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Sasha Waltz und ihr Musiktheater-Debüt

Eine besondere Intensität bekommt die Aufführung am Schluss, wenn Dido vom geliebten Æneas Abschied nimmt. Sänger- und Tänzer-Darstellerin der Dido fächern da ihr nun bodenlanges Haar wie einen Schleier vors Gesicht. Eine weitere Tänzerin windet sich um Didos Bauch.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Dann, die Musik aber eher störend, hebt sich der gemalte Rückprospekt. Tänzer, Choristen und Solisten kommen in einer Reihe nach vorn, formieren sich zum Trauerzug. Die Darstellerinnen der Dido werden in den Orchestergraben gehoben. Kleine Feuer flackern auf.

    Mit einem Sprung ins gegensätzliche Element Wasser lässt Sasha Waltz ihr Musiktheater-Debüt mit Henry Purcells "Dido und Æneas" beginnen. Eine Idee aus ihrem bekanntesten Stück "Körper" variierend, springt einer der Tänzer in ein auf der Bühne aufgebocktes Aquarium.

    Weitere Tänzerinnen und Tänzer gesellen sich dazu. Sie tauchen nach der versunkenen Stadt Karthago und ihrer Geschichte um den Troja-Flüchtling Æneas beim Flirt mit der eigentlich liebesunwilligen Karthager-Königin Dido.
    Wieder aufgetaucht aus dem Wasser, gibt’s für die Tänzer neben Handtüchern und trockenen Kleidern ein Tässchen ausgesprochen dünnen Tee. Erst wenn das Wasser abgelaufen und das Aquarium von der Bühne geschoben ist, beginnt das eigentliche Spiel.

    Nun erst mischen sich auch Chor und Sänger unter die Tänzer, "maskieren" gleichsam einander. Die Mischung funktioniert meist erstaunlich gut. Überwiegend hat Waltz den Sängern aber eine Art Arm-, Hand- und Fingertheater verordnet, das ständig Bewegung suggeriert. Und sie hat die Bühnenpräsenz der Figuren stark ökonomisiert.

    Aufgeboten hat Waltz all ihr Tänzerstars. Am Pult waltet Attilo Cremonesi. Er hat die nur bruchstückhaft noch vorhandenen Stimmen von Purcells 1689 für ein Pensionat höherer Töchter in London entstandene semi opera überzeugend eingerichtet. Luzide musiziert er sie mit der Akademie für Alte Musik und dem Vocalconsort Berlin.
    Nachhaltig feierte ein stark verjüngtes Publikum in der Linden-Oper diese tänzerisch durchwirkte Produktion.

    Da war das Vergnügen bei der Auftaktpremiere zu den "Barocktagen" mit Claudio Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria weitaus bescheidener. Der Dirigent René Jacobs, der diese Cadenza genannte Reihe betreut, hat die Oper über den Homerschen Stoff von der verspäteten Heimkehr des Troja-Kriegers Odysseus, neu ediert.

    Auch von Monteverdis 1640 in Venedig uraufgeführtem Werk gibt es nur Stimmen, keine Partitur. Das klangliche Ergebnis, das Jacobs präsentiert, ist von außerordentlicher Farbigkeit. Und die Akademie für Alte Musik und Concerto vocale spielten es unter seiner Leitung mit Delikatesse.

    Jungregisseur Immo Karaman beschränkte sich in seiner Inszenierung auf einige flache Gags. So wird die wartende Penelope von einer Schar Halbwüchsiger umlagert und, um sie endlich heiratswillig zu stimmen, mit einem Berg Geschenktüten bombardiert. Die Götter fahren auf kleinen Säulen aus der Tiefe.

    Der nimmersatte Schmarotzer, die Narrenfigur Iro, bedient sich beim Fressalien-Nachschub aus dem in den Bauch einer Kuh eingebauten Tiefkühlfach. Und Sohn Tele-Mach hat ständig das dringende Bedürfnis, ein Selbst-Konterfei auf Polaroid auszuspucken.

    Immerhin der Sänger dieser Figur, der Counter Philippe Jaroussky, konnte mit seiner hellen, außerordentlich schmiegsamen Stimme besonders beeindrucken. Aber auch der Ulisse von Krešimir Špicer gibt sowohl als Sänger wie Darsteller eine sehr plastische Figur.

    So lebendig Jacobs aber zu musizieren weiß, sein szenischer Geschmack scheint doch nach wie vor entwicklungsbedürftig. Aber diese Eigenart teilt er mit vielen zumal in ihrem Fach profilierten Dirigenten. Die vier Stunden dieses Abends jedenfalls wurden etwas lang.