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Saral Sarkar: Die nachhaltige Gesellschaft. Eine kritische Analyse der Systemalternativen

Der Sozialismus unter sowjetischer Vorherrschaft ist gescheitert, daran besteht kein Zweifel, doch der Triumph des Kapitalismus unter us-amerikanischer Führung will sich auch nicht recht einstellen. Sind doch die Vergrößerung der weltweiten Armut, die hemmungslose Ausbeutung aller Ressourcen, die Umweltzerstörung zu offensichtlich, als dass den Heilsversprechen der Wachstumsapologeten noch länger zu glauben wäre. Aber was ist die Alternative? Und wenn denn eine gefunden wäre, wie könnte man sie gegen die Interessen derer durchsetzen, die es sich schon jetzt in der besten aller Welten gemütlich gemacht haben? Saral Sarkar, ein seit vielen Jahren in Deutschland lebender indischer Germanist und Aktivist der Ökologie- und Friedensbewegung, hat sich an dieses komplexe Thema herangewagt.

Elmar Altvater | 14.01.2002
    Der Sozialismus unter sowjetischer Vorherrschaft ist gescheitert, daran besteht kein Zweifel, doch der Triumph des Kapitalismus unter us-amerikanischer Führung will sich auch nicht recht einstellen. Sind doch die Vergrößerung der weltweiten Armut, die hemmungslose Ausbeutung aller Ressourcen, die Umweltzerstörung zu offensichtlich, als dass den Heilsversprechen der Wachstumsapologeten noch länger zu glauben wäre. Aber was ist die Alternative? Und wenn denn eine gefunden wäre, wie könnte man sie gegen die Interessen derer durchsetzen, die es sich schon jetzt in der besten aller Welten gemütlich gemacht haben? Saral Sarkar, ein seit vielen Jahren in Deutschland lebender indischer Germanist und Aktivist der Ökologie- und Friedensbewegung, hat sich an dieses komplexe Thema herangewagt.

    Nicht mehr und nicht weniger als die wissenschaftliche Begründung einer öko-sozialistischen Ordnung wird vom in Deutschland lebenden indischen Autor Saral Sarkar versprochen. Der "wissenschaftliche Sozialismus des 21. Jahrhunderts" heiße Ökosozialismus. Wie aber muss man sich diesen vorstellen?

    Eine "öko-sozialistische Gesellschaft ... wäre keine Massengesellschaft. Die Arbeitsteilung wäre viel geringer als in den heutigen Industriegesellschaften. Sie wäre natürlich demokratisch, aber nicht zu komplex. Die Menge, Sorten und Marken von Produkten, die den Konsumenten zur Verfügung stünden, wären stark begrenzt..."

    Eine solche Gesellschaft würde nicht

    "ohne ehrliche und effiziente Arbeit funktionieren",

    und es könnten private Unternehmen zugelassen werden,

    "wenn diese auf der Basis der eigenen Arbeit einer Person, ihres Ehepartners und ihrer erwachsenen Kinder betrieben werden."

    Doch allzu viele Kinder können es nicht sein. Denn

    "eine öko-sozialistische Regierung (würde) einen Kurs der Stabilisierung und dann der Reduzierung der Bevölkerungszahl verfolgen." Schließlich "müssen wir Menschen unsere Anzahl reduzieren und uns langfristig von einem Teil des Territoriums, welches wir besetzt haben, zurückziehen."

    Entwicklung, so heißt es weiter,

    "sollte verworfen werden, weil sie ökologisch, ökonomisch, politisch und sozial unhaltbar und schädlich ist, im Westen ebenso wie anderswo..."

    Doch angesichts eines feststellbaren sog. Wertewandels und mit Hilfe religiöser Spiritualität ist nach Sarkars Ansicht die nachhaltige Gesellschaft machbar; und in ihr sei, so der Autor unter Bezug auf den englischen Ökonomen des 19. Jahrhunderts John Stuart Mill, Entfaltung der Persönlichkeit möglich. Mill schwebte eine Gesellschaft kontemplativer Menschen vor. Sarkar freilich verlangt mehr als Kontemplation, nämlich eine radikale Verhaltensänderung in der Arbeitswelt und beim Verbrauch und den radikalen Um- bzw. Rückbau der Gesellschaften auf Erden. Dies sei historische Notwendigkeit. Wie schon Rosa Luxemburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert Sarkar zu Beginn des 21. Jahrhunderts erneut die Alternative: "Sozialismus oder Barbarei". Es wäre allerdings zu fragen, was denn den von Sarkar skizzierten rigiden Ökosozialismus von einer höchst autoritären Barbarei unterscheide.

