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Satire
"Schweißnagel war super!"

Olympia in Sotschi, Fußball-WM in Brasilien und jede Menge andere Höhepunkte prägten das vergangene Sportjahr. Wie geht es 2015 weiter? Jürgen Roth hat sich so seine Gedanken gemacht.

Von Jürgen Roth |
    Andre Schürrle und Thomas Müller jubeln gemeinsam.
    Andre Schürrle (l.) und Thomas Müller jubeln (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Nachdem die Sache mit Argentinien erledigt worden war, gesellte sich Thomas Müller zu seinem Kollegen Bastian Schweinsteiger, den in der Mixed Zone gerade eine kolumbianische Reporterin am Wickel hatte, und pfefferte in deren Mikrophon: "Schweißnagel war super, ne?!"
    Das war der mit einem jedem Märtyrer gut zu Gesicht stehenden blutigen Mal geschmückte Schweißnagel schweiß Gott gewesen. Und da Thomas Müller von Augustinus auf Grund des Gewinns des WM-Titels nun seiner Begeisterung zu Recht restlos die Zügel schießen ließ, gab er der verdutzten Journalistin, die in Erfahrung zu bringen gedacht hatte, ob er sich ärgere, weil er nicht Turniertorschützenkönig geworden sei, Bescheid: " Weltmeister samma! Den Pott hamma! Den scheiß Gold'na Schuah kannst dir hinter d' Ohren schmier'n!" Und den goldnen Topf obendrein.
    Da war das Sportjahr 2014, obwohl erst zur Hälfte unter dem Oculo Dei heruntergerockt, fürwahr bereits im Sack. Nicht nur hatte die deutsche Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle, die ausgerechnet Ernährungswissenschaften studiert, in Sotschi während der Olympischen Winterspiele sturztränenreich beichten müssen, sie sei irgendwie unwissentlich von einem Ernährungsberater mit Dopingriegeln vollgestopft worden. Nein, heilsgeschichtlich durchgewunken war da auch schon all das gnadenreiche Gewummel und Gewammel in unseren gebenedeiten Fußballfernsehanstalten; etwa dieser Stopfelsatz von Claudia Neumann in einem ZDF-Nachbericht: "Wayne Rooney auf dem Weg zur nationalen Befreiung!" Oder die Messe, die in der Vorberichterstattung desselben Senders gelesen wurde, über die vermutlich aus dem Bundespresseamt herübergeschneite sprachtollhäuslerische "Muttivation" und über die Mutation von Menschen in Nationalklumpen: "Wer jetzt nicht Deutschland die Daumen drückt, ist selber schuld." Oder Reiner Calmunds gesegnet bescheuerte Anmerkung in der Plodderrunde Markus Lanz zum niederländischen Coach Van Gaal: Dem sei "mal 'n Käserad um den Kopf gelaufen", und "er hat da, wo andere Männer zwei Eier haben, hat der 'nen ganzen Hühnerstall". Wat heb' wie lacht, wir glücklichen Gockel!
    O ja: So möge es 2015 bis zum Ende aller Tage und bis zum Ende des Fußballs sowie des Fernsehens sportjournalistisch weiter vor sich hin wühlen und würgen.
    Allerdings sehen wir uns gezwungen – man steinige uns nicht sogleich –, im Hinblick auf das abermals mit allerlei Skifahrkrimskrams, Skispringkrömskrums und mit diversen Eisraschgleitumläufen verzierte Sportjahr 2015 mahnend die Stimme zu senken; und zwar mit Marcel Reif: "Manchmal ist die Realität einfach stärker und Fakt." Oder mit Matthias Sammer, der im August vergangenen Jahres dem Bayerischen Rundfunk die Sportsure spendierte: "Ich glaube, dass die Realität immer ein Mittelpunkt des Lebens sein sollte."
    Was, a), hieße, zur Kenntnis zu nehmen: dass die FIFA, die laut Jaroslav Blatter "bedeutendste Entwicklungsagentur der Gegenwart", in Brasilien, wie der untadelige ZDF-Mann Thomas Wark auf der Frankfurter Buchmesse coram publico erzählte, den übertragenden Bilderinstituten dieses Planeten schlicht vorschrieb: "Keine Aufnahmen von Demonstrationen, von Polizeikohorten und von Panzern rund um die Stadien!"
    Was, b), hieße, die von der FAZ im Zuge der WM aufs schärfste gegeißelte "Verrohung des Spiels" als Ausdruck der ubiquitären Weltversaubeutelung zu verstehen.
