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Sarah Moon
Retrospektive einer Rebellin

Ausgerechnet 1968 begann die Frau, die sich seither Sarah Moon nennt, für Werbeagenturen und für Modefirmen zu fotografieren - gegen den Strich, aber eben doch nicht so aggressiv, wie es damals en vogue war. Eine Retrospektive in den Hamburger Deichtorhallen zeigt auch Werke, die erstaunlicherweise bisher kaum beachtet fanden.

Von Carsten Probst | 01.12.2015
    Die französische Fotografin Sarah Moon steht mit einer Kamera um den Hals vor Bildern ihrer Ausstellung in den Deichtorhallen in Hamburg
    Die französische Fotografin Sarah Moon steht mit einer Kamera um den Hals vor Bildern ihrer Ausstellung in den Deichtorhallen in Hamburg (picture-alliance / dpa / Axel Heimken)
    Wie schon Guy Bourdin, den die Deichtorhallen vor zwei Jahren mit einer großen Retrospektive gewürdigt haben, schmückt auch die Karriere der Sarah Moon das Attribut des Rebellischen. Und auch bei Moon, wie bei Bourdin, lohnt es sich durchaus, in der Heldensage einen Moment innezuhalten und sich bewusst zu machen, was Rebellion im Bereich der Haute Couture und der mit ihr verbundenen Modefotografie zunächst bedeutet - ein Verkaufsargument. Und wie bei den von ihr verehrten Guy Bourdin oder Helmuth Newton, kann man auch bei Sarah Moon konstatieren, dass ihr Rebellentum ihrer Karriere als Modefotografin zumindest nicht geschadet hat.
    Bourdin wie Newton wie Moon haben sich Freiheiten genommen gegenüber dem figurinenhaften Menschenbild, das in der Modefotografie lange vorherrschte. Bezogen auf die kommerziell-beschränkte Ästhetik des Modebetriebs nimmt sie damit ohne Frage eine herausragende Position ein. Eine andere Frage ist, wie und in welcher Form diese tatsächlich als Fotokunst anzusehen ist.
    Die Pirelli-Fotografin
    Schon früh jedenfalls hat Sarah Moon ihre Verachtung für den Modezirkus geäußert. Sie hatte ihn auch von seiner unmenschlichsten Seite erlebt, als Model auf dem Laufsteg unter dem Namen Marielle Hadengue in Paris und London für verschiedene Labels. Als 29-Jährige kehrte sie dieser Karriere 1970 nach immerhin elf Jahren den Rücken, nannte sich fortan Sarah Moon und widmete sich der Fotografie, die sie sich zuvor bereits seit einigen Jahren autodidaktisch angeeignet hatte.
    Ihr Mann Robert Delpierre förderte sie mit Ausstellungen, Moon arbeitete unter anderem mit der Londoner Modedesignerin Barbara Hulancki zusammen, die damals eine der modischen Trendgestalterinnen der Swinging Sixties in London und deren Geschäft in Kensington ein Treffpunkt für die angesagten Künstlertypen von David Bowie bis Marianne Faithfull war. Moons Inszenierung von Models nimmt Züge des jugendstilhaften Vergänglichkeitspathos des Designs auf, das die Swinging Sixties begleitete und machte sich damit zu einer der großen stilaffinen Bilderproduzentinnen dieser Zeit. Aussteigerhafte Attitüde war damals durchaus bereits ein fester Bestandteil des modischen Geschäftsmodells. Es folgten Aufträge an Moon für den Pirelli-Kalender 1972, als erste Frau überhaupt, und dann für das damals noch aufstrebende Label Cacharel, dann Chanel, Dior, Comme des Garcons.
    "Das Wesen der Fotografie"
    Ihre Bildsprache seit dieser Zeit ist von einem eigentümlichen Kunstwollen geprägt. Moon bezeichnet Schwarz-Weiß-Fotografie als "das Wesen der Fotografie", doch tatsächlich wirkt ihre Art der Bildinszenierung wie ein Alterungsbad des Mediums, eine bewusste technische Unzulänglichkeit und Erzeugung von Patina, um dem Bild den Hauch des Vergänglichen einzugeben. Sie fotografiert nicht nur Models, sondern auch Architektur, Landschaften, Augenblicke, Tiere, vornehmlich Vögel, die sich wie Ikonen und Metaphern von symbolistischer Dunkelheit ausnehmen. Die Affinität von Guy Bourdin zur surrealistischen Malerei scheint auch bei Sarah Moon deutlich hindurch. Gerade in den traumartigen Projektionen von naturhaftem Idyll, kindlicher Verspieltheit, der vermeintlich rebellischen Fantasie von Kindheit und Jugend versucht Moon durch Bildbearbeitung, Zuschnitt, Doppelbelichtung und Montage wahrhafte Fotoobjekte zu schaffen, die ein außerweltliches Befremden auslösen sollen.
    Seit Mitte der Achtziger Jahre setzt sie dieses Schaffen in kurzen Filmerzählungen fort, die sich inhaltlich vorwiegend an Märchenstoffen Hans-Christian Andersens und Charles Perraults orientieren. Der Form nach aber betonen die Filme vor allem Moons Interesse an diskontinuierlichen Erzählsträngen, kindlicher, heißt vorbewusster, traumartiger Sprache und dem Ineinanderfließen und Überblenden von Bildsequenzen. Den Filmen ist ein Hauptteil dieser Ausstellung gewidmet, womöglich auf Wunsch der Fotografin selbst. Sie belegen aber am Ende nur das, was sich auch an Moons fotografischer Entwicklung beobachten lässt: Stil, verstanden als Gestaltung, unterwirft die Fotografie ähnlichen Produktionsprozessen wie in der Mode. Ihnen wird ein Aussehen verpasst, ein Look, ein Klischee, das zutiefst existenzialistisch und mit den ganz großen Themen daherkommt, aber dennoch Budenzauber bleibt.