    Um zu so dramatischen und den Leser erschreckenden Schlussfolgerungen zu gelangen, muss die Diagnose der globalisierten Welt einen Blick in den Abgrund werfen lassen, auf den die Menschheit ohne radikales Umsteuern zutreibt.

    Der Autor beginnt seine Analyse mit zwei Kapiteln, in denen er nachzuweisen versucht, warum - wie er das nennt - "die 'sozialistische? Sowjetgesellschaft zusammenbrach"; "sozialistisch" setzt der Autor immer in Anführungszeichen, um damit den Lesern zu verdeutlichen, dass der Anführungszeichen-Sozialismus keine Alternative zum Kapitalismus war. Zwei Ursachenkomplexe seien für das Scheitern des real existierenden Sozialismus hauptverantwortlich: erstens ökologische Grenzen, die sich als Ressourcenknappheit, ökologische Degradation auftürmten und die Sarkar als den "wichtigsten Grund für das Scheitern" des Anführungszeichen-Sozialismus bezeichnet. Nun ist bekanntlich auch die kapitalistische Marktwirtschaft an Grenzen gestoßen, doch ist diese nicht zusammengebrochen. Daher kommt ein "zweitwichtigster Grund" ins Spiel: die sog. 'moralische Entartung? der Sowjetgesellschaft. Klassen- und Kastenwesen, Privilegien, Betrug und weit verbreitete Korruption hätten den "Idealismus der frühen Jahre" zerstört.

    Als die angebliche 'sozialistische Alternative? dann 1989 endgültig verschwunden sei, habe in aller Deutlichkeit hervortreten können, dass sich der im Kalten Krieg siegreiche Westen ebenfalls in einer Sackgasse befand. Denn die ökologischen Grenzen gelten, wie Sarkar ausführt, für die Industriegesellschaften schlechthin, ob kapitalistisch oder sozialistisch, mit und ohne Anführungszeichen. Denn diese Gesellschaften verbrauchen alle viel zu viele Ressourcen und belasten die globale Umwelt mit ihren Abfällen in einem die ökologische Tragfähigkeit des Planeten Erde bei weitem überschreitenden Maße.

    So weit werden viele Ökologen Sarkar vielleicht noch folgen können. Das Einverständnis hört aber dann auf, wenn er alternative Nutzungskonzepte für die Ressourcen untersucht. Die Verlagerung auf erneuerbare Energien wie Wind und Sonne an Stelle der fossilen und nuklearen Energieträger hält Sarkar für eine Illusion. Was an Material und Energie zur Produktion von Solaranlagen beispielweise nötig sei, übersteige die zu gewinnende Energie bei weitem und sei daher nicht rationell. Auch wenn diese These mit Fug und Recht bezweifelt werden kann: Darauf kommt es dem Autor nicht an. Denn Sarkar will zeigen, dass die "nachhaltige" öko-sozialistische Gesellschaft nicht mit technischen Mitteln hergestellt werden kann, sondern vor allem einige soziale Imperative zu erfüllen hat: Sie lauten: Nachhaltigkeit der Wirtschaft, Überwindung der akuten Armut, Arbeit für alle arbeitsfähigen Menschen, soziale Sicherheit für diejenigen, die zu alt, zu jung oder zu krank zum Arbeiten sind und schließlich soziale und politische Gleichheit; wirtschaftliche Ungleichheit sollte ? so mahnt der Autor - auf ein "erträgliches Maß" reduziert werden.

