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Saubere Kohleförderung
"Die Situation ist eigentlich schlimmer geworden"

Nicht nur wegen des Klimas, auch wegen Menschenrechtsverletzungen in Entwicklungsländern ist die Kohleindustrie in der Kritik. Die von RWE und anderen Branchengrößen gegründete Initiative Better Coal habe den Menschen vor Ort dabei noch nichts gebracht, bemängelt Katrin Ganswindt von der Nichtregierungsorganisation Urgewald im DLF.

Katrin Ganswindt im Gespräch mit Jule Reimer | 23.04.2015
    Jule Reimer: RWE-Chef Peter Terium hat vor gut einer dreiviertel Stunde auf der Hauptversammlung der RWE-Aktionäre scharf die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel kritisiert, eine Klimaschutzabgabe für alte Kohlekraftwerke einzuführen. Diese würde das sofortige Aus für einen Großteil der Braunkohletagebaue und Braunkohlekraftwerke bedeuten und viele Arbeitsplätze hier in Deutschland gefährden.
    Entwicklungspolitische Organisationen sehen nicht nur die Verfeuerung von Kohle aus Klimagründen sehr kritisch, sie beklagen auch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen beim Kohleabbau in Entwicklungsländern. Am Telefon in Essen vor der Grugahalle, wo die Hauptversammlung stattfindet, bin ich jetzt mit Katrin Ganswindt von der Nichtregierungsorganisation Urgewald verbunden. RWE bezieht Kohle aus dem Ausland, hat auf frühere Kritik reagiert und mit anderen Kohlekonzernen und Kraftwerksbetreibern die Initiative Better Coal gegründet, um die Standards in der Lieferkette zu verbessern. Dennoch kritisieren Sie das Unternehmen weiter?
    Katrin Ganswindt: Ja.
    "Better Coal ist eine reine Industrieinitiative"
    Reimer: Wie lautet Ihre Kritik?
    Ganswindt: Die Grundsatzkritik ist zum einen, dass es eine reine Industrieinitiative ist. Das heißt, die Industrie setzt selber die Standards. Das führt zum einen dazu, dass wir der Meinung sind, dass es keine echten Konsultationen vor Ort gibt, weil nur mit den Konzernen selber und Regierungsvertretern gesprochen wird und nicht mit den Menschen vor Ort, die tatsächlich unter dem Kohleabbau leiden. So hat bis jetzt Better Coal den Menschen vor Ort auch noch nichts gebracht. Die Situation ist wie gehabt, teilweise schlimmer geworden vor Ort, obwohl die Initiative vor drei Jahren gegründet wurde und wir auch schon seit zwei Jahren Verbesserungsvorschläge für die Initiative anbringen.
    Reimer: Sagen Sie uns konkret, welchen Gefahren, welchen Belastungen die Leute in den Bergbaugebieten ausgeliefert sind?
    Ganswindt: Vielleicht drei Fälle, die wir auch schon vor zwei Jahren angesprochen haben. Zum Beispiel in Russland wurde diesen Winter das Dorf Kazas zerstört. Es wurde niedergebrannt, ganz offensichtlich von dem Minenunternehmen, was den Grund und Boden braucht. Vor zwei Jahren gab es das Dorf noch und wir haben auf das Problem hingewiesen. Ein anderes Problem ist die kolumbianische Gemeinde Eljatillo, die seit vielen Jahren auf ihre Umsiedlung wartet. Mittlerweile sind die Menschen vor Ort total zermürbt und auch das war vor zwei Jahren noch um einiges besser.
    Angebliche Fortschritte bei Menschenrechten schlecht nachvollziehbar
    Reimer: Nun fördert ja RWE nicht selber die Kohle, sondern es bezieht die Kohle von großen anderen Unternehmen. Im Fall des Bergbauunternehmens Drummond hat Peter Terium, der RWE-Chef, vergangenes Jahr dem Deutschlandfunk gesagt, dass erstens Drummond nie wegen Menschenrechtsverletzungen rechtskräftig verurteilt worden sei und dass sie die Bezüge von Kohle erst einmal ausgesetzt und das Gespräch mit dem Unternehmen gesucht hätten. Also tut RWE doch was?
    Ganswindt: RWE tut etwas. Für uns sieht das aber immer wieder so aus, als wäre das einfach ein Feigenblatt, Better Coal, was sie vorschieben und sagen, wir reden ja mit dem Unternehmen, wir versuchen, die Probleme vor Ort zu lösen. Auch dort ist die Situation eigentlich schlimmer geworden. Auch wenn es rechtlich nicht nachgewiesen ist oder sie rechtskräftig nicht verurteilt wurden, ist es doch so, dass es diverse Interviews von Nichtregierungsorganisationen mit ehemaligen Paramilitärs gibt, die aussagen, dass sie von Drummond beauftragt wurden und finanziert wurden, diese Paramilitärs, die für 3000 Morde vor Ort verantwortlich sind. Wir sehen nicht, dass Gespräche bis dahin irgendetwas geändert haben. Die Situation ist eigentlich schlimmer geworden, da es jetzt auch die Androhung gibt, Menschenrechtsorganisationen, Anwälte und sogar die Opfer zu verklagen.
    Zur Lieferung: Zum einen hat uns RWE schon vor zwei Jahren gesagt, dass sie zwar keine direkten Lieferbeziehungen zu Drummond haben, dass sie aber überhaupt nicht ausschließen können, dass sie trotzdem Kohle aus den Drummond-Minen bekommen, weil das über Zwischenhändler geschieht.
    Und davon abgesehen sagen sie auch, wenn sie Fortschritte in einer Form sehen, dass sie in den Fällen die Lieferung wieder aufnehmen würden. Aber da sie in keinem direkten Dialog mit den Nichtregierungsorganisationen oder den Betroffenen vor Ort stehen, wissen wir nicht oder können wir nicht nachvollziehen, wie sie beurteilen können, dass die Situation besser wird.
    Reimer: Katrin Ganswindt wird heute auf der RWE-Hauptversammlung in Essen sprechen. Sie ist von der Nichtregierungsorganisation Urgewald und diese beklagt Menschenrechtsverletzungen bei den Kohlezulieferern, also nicht bei RWE selbst, sondern bei den Kohlezulieferern des Unternehmens. Vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.