    Und was, c), schließlich hieße, mit Peter Körte zu konstatieren, dass im Fußball irreversibel "nichts mehr stimmt" und dass der moderne "Strangulationsfußball" nur mehr den blamablen und "brutalen (Selbst-)
    Optimierungsdruck" glorifiziert. Zu unser aller Pläsier und Frommen freilich.
    Indem die "Massenkultur", gab Theodor W. Adorno zu bedenken, "das ganze Leben als ein System offener oder verdeckter sportlicher Wettkämpfe abbildet, inthronisiert sie den Sport als Leben selber." Kurz und womöglich ungut: "Anstelle der Autorität der Bibel tritt die des Sportplatzes."
    Und das ist indes halt prima. Was uns 2015 ff. erwartet, hat der DFB-Kirchenvater Oliver Bierhoff vor ein paar Tagen in einem bibellangen Interview preisgegeben – nämlich nicht allein ein neuerlicher Jahrhundertsieg über Gibraltar (unser Tip: ein schwer erkämpftes 2:1), sondern die vollendete Idiotisierung im Kainszeichen des Sport- und Fußballgefasels.
    "Arbeiten. Entspannen. Miteinander sein" – das sei "die moderne Arbeitswelt", meinte der ehemalige Kirchenchorknabe, was sich der Ali und die Luise vom ALDI gerne vorbeten lassen. Es sei dies zudem das Erfolgsrezept der Nationalmannschaft, fügte er hinzu, und der schamlose Imagestumpffilm Die Mannschaft, der einen Stall voller dressierter, der Diktatur der Ökonomisierung und der hehren Sponsoren dienender Honigkuchenpferde zeigt, sei ein Dokument der "Liebe" der Fans. Und, um nicht mißverstanden zu werden: "der Zuneigung und Liebe" der Fans.
    Es ist schon wahr: Die Presse als "vierte Gewalt" ward vom DFB-Team abgelöst, Herr Bierhoff bekräftigt es unter dem Hinweis auf eine Verbandsstudie, in der steht: "Die Nationalelf ist die vierte Macht im Staate."
    Kein Ulk. Die vierte Macht im Staate Uckermark. Und die verkörpere, in Bierhoffs eigenen weingetränkten Wahnwitzworten, "die Bedeutung der 'soft skills', der weichen Faktoren wie Kreativität, Empathie, Demut".
    Jetzt mal ungeschützt gefragt: Will uns dieser Schnösel verarschen? Oder will er bloß einen Jokus machen? Jedenfalls: 2015 wird Marco Reus, dieser Hard-body-Ritter aus dem laut Anno Hecker "Eliteinternat der Leistungsgesellschaft", eine Taxirechnung von round about 500.000 Ocken steuerlich absetzen, zum Nutzen des Gemeinwohls. Der Blatter Egon wird am 29. Mai auf Überlebenszeit wiedergewählt und vierundneunzig unerbittliche Korruptionsermittlerlachsäcke mit der Auswertung eines FIFA-internen Prüfungsberichts beauftragen, der auf den Papierstreifen eines chinesischen Glücksscherzkekses paßt. Anschließend verleiht man diesem Herold, der mal verkündete: "Durch den Fußball werden alle bessere Menschen", den Friedens- und Finanznobelpreis 2015.
    Franz Beckenbauer wird den Bayerischen Verdienstorden, den der FC-Bayern-Jugend-Ethiklehrer Uli Hoeneß aus der Festungshaft zurückspedieren ließ, weil er sich "ungerecht behandelt gefühlt hatte", in Zürich zu Blattgold umschmelzen lassen. Und hernach in Peking im "Vogelnest", also im Olympiastadion, während der Leichtathletikweltmeisterschaft dem, schmachtet die Nordwest-Zeitung, "Diskus-Giganten" Robert Harting einen aus schierem Silberhaar geflochtenen Siegerkranz anheften.
    Und damit "Deutschland nicht zu einer reinen Fußballnation werde", wie die Rheinpfalz befürchtet, holt sich die deutsche Herrenhandkegelnationalmannschaft in diesem schönen Jänner im Bobmekka Katar die WWW-Trophäe, die Wild-Card-Weltmeisterschafts-Whopper-Tupperdose mit Willkürband am seidenen Konspirationsklopskreuz.
    So seiet mithin frohgemut, und solltet ihr verzagen, so leset das gar erbauende Buch Mein Dietmar-Jakobsweg – 875 km für den HSV, welches im April Anno Domini 2015 der Sakralsportverlag Die Werkstatt emittiert.
    Allein, wir werden, Thomas Müller zu Ehren, schicklich grunzen: "Des interessiert mi' ois ned, der Scheißdreck!"
    Aloha!