einem Jahr richtig zu sparen und Schulden abzubezahlen, ist es in einem anderen angebracht, Geld auszugeben und damit die Wirtschaft anzukurbeln, notfalls auch Schulden zu machen. Vorschriften wie die des Paragraphen 115 oder des EU-Stabilitätspaktes seien zu starr für die Wirklichkeit.
" Insbesondere hemmt diese Regel ein ökonomisch sinnvolles Verhalten des Staates. Ein gesamtwirtschaftlich sinnvolles Verhalten des Staates in einer Rezession wäre durchaus die Hinnahme eines höheren Defizits, um nicht auf die Steuerausfälle und die Beitragsausfälle in der Sozialversicherung reagieren zu müssen mit weiteren Kürzungen der Staatsausgaben, die ja dann auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage weiter beeinträchtigen wird. Er müsste eigentlich ein höheres Defizit hinnehmen, als diese drei Prozent es erlauben."
Sparen aber hat in Deutschland einen so guten Ruf, dass es in jeder Lebenslage angebracht zu sein scheint. Kein Politiker könnte es sich erlauben, in der Öffentlichkeit als Verschwender zu gelten, gerade in Zeiten, in denen Bürger Verzicht leisten müssen. Dabei könnte es gerade dann richtig sein, dass der Staat Geld ausgibt, weil es die Bürger, aber auch die Unternehmer, eben nicht tun. Auch wenn dafür weitere Schulden gemacht werden müssten. Eine wenig populäre Ansicht: Die Große Koalition der Sparwilligen schließt im Bundestag auch weite Teile der Opposition mit ein. Anja Hajduk, haushaltspolitische Sprecherin der Grünen, beschuldigt die Bundesregierung des Diebstahls an den Gütern kommender Generationen.
" Die Zahl, die diesen Haushalt prägt, ist die Netto-Kreditaufnahme von 38,2 Milliarden. Diese Zahl von 38 Milliarden Schuldenaufnahme entspricht ziemlich genau der Zahl, die wir für die laufenden Zinsen ausgeben. Welche Zahl macht eigentlich deutlicher, dass wir die Kredite ausschließlich für die Zinstilgung brauchen? Daran sieht man doch, dass wir in einem kompletten Ausmaß unsere Vergangenheit bewältigen und überhaupt nichts für die Zukunft bereithalten."
Und auch Steffen Kampeter, haushaltspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, hält es für unverzichtbar, einen lupenrein verfassungskonformen Etat zumindest für 2007 zu verabschieden und auch bei den Maastricht-Kriterien wieder Musterknabe zu werden. Immerhin hat Deutschland selbst dafür gesorgt, dass die Ansprüche des Stabilitätspaktes hoch sind. Um sie selbst zu erfüllen, wird die Bundesregierung zum ersten Januar 2007 die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöhen, obwohl unstrittig ist, dass dies der Konjunktur schadet: Konsolidieren geht vor, sagt Kampeter
" Angesichts der Handlungsmöglichkeiten innerhalb von sechs Monaten in diesem Jahr und für das Jahr 2007 und der Alternativperspektiven, die ich Ihnen hier klar und deutlich aufgezeigt habe, gibt es dazu keine vernünftige, keine realistische, keine konjunkturverträgliche Alternative. Wir sind bereit, diesen schweren Weg zu gehen, weil er ohne Alternative für unser Land ist. Das ist die Wahrheit."
Aber könnte es nicht sein, dass, würde man heute alles dafür tun, die Konjunktur anzuwerfen, sich die Schulden in Zukunft wie von allein abtragen, weil die Steuereinnahmen in Boomzeiten steigen? Dieter Vesper vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist als Vertreter einer nachfrageorientierten Ökonomie eindeutig dieser Ansicht.
" Ich setze darauf, dass - je stärker die wirtschaftliche Erholung sein wird - umso rascher das Defizit quasi automatisch abgebaut wird, so wie ja auch in einer Rezession ein Defizit quasi automatisch entsteht."
Dies ist, glaubt man Vesper, nicht nur graue Theorie. Es finden sich in der Geschichte der Bundesrepublik Beispiele dafür, dass der Staat richtig handelt, wenn er, gerade in Notzeiten, Schulden macht und Geld ausgibt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass in guten Zeiten Geld zurückgelegt wird. Was früher, in den sechziger und siebziger Jahren, geschehen sei, sagt Vesper, als die Opposition dies noch einforderte. Die unglückliche Lage, in der sich Politiker heute befinden, ist demnach auch ein Resultat übertriebener Großzügigkeit während der fetten Jahre.
