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Sankt Florian und die Stromautobahnen

Vier große Stromautobahnen von Nord nach Süd sollen es sein: So will es der neue Netzentwicklungsplan - einer der Eckpfeiler der Energiewende. Allein: Die betroffenen Anwohner sind wenig begeistert. Noch bis zum 10. Juli haben Bürger und Verbände Zeit, die Pläne der Netzbetreiber zu kommentieren.

Von Dieter Nürnberger | 04.07.2012
    Die Politik hat die Bürger um Stellungnahmen gebeten. Und sie tun es. Bislang gibt es rund 250 Stellungnahmen im Internet, hier haben die deutschen Netzbetreiber eigens die Plattform "netzentwicklungsplan.de" geschaltet. Zudem tingeln die Verantwortlichen derzeit sozusagen über die Dörfer, um in regionalen Veranstaltungen die Meinung der Bürger einzuholen. Es geht um die erste Stufe im Planungsprozess, das heißt, es geht noch nicht um präzise Trassenverläufe, sondern um die grobe Bedarfsplanung. Marian Rappl ist Sprecher der vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland, die den künftigen Netzentwicklungsplan erstellen.

    "Da geht es beispielsweise um die Frage, zentrale oder dezentrale Stromversorgung. Viele äußern sich auch zu dem wichtigen Punkt der Technologien: Einsatz von Erdkabeln etc. Was mich verwundert – es geht in ganz vielen Fällen auch schon um ganz konkrete Trassenführungen. Es gibt somit Fragen, ob eine Leitung über das eigene Grundstück geht. Dafür ist es allerdings in diesem Stadium der Konsultationen noch früh, das kann noch nicht beantwortet werden."

    Knapp 4000 Kilometer an neuen sogenannten Stromautobahnen werden benötigt, um vor allem die erneuerbaren Energien in das Netz zu integrieren. Hinzu kommen noch einmal rund 4400 Kilometer, die im bestehenden Netz optimiert werden müssen. Zu den Kritikern gehört derzeit auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Hier wurden in den vergangenen Wochen die ersten ersichtlichen Planungen analysiert. Almut Gaude vom BUND kritisiert beispielsweise, dass die Betreiber bei den Strommengen aus klimaschädlichen Kohlekraftwerken zu großzügig vorgehen würden, die prognostizierte Menge sei höher als noch vor Monaten von der Bundesregierung angeben.

    "Fast doppelt so viel Strom aus Kohlekraftwerken soll 2022 in den Netzen fließen. Das ist aus unserer Sicht eine absolute Fehleinschätzung. Es wäre fatal für die Ziele der Energiewende, weil die Netze nicht ein Mehr an Kohlestrom ausgebaut werden sollten. Deshalb fordern wir die Netzbetreiber auf, noch einmal neu zu rechnen und den Kohlestromanteil zu reduzieren."

    Obwohl es in der ersten Phase der Planung noch nicht um konkrete Trassenverläufe geht, hat der Sprecher der Netzbetreiber schon ein relativ bekanntes Verhaltensmuster ausgemacht. Die Bürger seien grundsätzlich für den Atomausstieg und die damit verbundene Energiewende, doch bitte nicht vor der eigenen Haustür. Dieser gesellschaftliche Konflikt wird gern als Sankt-Florians-Prinzip bezeichnet. Dass es hier auch Streitigkeiten zwischen dem Bundesverband des BUND und regionalen Verbänden der Umweltorganisation gibt, ist deshalb nicht Neues. Almut Gaude geht dennoch davon aus, dass dieser Konflikt nicht per se ausbrechen muss.

    "Es kommt darauf an, wie der Netzausbau tatsächlich vonstattengeht. Auch darum, wie die Bürger vor Ort mitgenommen werden. Es geht natürlich ebenso um die Berechnung des Bedarfs. Es geht darum, den Bedarf zu minimieren, in dem geschaut wird, wo kann Strom eingespart werden, wo kann vor Ort der Strom produziert werden. Wenn diese Alternativen tatsächlich geprüft werden, dann kann man die Bevölkerung vor Ort auch mitnehmen. Dann wird sich der BUND auch nicht gegen die Stromtrassen wenden."

    Spannend dürfte es dann werden, wenn die Netzbetreiber erste konkrete Trassen präsentieren werden. Auch hier ist eine rege Bürgerbeteiligung erwünscht. Netzentwicklungsplansprecher Marian Rappl.

    "Die Bürger haben an mehreren Stellen die Möglichkeit, ihre Meinung zum Netzentwicklungsplan abzugeben. Darüber hinaus haben sie auch noch in anderen Prozessen – bis dann letztendlich die Leitung steht – die Möglichkeit ihre Meinung zu artikulieren. Das ist vor allem im Raumordnungsverfahren und letztendlich auch im Planfeststellungsverfahren der Fall. Wo dann wirklich sozusagen trassen- und mastenscharf mit den Menschen diskutiert wird, wie und wo stehen die späteren Leitungsmasten."