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"Sauber prüfen"

Nach der Einigung bei den Briefzustellern schließt Saarlands Ministerpräsident Peter Müller eine Ausweitung von Mindestlöhnen auf andere Branchen nicht aus. Lohnuntergrenzen könnten bei ortsgebundenen Tätigkeiten ein sinnvolles Mittel sein, so lange Arbeitsplätze nicht bedroht würden, sagte der CDU-Politiker. Voraussetzung sei jedoch, dass mindestens die Hälfte der Beschäftigten in Tarifverträgen erfasst sei und der Wettbewerb nicht ausgeschaltet werde.

Moderation: Peter Müller |
    Jürgen Zurheide: Die CDU trifft sich zu ihrem Bundesparteitag in Hannover. Und dieses Treffen findet statt in einem Umfeld von positiven wirtschaftlichen Daten, Wachstum zufriedenstellend, Arbeitslosigkeit geht zurück. Eigentlich könnte man ja zufrieden sein. Aber wir alle wissen, die wirtschaftlichen Aussichten sind nicht mehr ganz so gut wie die Lage und das politische Klima, na, was soll man denn dazu sagen. Frostig ist vielleicht das eine, innerhalb der Großen Koalition ist die Lage nicht ganz so positiv, die Flitterwochen, sie scheinen vorbei zu sein.

    Über all das wollen wir reden, und ich begrüße am Telefon den saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller. Guten Morgen, Herr Müller!

    Peter Müller: Guten Morgen!

    Zurheide: Herr Müller, zunächst einmal: BDI-Chef Jürgen Thumann hat jetzt Frau Merkel aufgefordert, doch etwas nachhaltiger zu wirtschaften, als sie das bisher getan hat. Er befürchtet eine Wachstumsdelle. Hat der Mann Recht, oder übertreibt er da?

    Müller: Also ich glaube, solche Äußerungen aus der Wirtschaft muss man mit Gelassenheit sehen, die sind interessengesteuert. Und vor dem Hintergrund glaube ich, dass das etwas ist, was nicht zu Aufregung Anlass geben sollte. Ich finde, die Wirtschaft wäre gut beraten, sich zunächst einmal an der eigenen Nase zu packen, auch über eigenes Verhalten nachzudenken, insbesondere darüber nachzudenken, ob die zunehmende Skepsis gegenüber der Sozialen Marktwirtschaft nicht auch damit zu tun hat, dass die Vorbildfunktion der wirtschaftlichen Eliten unzureichend wahrgenommen wird. Ich glaube, dass die Politik insgesamt auf einem richtigen Weg ist.

    Zurheide: Wenn Sie gerade von der Vorbildfunktion der Wirtschaft sprechen, was würden Sie sich denn von den Wirtschaftsführern wünschen? Zum Beispiel bei den Gehältern etwas mehr Zurückhaltung?

    Müller: Ich denke, dass es nicht angemessen ist, wenn auf der einen Seite Belegschaften reduziert werden, wenn Vergünstigungen, die in der Vergangenheit gewährt worden sind, gestrichen werden, wenn Opfer von den Belegschaften gefordert werden und dann bisweilen gleichzeitig Gehälter um zweistellige Prozentsätze erhöht werden, Personen, die Mitte 40 sind, als Manager ausscheiden und lebenslange Renten in einer Größenordnung von 400.000 Euro erhalten oder millionenschwere Abfindungen gezahlt werden. Das, was man von seinen eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fordert, muss man ein Stück weit vorleben. Das ist oft genug nicht geschehen und sicherlich ein Grund, warum viele an der sozialen Marktwirtschaft zweifeln.

    Zurheide: Jetzt gibt es die Frage, wohin entwickelt sich die CDU? Auf der einen Seite gibt es solche Aussagen, wie Sie das gerade machen. Da spricht dann der eine oder andere vielleicht von einer schleichenden Sozialdemokratisierung der Partei. Auf der anderen Seite gibt es einen Leitantrag jetzt zum Parteitag, da wird noch mal erinnert an Leipzig, auch an ein einfaches Steuersystem. Da erinnern wir uns alle an Herrn Kirchhof. Ist das noch aktuell, diese 25 Prozent zum Beispiel, die Herr Kirchhof mal vorgeschlagen hatte?

