Aus dem Münchener Zuschauerraum schaut man seit neuestem häufiger in andere Theater hinein: Beim "Ring" gleich mehrmals ins Bayreuther Festspielhaus; für "Saul" hat Herbert Murauer einen Saal gebaut, wie man ihn sich so etwa für die Uraufführung am Londoner Haymarket vorstellen könnte. Da machen erst noch Livrierte Ordnung, bevor der Chor auftritt, der das Volk vorstellt. Wer aber ist das Volk? - Es sieht am Anfang aus wie ein Oratorienchor, oder wie Händels Subskribentenpublikum; am Ende, als es nach Sauls Tod um Israels verlorene Schönheit klagt, sieht es aus wie eine jüdische Trauergesellschaft, bevor es sich schließlich die Kleider vom Leib reißt, um in kreischend bunter Freizeitkleidung dem neuen David Superstar zu huldigen. Zwischendurch gefriert es hin und wieder zum lebenden Bild. Der Staatsopernchor spielt gut mit und singt akkurat und wenn’s drauf ankommt ist auch mehr drin. Dann wird es groß.
Um Wesen und Wirkung der Steigerung weiß auch der englische Barockspezialist Ivor Bolton, und er versteht sich auf Händels musikalische Affektpalette. Extra-Posaunen und tiefe Pauken grundieren die Tragödie dunkel. An der Stelle, wo Sauls Wahn ausbricht, überraschte Händel sein Publikum mit einem aberwitzig-manischen Glockenspiel, und Bolton kann damit noch uns überraschen, sein Händel klingt philologisch sauber und leidenschaftlich gefühlt, manchmal ein bisschen eckig. Gesungen wird very british: Mit einigen Temperamentsreserven die "dunkle" Merab von Rebecca Evans, mit einiger Lieblichkeitsreserve Rosemary Joshua als Schwester Michal. Von beiden hinreichend geläufigen Gurgeln ist wohl strenggenommen nicht jeder Ton zu hören, aber das ist ein kleiner Einwand vor der Darstellungsleistung beider, nicht in die Klischees der Bösen und der Naiven zu sinken. Gottlob auch keine Schwulenkarikatur der Jonathan von John Mark Ainsley. Und nach einer gewissen Zurückhaltung spielte dann auch der David von David Daniels einiges Betörungspotenzial aus.
Darf man das Oratorium als Oper inszenieren? - Unbedingt, wenn es so sehr zum Drama drängt wie "Saul", und vor allem, wenn wie hier die Szene so viel mehr ist als Illustration und Augenfutter. Wenn sie sich nämlich öffnet als Raum der ersichtlich werdenden Ambivalenzen. Davids Weg von der Harfe zum Speer, und wie er am Ende den Platz des alten Königs einnimmt, das bleibt eine allertraurigste Geschichte. Das Hallelujah steht am Anfang, am Ende stehen Klage und Weh. Und auch wenn ganz am Ende wieder gejubelt wird - so hatten sie auch Saul zugejubelt. Es ist eine same procedure...
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