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Satire zum WM-Ende
Der Fußball ist ein Googlehupf

Die Fußball-Weltmeisterschaft war auch eine Meisterschaft der Medien und der Emotionen. Und am Ende profitiert zwischen Wort- und Bildgeschmeiden, Männergeruch und Motivation einer ganz besonders.

Von Jürgen Roth | 13.07.2014
    Sichtlich gelangweilt verfolgen Fußballfans am Freitag (18.06.2010) auf der Fanmeile vor dem Olympiastadion in Berlin die Niederlage der deutschen Elf bei derFußball-WM in Südafrika.
    Gelangweilte Fans, müde Fans - Fußball muss wieder mehr Fahrt aufnehmen. (picture alliance / dpa)
    Machen wir's heute mal lang, Unfug: kurz: Uns hat die 85. interstellare Turnweltmeisterschaft in Brasilien sehr gut gefallen.
    Sehr gefallen hat uns, dass Sepp Blatter, dass der dem Totaljournalisten Hajo Schumacher zufolge „Google des Fußballs", wos ois gibt, oioioi, – also: dass der heilige Turnvater Blatter Joseph sein Schweigegelübde, seine Omertà, einhielt und bei der Eröffnung kein Wort sprach – und dafür, ward im Verlauf des Turniers bekannt, seinen „schwindeligen FIFA-Flöten", wie es aus dem ARD-Spaßbengel Matthias Opdenhövel herausschnodderte, eine Verdoppelung der Gehälter spendierte, zuzüglich siebenhundert Euro Taschengeld für jeden Tag, den sie an der Copacabana und sonstwo schufteten.
    Denn über die Befolgung der „göttlichen Paragraphenordnung" der FIFA zu wachen, etwa das Verbot von Regenschirmen und Bannern in Stadien und von mitgebrachten Getränken beim Rudelglotzen durchzuprügeln, das war kein Pappenstiel, nee, nee, das war titanische Arbeit im Dienste des Welt-, des Google-Fußballs, die wir uns wahrlich loben wollen.
    Sehr erfreut hat uns sodann, dass vom ersten Tag des Turniers an auf den Rängen der wunderschönen, an grazile Googlehupfburgen erinnernden Stadien in pittoresken städtischen Supersurroundings zu neunzig Prozent reiche und einwandfrei hellhäutige Brasilianer zu sehen waren. Wie sie schließlich, traten die Gastgeber auf, während der Hymne, auf die wir mit Hilfe einer saustarken FIFA-Countdown-Uhr hinfieberten, zu flennen und zu greinen begannen, als seien sie allesamt erwachsen und weise, auch dies: labte unser Gemüt aufs lieblichste. Ärgerlich allein (und das bloß leise und in Klammern gesagt), dass Blatters Gaudiburschen an den Fernsehregieknöpfen die bisweilen halbleeren Tribünen nicht wegzupixeln vermochten.
    Dieses kleine Missgeschick allerdings ließ zum Glück schnell das – wir zitieren die FAZ – „Festival der Anbiederung und Schleimerei" vergessen, das unsere öffentlich-rechtlichen TV-Vorturner praktisch round about the Googlehupf veranstalteten. Ja, „bei dieser WM haben sie neues Niveau erreicht", ein brand- und blitz- und buntneues Niveau: mit „Vergötterungsclips" über den Dauerlaufjogibär, mit rattenscharfen „Analysetools", „Analysekameras" und „Livetickern", mit, hau uns weg!, „tollen Sportschau-WM-Apps" („App", by the way, erfuhren wir, komme von „Appfeiern", haha), mit, leg dich nieder!, Livestreams vom Aufwärmen und mit einer echt crazy ZDF-Mediathek, in der neben einer unüberschaubaren Zahl von phantastischen Hintergrundberichten aus edlen Folkloreschnipseln und Postkartenimpressionen auch ein Best of Busankunft hinterlegt wurde. Wir unterstreichen mit einem schwarzrotgoldenen Edding, was Jimmy Hartwig im vorzüglichen ZDF-Vormittagsmagazin "Volle Kanne" fallen ließ: „Ich finde das alles hervorragend."