    Müller: Also die Flatrate, wie sie von Paul Kirchhof vertreten worden ist und vertreten wird, war ja nie Position der CDU. Wir haben immer einen progressiven Steuertarif präferiert, weil er einfach dem Prinzip "Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache Schultern" entspricht. Dass wir Steuervereinfachungen brauchen, ich glaube, das lässt sich überhaupt nicht bezweifeln. Das ist ein Punkt, an dem die Politik insgesamt bisher versagt hat. Deshalb steht diese Aufgabe weiter auf der Agenda. Ansonsten ist die CDU die Partei der Mitte, und das wird sie auch auf diesem Parteitag deutlich machen.

    Zurheide: Aber noch mal: 25 Prozent, so was ist mit Ihnen - und Sie sagen auch mit einer Mehrheit in der CDU - nicht zu machen, denn es gab ja doch den einen oder anderen im Wirtschaftsflügel der Partei, die da Beifall gezollt haben?

    Müller: Wir haben ein Stufenmodell vorgeschlagen, ich glaube auch nach wie vor, dass das richtig ist, aber ein einheitlicher Steuersatz für alle, das ist nicht die Position in der Union.

    Zurheide: Wie ist die Position zum Thema Mindestlöhne? Da hört man unterschiedliche Dinge. Bei der Post ist es vereinbart, gibt es nun weitere Branchen? Und plädieren Sie dafür, auch in weiteren Branchen nach dem Muster der Post vorzugehen?

    Müller: Mindestlöhne machen ja dann Sinn, wenn ihre Ausgestaltung nicht dazu führt, dass Arbeitsplätze bedroht werden. Das Instrument der Mindestlöhne kann einen Beitrag leisten, angemessene Einkommen zu erzielen. Es ist aber kontraproduktiv, wenn es dazu führt, dass bestehende Arbeitsplätze infrage gestellt werden. Und deshalb kommen aus meiner Sicht Mindestlöhne dort in Betracht, wo es ortsgebundene Tätigkeiten geht. Das ist bei Briefzustellungen der Fall. Und sie kommen natürlich nur in Betracht, so haben wir es vereinbart, wenn mindestens die Hälfte der Beschäftigten durch einen solchen Mindestlohn-Tarifvertrag erfasst werden und wenn diese Instrumente nicht eingesetzt werden, um Wettbewerb auszuschalten.

    Zurheide: Jetzt gibt es ja Forderungen oder Wünsche, je nachdem, wie man das nennen möchte, zum Beispiel im Sicherheitsgewerbe etwas Ähnliches zu machen wie bei der Post. Plädieren Sie dafür, das zu tun?

    Müller: Ich glaube, dass man in den einzelnen Branchen fragen muss, sind die Voraussetzungen gegeben? Und im Bewachungsgewerbe ist es sicher so, dass es sich um ortsgebundene Tätigkeit handelt. Deshalb muss man das sauber prüfen, ob die übrigen Voraussetzungen gegeben sind. Grundsätzlich ausschließen will ich auch dort einen Mindestlohn [Anm. der Redaktion: Telefonverbindung gestört] nicht.

    Zurheide: Ein anderer Punkt ist die Leiharbeit: An vielen Punkten beobachtet man, oder andersrum gefragt, beobachten Sie auch, dass Leiharbeit zum Teil gezielt eingesetzt wird, um Löhne zu drücken? Das ist ja der Vorhalt der Gewerkschaften. Haben die Recht an dem Punkt oder nicht aus Ihrer Sicht?

    Müller: Also Leiharbeit ist ein wichtiges Instrument, das dazu beigetragen hat, dass die Beschäftigungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland so positiv ist, wie sie ist. Ohne Zeitarbeit, ohne Leiharbeit hätten wir dieses Ziel nicht erreicht. Deshalb geht es nicht darum, das Instrument grundsätzlich infrage zu stellen, und das nicht zugelassen werden und deshalb möglichst bekämpft werden sollte. Das sind Missbrauchstatbestände, wie Sie sie gerade geschildert haben. Wenn tatsächlich bisher fest angestellte Belegschaften in Leiharbeitsverhältnisse umgewandelt werden zu einem erheblichen Teil, nur um die Löhne zu drücken, dann ist das ein hoch problematischer Vorgang. Und deshalb wird man sich dort über Missbrauchsverhinderung und Missbrauchssanktionierung unterhalten müssen, etwa im Zusammenhang mit der Debatte über das Mindestarbeitsbedingungengesetz.