    Wie sind diese Ziele erreichbar? Ein Weg wird von Sarkar brüsk ausgeschlossen, nämlich die Ökologisierung des Kapitalismus. Die Steigerung ökologischer Effizienz sei Augenwischerei, zumal dann, wenn davon eine Versöhnung von Wachstum und ökologischer Nachhaltigkeit erwartet werde. Eine ökologische Steuerreform? Sie scheitere an den "Gesetzen der kapitalistischen und/ oder industriellen Produktionsweise", so der Autor. Ein "steady-state-Kapitalismus" mit Null-Wachstum breche sich an der Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Die häufig verwendete Formel, mit der Hälfte des Material- und Energieeinsatzes den doppelten Wohlstand zu erzeugen, verspreche viel zu wenig, sollte sie denn überhaupt zu verwirklichen sein.

    "Zwischen der Logik des Kapitalismus und jener einer nachhaltigen Wirtschaft besteht ein grundsätzlicher Widerspruch."

    Könnte der "dritte Weg" eines Marktsozialismus mit Wirtschaftsdemokratie zum rettenden Ufer führen? Nein, so der Autor konsequent,

    "der einzige Rahmen, der uns helfen kann, sollte Öko-Sozialismus genannt werden".

    Aber bitte keinen "alten Wein in grüne Flaschen", etwa einen Öko-Marxismus, der nach Sarkars Meinung sowieso nichts taugt. Ökosozialismus sei vielmehr etwas anderes, nämlich arbeitsintensive Produktion bei reduzierter Bevölkerung, Rückzug aus dem Weltmarkt zu Gunsten regionaler Kreisläufe und Absenkung des Niveaus von Produktion und Verbrauch.

    Wenn es kapitalistisch nicht geht und ein "dritter Weg" nicht gangbar ist - wie soll dann diese radikale Umkehr politisch in die Tat umgesetzt werden? Sarkar schreibt dazu nicht viel. Er hält sie freilich für möglich, denn ein Wertewandel zeichne sich bereits heute ab, der "neue Mensch" wachse heran. Seinen vagen Optimismus zieht er aus einem Zitat Peter von Oertzens, einem der linken Vordenker der SPD nach dem Krieg:

    "Die Fähigkeit der Menschen, egoistisch zu sein, macht Sozialismus notwendig; ihre Fähigkeit, großzügig zu sein, macht Sozialismus möglich."

    Das mag ein schöner Aphorismus sein, aber kann er das Versprechen auf radikale Umkehr halten? Man könnte Sarkars Versuch, eine ökosozialistische Welt-Gesellschaft zu denken, auch anders ausklingen lassen. Man könnte ihn nämlich als ziemlich brutalen Vorschlag zur Durchsetzung eines okzidentalen Willens der Weltbeherrschung interpretieren. Weniger Menschen und weniger Naturverbrauch, damit die Geschichte weiter geht. Es ist ein zentrales Charakteristikum der Moderne, dass sie die Erde und ihre Bewohner an das wünschbare oder als notwendig erkannte Maß anzupassen sucht. Sarkar stützt sich zwar auf Ausführungen Gandhis, befindet sich aber mit seinen Vorstellungen eher in der Tradition rationalistischer Ordnung der "besten aller möglichen Welten". Die wirklichen Welten, so wie sie historisch gewachsen sind, sind hingegen aus seiner Perspektive schlecht. Sollten sich die Gesellschaften nicht in den Sarkar?schen Öko-Sozialismus aufmachen, so lautet die Drohung, werde eine nach der anderen unausweichlich untergehen. Der Autor sieht viele Gesellschaften bereits zusammenbrechen und in Chaos und Barbarei versinken. Da bleibt nur noch zu hoffen, dass stimmt, was der Autor an anderer Stelle schreibt:

    "Vielleicht hat die Gattung Mensch doch zumindest das Potenzial, eine annehmbar gute Gesellschaft zu bilden... Die 'großen Seelen? sind Beweise für dieses Potenzial."

    Schade, dass dieses Potential in seiner Analyse nicht vorkommt. Das Buch hinterlässt eher ein Gefühl der Trostlosigkeit.

    Elmar Altvater besprach: "Die nachhaltige Gesellschaft. Eine kritische Analyse der Systemalternativen"von Saral Sarkar. Das Buch ist im Züricher Rotpunktverlag erschienen, hat 454 Seiten und kostet 20 Euro.