    Nein, der meist allzu unbestechliche, halt: der nassforsche ARD-Experte Mehmet Scholl hätte sich seine Bemerkung „Ich bin inoffizieller Mitarbeiter des DFB, und ich fühl' mich in der Position sehr wohl" verdammt noch mal genauso verkneifen können wie Oliver Welke seinen Hinweis: „Uns wurde weltweit exklusives DFB-Material zugespielt [...], klassisches PR-Material."
    Denn das glänzende, inbrünstig polierte Wort- und Bildgeschmeide aus der DFB-Googlehupfpressealchemistenküche präsentierte uns einerseits der hochfidele Gerhard Delling, der vermeldete, das Wetter sei „lecker warm" und das deutsche Team eine „große Kolchose der Superstars", andererseits die ob ihrer kuscheligen Nähe zu den Cracks glückselig dauerlächelnde Zuckermamsell Katrin Müller-Hohenstein. Als sie zum Beispiel unmittelbar im Anschluß an Nachrichten über ein paar hundert Tote irgendwo draußen in der Welt den „tiefentspannten" Bundestrainer umgarnte und erzählte, im Mannschaftsquartier würden gerade Kaffee und Kuchen serviert, da jubelten wir abermals so ausgelassen wie herzergriffen.
    „Nicht eine kritische Nachfrage, warum eigentlich die Kanzlerin jedesmal die Mannschaft in der Kabine heimsucht, so daß die Hälfte der Spieler gerade noch so die Hose hochbekommt! So dreist war ja noch nicht mal Helmut Kohl in seinen Blütezeiten", merkte Philipp Köster vom Magazin "11 Freunde" an. Quatsch! Gut so!
    Denn Frau Merkel sei voller „Menschlichkeit" und „ganz lieb", hatte der Honigkuchengooglegockel Jürgen Klinsmann der "FAZ" anvertraut, und folgerichtig war es nichts weniger als angemessen und sogar erhebend, daß der Lachkönig Sven Lorig im prachtvollen "ARD-Morgenmagazin" angesichts eines fabelhaften Propagandaphotos begeistert annotierte, die Kanzlerin sei „da, wo der Männergeruch intensiv ist", und in der ZDF-Vorberichterstattung über die sprachallerschönste „Muttivation" und die Mutation von Menschen in knuddelige Nationalklumpen der Satz fiel: „Wer jetzt nicht Deutschland die Daumen drückt, ist selber schuld."
    Was? Wie bitte? Die vergangenen vier Wochen seien mal wieder, so das Schwäbische Tagblatt, „eine Hochzeit für dumpfen Nationalismus" gewesen? Fußball, mosert der englische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton, sei „das Crack des Volks"? „Dieses Turnier", qualmt es aus der FAZ heraus, „werden Generationen mit dem Gefühl verbinden, daß Zynismus und Brutalität einen Himmelsstürmer zerbrochen haben", den laut Dilma Rousseff „großen Krieger" Neymar?
    In der Halbzeitpause der Begegnung Brasilien – Chile soll ein Offizieller der Seleção den chilenischen Stürmer Mauricio Pinilla verdroschen haben? Die FIFA ist, tobte Uruguays Staatspräsident José Mujica, „ein Haufen alter Hurensöhne"? Weil sie Luis Suárez, der den Italiener Giorgio Chiellini in des Papstes „Geiste der Brüderlichkeit" zart an der Schulter geknabbert hatte, eine Guantánamo-artige Strafe aufbrummte? Und so eine WM sei ohnehin nichts weiter als Ausdruck „totaler Entropie" und „heiterer Entpolitisierung", wie Georg Diez auf Spiegel Online schnaubte?
    Ach was! Hört doch auf! Erquickt hat sie uns, diese zauberhafte Handball-WM rund um Zuckerhut und Falafels oder auch Favelas, ist doch egal, Mann! Hurra! Dank euch allen! Und Dank, o Herr, zumal dir, Sepp Google!


    Hinweis: Die Onlineversion dieses Stückes weicht von der Sendeversion ab. Online stellen wir Ihnen hier die ungekürzte Fassung zu Verfügung.