    Zurheide: Also wenn es zum Beispiel so ist, dass im Einzelhandel inzwischen deutlich mehr Arbeitskräfte nach solchen Bedingungen, nicht der Leiharbeit, aber mindestens der befristeten Beschäftigung arbeiten und die Zuwächse ausschließlich da sind, würden Sie das denn auch schon in die Kategorie Missbrauch einordnen?

    Müller: Ob das tatsächlich der Befund im Einzelhandel ist, wage ich zu bezweifeln. Wenn es der Befund wäre, müsste man fragen, was sind die Ursachen, wie ist es dazu gekommen, und sicherlich dann auch darüber nachdenken, ob es hier Handlungsnotwendigkeiten nicht nur für die Tarifvertragsparteien, sondern möglicherweise auch für den Gesetzgeber gibt. Der Punkt, an dem das zu bearbeiten wäre, ist nach meinem Dafürhalten das Mindestarbeitsbedingungengesetz, und darüber will die Koalition auch noch einmal reden.

    Zurheide: Ein anderer Themenschwerpunkt auf diesem CDU-Parteitag wird ja die Diskussion über die Leitkultur sein. Der Generalsekretär Ronald Pofalla hat das noch mal gesagt, wir als CDU bekennen uns klar zur Leitkultur in Deutschland. Was verstehen Sie unter Leitkultur?

    Müller: Der Begriff ist sicherlich ein ausfüllungsbedürftiger Begriff. Das geschieht ja auch im Grundsatzprogrammentwurf. Der Begriff wird dort ausgefüllt, und wenn Leitkultur die verfassungsmäßige Ordnung, die Orientierung an den Menschenrechten und der Menschenwürde, das Bekenntnis zu Verfassungsstaat, zu Sozialstaat, zu Rechtsstaat und Demokratie sowie die Traditionen, die unser Zusammenleben prägen, das alles unter diesem Begriff subsummiert wird, dann ist es ein richtiger Begriff, und dann ist es sicherlich auch der Begriff, auf dessen Grundlage unser Zusammenleben organisiert wird und zu dem jeder sich bekennen muss, der Teil dieser Gesellschaft auf Dauer sein will.

    Zurheide: Herr Pofalla hat auch von Patriotismus und Vaterlandsliebe gesprochen, das haben Sie gerade nicht genannt. War das bewusst?

    Müller: Nein, das war nicht bewusst, das ist ein Stück selbstverständlich. Kein Land wird ohne einen gesunden Patriotismus in eine gute Zukunft gehen können. Das Bekenntnis zum eigenen Land, das Bekenntnis zur Heimat, auch das ist eine Grundlage des Zusammenlebens. Ich zähle zu denjenigen, die sich freuen, wenn bei Sportereignissen beispielsweise die Nationalhymne gespielt wird und auch unsere Fahne gezeigt wird.

    Zurheide: Herr Müller, in der aktuellen "Zeit" ist ein Zitat von Ihnen, das mich hat aufhorchen lassen. Da wird Ihnen zugeschrieben der Satz, der Saarländer müssen sich entscheiden, ob sie die neue DDR des Westens werden wollen. Erklären Sie uns das, wenn Sie das gesagt haben, was ich bei den Kollegen der "Zeit" immer unterstelle, dass Sie das gesagt haben, will da jemand bei Ihnen eine Mauer bauen?

    Müller: Bei mir will niemand eine Mauer bauen, aber im Saarland wird im Jahr 2009 bei der Landtagswahl es sicherlich zu einer Auseinandersetzung kommen zwischen der Union, die im Moment mit absoluter Mehrheit regiert, und einem Bündnis der linken Parteien, der Grünen, der SPD und der Linkspartei unter der Führung Lafontaines. Lafontaine ist jemand, der, wenn Sie sich seine Historie anschauen, gegenüber den früheren Machthabern in der DDR immer geliebedienert hat. Er ist jemand, der jetzt in Kuba war und die dortigen Verhältnisse positiv beschrieben hat. Er steht für eine solche politische Tradition. Das ist die politische Tradition der DDR. Und deshalb ist das die Frage, die bei der Landtagswahl auf die Saarländerinnen und Saarländer zukommt.: Wollen Sie den neuen, real existierenden Sozialismus, das habe ich mit dem Terminus DDR gemeint, oder wollen Sie dieses nicht? Und ich bin mir sicher, wie sie die Frage beantworten werden.

    Zurheide: Dankeschön. Das war Peter Müller, der Ministerpräsident des Saarlandes hier im Deutschlandfunk. Danke für dieses Gespräch.

    Müller: Bitteschön.