" Wir brauchen dringend mehr öffentliche Investitionen, hierfür sollten Mittel ausgegeben werden. Deswegen sollte man dann auch ruhig etwas höhere Defizite hinnehmen."
Einen Punkt der dreiprozentigen Mehrwertsteuererhöhung will die Bundesregierung für die Senkung der Lohnnebenkosten einsetzen. Zwei weitere wird sie für das Stopfen der Löcher im Haushalt verwenden. Denn Sparen und Konsolidieren helfe am Ende auch der Konjunktur, so sieht es der CSU-Finanzexperte Georg Fahrenschon.
" Solide Staatsfinanzen und eine nachhaltige Konsolidierung sind wichtige Voraussetzungen für eine Steigerung für Wachstum und Beschäftigung. Sparen fördert Wachstum. Sparen leistet einen unverzichtbaren Beitrag zu stabilen Preisen und zu niedrigen Zinsen und stärkt das Vertrauen der Konsumenten und Investoren."
Teilen der Opposition ist dies nicht genug. Man hätte, sagen die Liberalen, mehr einsparen können und so weder Regelgrenzen verletzen noch Steuern erhöhen müssen, wäre man den Vorschlägen der FDP gefolgt. Deren Parlamentarischer Geschäftsführer Jürgen Koppelin spricht von insgesamt neun Milliarden Euro Sparpotential.
" Wir haben Kürzungen vorgeschlagen, Verwaltungsausgaben von zehn Prozent. Nur zehn Prozent, das gibt bereits 800 Millionen. Die Koalition hat das abgelehnt. Wir haben Beschaffungsmaßnahmen auch im Verteidigungsetat auf den Prüfstand gestellt, weil wir es für notwendig erachtet haben. Einsparvolumen: 400 Millionen. Das ist doch etwas anderes als Ihre popeligen einhundert Millionen, die Sie uns heute hier präsentieren."
So könne nur reden, wer in der Opposition sitzt, entgegnet dem Carsten Schneider, der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion und schnürt das Bündel liberaler Sparvorschläge noch einmal auf.
" Sie wollen Beiträge für internationale Organisationen kürzen, da sind wir vertraglich gebunden. Sie wollen eine Milliarde im Verteidigungsbereich kürzen, schöne Grüße an alle Soldatinnen und Soldaten, die im internationalen Bereich tätig sind. Sie wollen die internationale Krisenprävention um drei Millionen Euro senken, die Krisengebiete werden sich bedanken. Sie wollen 20 Millionen Euro kürzen bei der Flug- und Gepäckkontrolle und Fahrgastsicherheit. Ich kann nur sagen, ist Ihnen nicht bekannt, dass sich die Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland - insbesondere auch vor dem Hintergrund des elften September und auch der Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Jahr - und im Fokus, in dem wir stehen, sich nachhaltig verändert hat. Dies alles scheint Ihnen nicht deutlich zu sein, von daher verbuche ich dies und auch weiteres und weiteres."
Nur noch selten sprechen führende Politiker der Großen Koalition auch über mögliche Schäden einer nur auf Konsolidierung ausgerichteten Politik. Kurt Beck, Ministerpräsident des Landes Rheinland Pfalz und Bundesvorsitzender der SPD, hat in diesem Monat im Bundesrat darauf hingewiesen, dass Sparen nur ein Teil einer nachhaltigen Haushaltspolitik sein kann. Steuererhöhungen sind ein weiterer.
" Dass Sparen immer auch bedeuten muss, dass die staatlichen und kommunalen Ebenen und andere Teile, die am Gemeinwesen mitgestalten, auch auf Effizienz achten müssen, ist völlig außer Frage. Aber es ist eine Illusion, die gerne genährt wird, dass darüber allein die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte erreicht werden kann und zugleich die notwendige Investitionsfähigkeit zu gewährleisten sind."
