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Satire auf den Kunstbetrieb

Es geht um einen Künstler, einen verrückt gewordenen Kunstmarkt, um Tod und Euthanasie. In seinem Roman "Karte und Gebiet" persifliert der französische Schriftsteller Michel Houellebecq sich selbst. Die deutsche Übersetzung hat der Regisseur und Dramatiker Falk Richter am Düsseldorfer Schauspielhaus für die Bühne eingerichtet.

Von Karin Fischer | 17.10.2011
    Das ist keine Rezension, die Ihnen rundheraus die Lektüre des Originals anstatt der Kopie auf der Theaterbühne empfiehlt. Obwohl "Karte und Gebiet" ein toll zu lesendes Buch und für Menschen des Kulturbetriebs nachgerade ein Muss ist. Mit Falk Richters Inszenierung bekommen Sie immerhin in drei Stunden ein Exzerpt von Houellebecqs zeitdiagnostischen Thesen, wie er sie an der Figur des Künstlers Jed Martin spiegelt und in dessen Gesprächen mit einem Schriftsteller Michel Houellebecq, der auch im Roman vorkommt. Von der Konjunktur des Regionalen (die Jed mit seinen Fotos von Michelin-Karten sowohl verursacht als bedient) über den hochtourig laufenden Kunstbetrieb und der allgemeinen kulturellen Orientierungslosigkeit bis hin zur Diskussion um die Sterbehilfe kommt alles Wichtige vor.

    Die Aufführung sieht zu Beginn aus wie ein bebildertes Hörbuch, denn Christoph Luser alias Jed Martin tritt als Erzähler auf, der einen Roman erzählt. Die Erzähler-Rollen wechseln, das Stück kommt deshalb mit wenigen fünf Schauspielern aus, darunter der großartige Olaf Johannessen, der den Kommissar spielt und Michel Houellebecq als Säufer mit glasklarem Verstand gibt. Gesicht und Stimme des dänischen Schauspielers stechen allein durch den Reichtum an Nuancen hervor. Was die Bebilderung betrifft, öffnen Falk Richter und der Video-Künstler Chris Kondek den Zauberkasten der Video-Spielerei und lassen die erzählte Welt auf Tischen, die aufgestellt als Leinwände dienen, und auf einer Gazewand hinten entstehen. Damit werden allerdings noch keine Szenen aus dem Stück, das so in zwei formale Prinzipien auseinanderfällt.

    Ein anderer Schwachpunkt ist die Figur des Künstlers selbst. Falk Richter lässt Christoph Luser fast die ganze Zeit über schüchtern und linkisch aussehen, bei emotionaler Überforderung fällt er einfach auch mal um. Die Romanfigur ist auch ein zu Emotionen unfähiger Zeitgenosse, den der Erfolg überrollt wie ein Tsunami, aber wenigstens traut man Jed Martin im Buch diesen Erfolg auch zu. Faszinierend im Roman ist ja neben der fast menschenfreundlich zu nennenden Grundstimmung, dass Houellebecq seine Figur so auflädt: als extreme Künstlerpersönlichkeit, leicht manisch und extrem introvertiert, als charakterlich unbedeutendes, verirrtes Individuum und als Visionär, der vier Mal dem Kunstbetrieb ästhetisch die Richtung weist. Demgegenüber wirkt die Erzählung auf der Bühne doch sehr flach. Nach der Pause rutscht die Inszenierung dann noch in den Slapstick ab, und warum Jed ausgerechnet gegenüber der Sterbehilfe-Ärztin, in deren Hände sich sein Vater begeben hat, gewalttätig werden muss, erschließt sich überhaupt nicht. Immerhin lernt der Künstler am Ende, "Ich zu sagen", ein interessanter Perspektivwechsel: "Ich will mein eigenes Gebiet. Ich will die Welt darstellen. Ich werde die Perspektive der Pflanzen einnehmen. Ich werde nichts mehr verkaufen."

    Der Künstler hat so dem potenziellen Rückfall in die Zeit der Hofmalerei (reiche Potentaten und Industrielle wollten von ihm in Öl gemalt werden) widerstanden und schenkt der Welt stattdessen visionäre Film-Botschaften über den Verfall der menschlichen Gattung, indem er in seinem riesigen Gartenreich Playmobilfiguren verwittern lässt.

    Wenn Falk Richters Inszenierung als Satire auf den Kunstbetrieb gedacht war, ist sie auf halbem Weg stecken geblieben, auch wenn die Gesangseinlage von Moritz Führmann und Karin Pfammatter zur Vernissage die Turbolader der Branche durch den Kakao zieht:

    "Da draußen stehen 3000 Leute, die alle kaufen wollen, lasst sie rein…. Musik!"

    Führmann ist außerdem ein Frédéric Beigbeder auf Speed und ein vielversprechendes neues Gesicht, auf das man sich in Düsseldorf freuen kann. Halten wir bis dahin fest: Das Schauspielhaus hat noch Anlaufschwierigkeiten, nicht nur im Großen Haus, wo bis Anfang November noch umgebaut wird.