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Saudi-Arabien
Bruch mit dem Islam am Smartphone

Frauen werden in Saudi-Arabien sofort verhaftet, wenn sie unverschleiert in die Öffentlichkeit gehen. Die Rechtssprechung folgt streng der Scharia. Doch das gilt wohl nicht für die Sozialen Netzwerke: Dort nämlich hat Amy Roko einen Weg der Emanzipation als Frau gefunden.

Von Maximilian Schönherr | 28.07.2015
    Eine vollverschleierte Muslima mit einem Abaya gekleidet.
    Viele junge Frauen in Saudi-Arabien leben eine Parallelexistenz im Internet. (imago/UIG)
    Amy Roko ist ein Star. Nimmt man die Zahlen ihre Internet-Fans, kommt man leicht auf über eine Million. Sie ist Anfang 20, lebt und studiert in Riad, der Hauptstadt Saudi Arabiens. Die langen Strecken zur Uni, zum Buchladen, zum Krankenhaus kosten die Familie eine Menge Geld, denn sie darf nicht selbst am Steuer sitzen – weil sie eine Frau ist. Sie wehrt sich gegen die Erniedrigung von Frauen in ihrem Land, indem sie die Sozialen Netze des Internets nutzt, vor allem Vine und Instagram.
    Statt ins Auto aufs Skateboard
    Vine ist das Twitter-Portal für Filme, die nur wenige Sekunden lang sind; hier finden sich Hunderte von Videos von Amy Roko. Sie erscheint stets traditionell gekleidet, man sieht nur ihre Augen. In diesem Clip hier greift sie mit einem Tritt einen jungen Mann an.
    In einem anderen Video fährt sie Skateboard.
    "Weil wir hier ja nicht Autofahren dürfen, haben wir andere Fortbewegungsmethoden für uns entdeckt, schaut mal."
    Und sie springt mit ihren roten Schuhen aufs Skateboard und fährt los. Viele junge Frauen in Saudi-Arabien leben eine Parallelexistenz im Internet, wo sie Männer daten (was sie im Real Life nicht dürfen), Mitfahrgelegenheiten wie über Uber nutzen (um sich von ihren privaten Chauffeuren frei zu machen und mal was anderes zu erleben), sie hören sich über Ohrhörer westliche Musik an und gucken amerikanische Serien wie "Desperate Housewives". Wenn eine Frau in Saudi-Arabien offen zugäbe, was sie im Internet schaut und wie sie da kommuniziert, käme sie vor Gericht, und es könnte sie den Kopf kosten.
    Amy Roko, die in Wirklichkeit ganz anders heißt, sitzt in diesem Video sichtlich unzufrieden auf dem Rücksitz eines Autos und droht mit ihrem Kugelschreiber ein Loch in den Vordersitz zu bohren. Oder sie spricht gelangweilt in die Kamera, viele Leute hätten sie gefragt, ob sie in den Medien tätig sei: Nein, ich werde nur herumgefahren!
    Sie malt mit einem Farbroller blaue Farbe über ihr schwarzes Gewand, die Abaya. Sie steht – es sieht nach einem Einkaufszentrum aus – neben einem jungen blonden Spanier, und fragt ihn, ob er sein Haar gefärbt hat: Natürlich nicht.
    Bruch mit dem Islam am Smartphone
    Der Internetempfang ist in dem High-Tech-Königreich Saudi Arabien optimal, und die Regierung mischt sich nicht durch Zensur – wie es zum Beispiel die türkische, persische oder chinesische tut –bestimmter Kanäle wie Facebook ein. Offenbar toleriert die für ihre starken Kapitalverbindungen zum Westen bekannte herrschende Klasse den Bruch mit dem Islam im privaten Bereich am Smartphone.
    Ein Selfie von schräg unten aufgenommen, Amy Roko geht unter einem weißen Sonnenschirm und summt quietschfidel in die Kamera. "Sorry".
    Sie spielt sich selbst und, mit tieferer Stimme, ihren Vater:
    "Papa, gibst du mir Geld?"
    "Ich hab dir doch letzte Woche Geld gegeben. Mach mir lieber Frühstück!"
    "Ich hab dir doch schon letzte Woche Frühstück gemacht."
    Sie ahmt die für saudi-arabische Verhältnisse viel zu laszive Sängerin Shakira nach.
    Amy Roko steht prototypisch für eine Generation, die mit dem Internet aufwächst und darin eine Freiheit sieht, die es draußen nicht gibt. In einem Chat-Interview mit einem Blogger schreibt Amy Roko, dass ihre Videos nicht nur auf Gefallen stoßen. Jemand habe sie sogar einmal gestalkt, ihr Haus gefunden und ein Foto des Hauses gepostet.
    Amy Roko zeigt, wie weit man als Frau in diesem Scharia-kontrollierten Staat gehen kann. Nicht sehr weit, und nicht ohne Risiko. Was die junge Araberin veranlasst, weiter zu machen, sind nicht nur ihre vielen Fans und die Kommentare zu jedem ihrer Bilder und Videos, sondern auch die Fan-Art, die sich um ihren Kunstcharakter herum entwickelt hat. Es gibt inzwischen Künstler, die sie, die bis auf die Augen Verschleierte, mit Flügeln abbilden. Die jüngste Amy Roko Fan-Art stammt von der französischen Manga-Künstlerin Kawaii797. Sie postete dieser Tage Amy Roko mit großen schwarzen Augen und – roten Tränen.