Marktliberale Kritiker werfen der Bundesregierung vor, mit der hohen Nettokreditaufnahme Wachstum kurzfristig erkaufen zu wollen. Dass man damit den Schuldenberg nur weiter anhäuft, die Konjunktur aber nicht wie gewünscht anheizt, das hätten die vergangenen Jahrzehnte in der Bundesrepublik zur Genüge gezeigt. Sie sehen das eigentliche Problem, das zu lösen ist, im hohen Budget des Ministers für Arbeit und Soziales. Es ist mit knapp 120 Milliarden Euro der höchste Einzelposten des Haushaltes. Davon fließen 77 Milliarden Euro in die Rentenkasse, 38 Milliarden in die Arbeitsmarktpolitik. Rechnet man weitere Leistungen des Staates aus anderen Ressorts dazu, kommt man zu dem Ergebnis, dass von jedem Steuer-Euro 70 Cent für Sozialleistungen ausgegeben werden. Was liegt näher, als hier zu kürzen, um den Haushalt in Ordnung zu bringen. Auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück verfolgt dieses Ziel: Das Hartz-4-Optimierungsgesetz soll den Missbrauch im System verhindern und Ausgaben senken. Auch bisher legale Ansprüche werden eingeschränkt. Peer Steinbrück hat den Paradigmenwechsel in der Arbeits- und Sozialpolitik bereits Anfang des Jahres in einer Grundsatzrede eingefordert - und das vor allem mit den knappen öffentlichen Kassen begründet.
" Die Situation der öffentlichen Haushalte lässt es nicht mehr zu, einen vornehmlich konsumtiv, will sagen auf Alimentation ausgerichteten Sozialstaat weiterhin im bisherigen Umfang zu finanzieren. Es kann nicht mehr das alleinige Ziel des modernen Sozialstaates sein, jeden einzelnen gegen alle Unwägbarkeiten des Marktes zu schützen, sondern das erste Ziel eines modernen Sozialstaates muss es sein, den einzelnen zur Teilnahme und Teilhabe auf den Märkten zu befähigen."
Für die Opposition ist die Debatte um den falschen Einsatz der Hartz-4-Gelder nicht mehr als der fadenscheinige Versuch, sich das Geld für Haushaltskonsolidierungen von denen zu holen, die keine Lobby haben. Anja Hajduk, Finanzexpertin der Grünen, sagt, die angeblich steigenden Kosten seien herbeigeredet.
" Die Kostenexplosion wird benutzt, um einen Aufschlag zu haben für eine Missbrauchsdebatte. Daran erkennt man die tiefe Spaltung der Koalition in einer der wichtigsten politischen Fragen, die wir hier in Deutschland zu lösen haben. Die, die die Missbrauchsdebatte forcieren, wollen potentiell Einschneidungen durchsetzen. Kommt stark aus dem Bereich der Union. Damit hat die SPD natürlich ein großes Problem. Sie haben zwei ganz unterschiedliche Konzepte für das Thema: wie gehen wir mit der Langzeitarbeitslosigkeit um, und das ist natürlich ein Problem fürs Land, dass Sie an dieser Stelle nämlich nicht richtig zusammenkommen, und deswegen wahrscheinlich auch keine erfolgreichen Lösungen vorschlagen können."
Und Umstritten bleibt, ob die Kürzungen im Sozialbereich auch langfristig dem Haushalt zugute kommen: Denn wer Leistungen streicht, verursacht möglicherweise Kosten an anderer Stelle. Die Große Koalition wird es nicht leicht haben, ihre wirtschaftspolitischen Instrumente so einzusetzen, dass die Defizite wirklich schrumpfen - wegen der Widersprüchlichkeit in den eigenen Reihen. Denn in den Regierungsfraktionen konkurrieren unterschiedliche Reformmodelle, die nicht miteinander vereinbar sind. Am Standort jedoch liegt es nicht, wenn Wirtschaftspolitik erfolglos bleibt. Wer die Bundesrepublik mit anderen Ländern vergleicht, wie dies Jörg-Otto Spiller, der finanzpolitische Sprecher der Sozialdemokraten tut, der macht die Entdeckung, dass Deutschland von einem Sanierungsfall weit entfernt ist.
" International als attraktivster Standort der Welt gilt Westeuropa, und als attraktivstes Land in Westeuropa gilt Deutschland. Da steht nicht, das ist deswegen so attraktiv, weil das hier alles so billig ist. Da ist eine hervorragende Infrastruktur, da gibt es Rechtssicherheit, da sind es eine hohe Qualität von Arbeitskräften vorhanden, und es gibt Forschung, es gibt und Entwicklung, und es gibt Verkehrswege. Es gibt einfach einen Premiumstandort."